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# taz.de -- So war's bei der Elphi-Eröffnung: Der Musen-Tempel ist geweiht
> Bei der Eröffnung der beiden Konzertsäle an der Elbe kamen die Erfinder
> des Projekts zu kurz: Sie wurden mit keinem Wort erwähnt. Und die Akustik
> braucht Nachhilfe.
Bild: Im Treppenhaus des Musen-Tempels: Besucher am ersten Eröffnungstag.
HAMBURG taz | Alle wollen die Wände anfassen. Wollen in die Rillen fahren,
die aussehen, als hätte man die Finger durch nassen Sand gezogen. Das macht
Spaß, das haben wir als Kinder gemacht, als wir am Strand Matschburgen
bauten, ohne uns an deren Vergänglichkeit zu stören.
Verlockend taktil ist die „Weiße Haut“ im großen Saal von Hamburgs
Elbphilharmonie, da widersteht am Eröffnungsabend auch nicht die
Millionärsgattin im Nerz. Wird wieder zum Kind, freut sich daran, die
Spuren nachzufahren, als erschüfe sie sie gerade selber. Aneignung durch
Ertasten, ein archaischer Reflex.
Dabei ist es ja eine mumifizierte Spur aus Gips, das Wasser fiktiv und
jedenfalls längst abgeflossen. Aber genau darum geht es in diesem Saal und
an diesem Abend: um Wasser, nicht nur durchs wellenförmige Glasdach
augenfällig, sondern auch innen. Und da Wasser vielgestaltig und fließend
ist wie Musik, haben die Architekten Herzog & de Meuron für den zweiten,
kleinen Saal eine andere Variante gewählt: Dessen hölzerne Wände wirken,
als würfe das Wasser Blasen. Außerdem sind sie leicht gerillt, als hätte
das Holz noch kürzlich in einem Fluss gelegen.
Und die Wasser-Anspielungen gehen weiter: Wie an einem Fluss-Delta strömen
die Besucher, als sie endlich dürfen, am 11. Januar in den großen Saal.
Laufen von oben, von rechts oder links zu ihren Plätzen. Verteilt sind sie
auf handliche Blocks, in denen man angenehm portioniert sitzt. Ja, wir sind
viele, 2.100 an der Zahl, darunter 500 per Los gekürte Normalbürger
zwischen der Polit- und Glamour-Prominenz. Aber wir fühlen uns nicht als
Masse. „Der Saal ist intim“, sagt Intendant Christoph Lieben-Seutter
später. Das spürt man – auch wenn die ganz oben, quasi unterm Dach
Platzierten wie Gefangene hinter Gittern wirken.
Aber so fühlen sie sich nicht, im Gegenteil: Stolz haben sie vorher die
drei Standard-Selfies gemacht – auf der „Tube“, auf der Plaza und vor den
Riesenfenstern mit Blick aufs regengepeitschte Hamburg. Das musste sein,
schließlich ist dies eine kollektive Landnahme, endlich darf man hinein ins
gelobte Land, auf das man zehn Jahre wartete und für das Hamburg rund 800
Millionen Steuer-Euro gab. Da will man jetzt gebührend teilhaben.
Wobei die Frage ist: Wer adelt hier eigentlich wen? Das Gebäude die
Hautevolee oder umgekehrt? Ist dieses architektonische Statement mit seinen
anthroposophisch gewundenen, schwindelerregend großzügigen Treppen durch
noch so viel Glitzer zu beeindrucken, gar zu toppen?
Wohl kaum, denn dieses Gebäude, das laut Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz
(SPD) „die Grenze des Baubaren überschritt“, ist ein architektonischer
Akkord schon vor dem ersten Ton. Einige Besucher fürchten dann auch schon
beim Reingehen, das Haus werde Museum bleiben, niemals zum Gesamtkunstwerk
reifen.
Auch der Intendant räumt ein, dass die ersten beiden Spielzeiten
Selbstläufer werden, weil jeder Hamburger das Haus einmal erlebt haben
will. Aber wenn diese Neugier gestillt ist: Kommen die Leute – explizit
auch die nicht musik-affinen – dann wegen der Musik? Identifizieren sich
nicht nur mit dem optischen Wahrzeichen, sondern auch mit dessen
spezifischem Klang?
