# taz.de -- Voreröffnung der Elbphilharmonie: Elphi atmet! | |
> Tanz auf sieben Etagen: Mit „Figure humaine“ helfen Sasha Waltz & Guests | |
> am Silvesterabend bei der Erkundung des neuen Konzerthauses. | |
Bild: Einblicke, Ausblicke: rund 80 Tänzer und Musiker sind in der Elbphilharm… | |
An Silvester war es neblig und nass in Hamburg. Kein Spaziergangswetter | |
eigentlich, aber der Strom der Schaulustigen, die zur Elbphilharmonie | |
pilgerten, die nach so langer Bau- und Streitzeit endlich fertig geworden | |
ist, ist unermüdlich. | |
Ist das neue Wahrzeichen der Stadt, hoch aufragend am Wasser, schon von den | |
Landungsbrücken aus zu sehen? Nein, das verhindert das Wasser in der Luft. | |
Und als man ihre großen Konturen auszumachen glaubt, da ist das erst doch | |
noch ein Gebäude auf einem Kai davor. Bis dahinter, darüber die Wellen und | |
Spitzen des Dachs der von Herzog & de Meuron entworfenen Architektur im | |
Dunst sichtbar werden. | |
Wie bei einer guten Silvesterrakete, die in mehreren Stufen ihre Sterne vom | |
Himmel regnen lässt, wird die Eröffnung der Elbphilharmonie in mehreren | |
Etappen zelebriert. Schon, damit sich die von der Stadt so teuer mit Geld | |
und politischer Glaubwürdigkeit bezahlte Architektur feiern lassen kann, | |
bevor die erste Konzertsaison am 11. Januar beginnt. | |
Der erste Schritt war die Eröffnung der sogenannten Plaza Anfang Dezember, | |
täglich von 9 bis 24 Uhr geöffnet. Sie bildet die Fuge zwischen dem alten | |
Backsteinspeicher, der stoisch und regelmäßig geformt zum Sockel geworden | |
ist, und dem neuen, die Unregelmäßigkeit, die kleinen und größeren Wellen | |
suchenden Aufbau. | |
## Die Stadt liegt zu Füßen | |
Je nach Licht scheint der obere Teil über dem unteren zu schweben, und in | |
jenem Luftraum zwischen dem Alten und dem Neuen ist ein großzügiger | |
Wandelgang, eine Aussichtsplattform entstanden, die das alte und das neue | |
Hamburg, die frisch gebaute Hafen-City auf den Kais, in den Blick nehmen | |
lässt. Die Elbphilharmonie legt an diesem Punkt dem Publikum gewissermaßen | |
die Stadt zu Füßen und erhebt sich zugleich von dort aus königlich über | |
alles. | |
Ja, ja, eine große Metaphernmaschine ist diese Architektur auch. Man sucht | |
ständig nach Vergleichen für gläserne Wände, die sich auf der Plaza wie ein | |
Vorhang im Wind bauschen, für kegelförmig die Decke durchstoßende Schrägen, | |
die wie ein Fels den Raum durchwachsen, und sich nach außen ausbuchtende | |
Fenster, die an eine organische Ausstülpung erinnern. Dies Erstaunen über | |
das Detail, die skulpturale Bewegtheit im Inneren, ist viel mächtiger als | |
ein Erfassen des Ganzen, das dann doch eher verwirrend bleibt. | |
Stufe zwei der Voreröffnungen war denn auch am Neujahrsabend eine | |
„choreografische und musikalische Raumerkundung der Elbphilharmonie | |
Foyers“, für die Sasha Waltz & Guests mit mehr als 80 Musikern und Tänzern | |
antraten. Über mehr als zwei Stunden luden sie zwischen der 10. und der 16. | |
Etage zum Wandern durch eine