Das Eröffnungskonzert von Thomas Hengelbrock, dem Chefdirigenten des
NDR-Elbphilharmonie-Orchesters, eruierte genau das: Welcher Klang kann ein
hamburgischer sein, um welches Timbre bereichert die bis dato
skandalgebeutelte Elbphilharmonie die Welt?
Schlau bemühte er im – vorab streng geheimen – Programm Pan und Prometheus,
mythologische Figuren der griechischen Antike, machte eine europäische
Ahnenreihe auf. Denn so ein Haus braucht nicht nur einen architektonischen
Stammbaum – da haben die Architekten ja längst die antike Arena genannt.
Sondern es sucht auch klangliche Wurzeln, Ausgangs- und
Orientierungspunkte, einen eigenen Mythos. Um den zu finden, braucht man
ein Ritual. Ein tastend-abergläubisches, mit dem man sich einen solchen
Saal aneignet, die ersten Töne spielt, die nicht mehr Baulärm sind, sondern
Musik.
Da ist Benjamin Brittens „Pan“, ein Oboenstück über den antiken
griechischen Hirtengott, gut geeignet. Verhalten und erklingt die Oboe von
irgendwo, wir hören, aber sehen nicht; es ist ein Spiel mit dem Raum.
Tastend sucht die Oboe ihre Töne, verbindet sie, macht eine Melodie daraus,
das Orchester nimmt sie auf, spinnt sie weiter, beginnt eine Geschichte zu
erzählen.
Das ist eine Initiation, eine Anrufung – wessen auch immer. Zugleich ein
Ritual, mit dem man einen Tempel weiht, indem man scheu die Götter ruft und
umschmeichelt. Und während wir noch darüber sinnieren, schrecken wir
plötzlich hoch: Hat das da gerade nicht nach Renaissance geklungen? Haben
wir uns im Programm verblättert, etwas übersehen? Nein. Unmerklich hat
Countertenor Philippe Jaroussky von irgendwo oben zur Harfe zu singen
begonnen, und man hat den Übergang von Alt nach Neu nicht bemerkt. Denn
Zeit ist relativ, die alten Harmonien ähneln teils verblüffend den
modernen.
Geschickt auch, dass Hengelbrock alle Stücke nahtlos hintereinander spielen
lässt, den Schnitt mal fließend, mal per Paukenschlag vollzieht. Das ist
Experiment und Statement: Wir fahren durch die Zeit, vor- oder rückwärts,
halten an, wo es uns gefällt. Verweilen dort, gehen wieder zurück und
wieder vor. Wechseln vom 2013 gestorbenen Henri Dutilleux zu einer
italienischen Komposition von 1589.
Dieses Wechselbad ist anstrengend, und viele genießen das Alte – Wagners
„Parsifal“-Vorspiel und Beethovens „Ode an die Freude“-Chor – mehr al…
Neue. Hengelbrock wusste das und hat trotzdem viele zeitgenössische Stücke
gewählt. Denn in einem „Haus der Zukunft“ kann man nicht nur
rückwärtsgewandten Wagner spielen, und sei Parzivals Gralssuche für den
Anlass noch so sprechend.
Denn schließlich geht es um eine Vision, und die verkörpern zwei Menschen,
die das eigentliche Paar des Abends sind: das Hamburger Architektenpaar
Alexander Gérard und Jana Marko. Sie hatten 2001 als Erste die Idee, auf
den alten Kakaospeicher ein Konzerthaus zu bauen. Sie haben Unterstützer
gesucht, die Architekten angeheuert, 2003 endlich den Senat überzeugt. Sie
wollten kleiner und billiger bauen, gerieten irgendwann in Disput mit der
Stadt Hamburg, stiegen aus dem Projekt aus.
Im Eröffnungskonzert des großen Saals sitzen sie nicht bei der Prominenz,
wo sie hingehören, sondern schräg links über dem Orchester, ausrangiert
neben Ex-Kultursenatorin Karin von Welck. Und tatsächlich wirkt Jana Marko
anfangs verkrampft freudig, Alexander Gérard leicht verbittert. Sie
entspannen sich erst, als Bürgermeister Scholz vom „Feiertag des
Bürgerengagements“ spricht. Horchen auf, als Architekt Jacques Herzog den
Ideengebern und Engagierten dankt. Aber die Namen „Marko“ und „Gérard“
nennt keiner der Redner. Das ist kein guter Stil, aber sie tragen es mit
Fassung. Springen über ihren Schatten und freuen sich, dass ihre Idee
Wirklichkeit wurde.
So stillvergnügt werden sie auch am Folgeabend sein, wenn der zweite,
kleinere Elbphilharmonie-Saal eingeweiht wird. Der kleine Saal – das ist
der mit der hölzernen genoppten Wand, die wir noch hemmungsloser, ja:
zärtlicher tätscheln als tags zuvor die Weiße Haut. Denn das Holz ist fast
ebenso warm wie unsere eigene Haut, atmet quasi mit.
Vom Atmen handelt auch das Stück, das der 63-jährige österreichische
Komponist Georg Friedrich Haas, bekennendes NS-Täterkind und Sadomasochist,
mikrotonal mit Viertel- und Achteltönen komponiert hat. „Release“ heißt es
und soll auch den orgiastischen Atem zelebrieren, freilassen, die
Vereinigung des Menschen mit dem Saal befördern.
Wobei das musikalische Atmen schon begonnen hat, als wir reinkommen, und
wir wissen nicht, ob wir überhaupt noch reden dürfen. Die Musiker des
Ensemble Resonanz, das hier künftig residieren wird, nehmen es gelassen und
spielen unverdrossen sphärische Streicherklänge.
Dass sie auf mikrotonal gestimmten Instrumenten spielen, weiß der
Normalbürger nicht. Aber dass es schief klingt, als sie später auf der
Bühne mit konventionell gestimmten Instrumenten weiterspielen: Das merken
alle. Wobei – war das oben auf der Galerie falsch oder das unten auf der
Bühne? Haben wir uns vielleicht verhört?
Genau, würde Haas sagen, um diese Unschärfe geht es, um die Frage nach dem
„richtigen“ Klang. Wer definiert den denn? Noch dazu speziell für diesen
frisch geweihten Saal? Oder kann es keine klare Antwort geben?
Schön ist es, sich dieser Ungewissheit im dunklen, behaglichen Holzsaal
hinzugeben. Wir fühlen uns geborgen in diesem Raum, dessen Holzvorhänge
sich jederzeit öffnen könnten. Tun sie aber nicht, sie hüllen uns ein. Und
das mehr und länger, als uns lieb ist, denn in der Konzertpause merken wir:
Der Saal hat nur eine Tür, und da müssen wir alle hin. 17 Minuten hat die
Pause, nach zehn sind wir unten. Verschnaufen kurz – richtig, Atem war ja
das Thema – und stapfen wieder hoch. Versuchen nicht daran zu denken, was
wir bei Feuer täten in diesem Raum, der sicher prima brennt.
Aber wir wollten ja nicht nörgeln inmitten dieser hamburgweit verordneten
Begeisterung. Und die Akustik des kleinen Saals ist ja gut, die Darbietung
des Ensemble Resonanz auch. Und wenn der Akustiker den großen Saal so
nachjustiert, dass man lautes Orchester auf allen Plätzen angenehm hört,
das Husten ferner Mit-Zuschauer aber nicht: Dann wäre das Glück perfekt.
Ist damit alles vergessen, was an Bauskandalen und Kostensteigerungen durch
die Welt ging? Nein, ist es nicht. Und man kann nach wie vor finden, dass
Hamburg einen neuen Konzertsaal brauchte, das schon. Aber nicht in dieser
glamourösen Hülle aus Luxuswohnungen und -hotel, die den Saal einst
querfinanzieren sollten und von denen inzwischen einen Großteil die Stadt
bezahlt.
15 Jan 2017
## AUTOREN
Petra Schellen
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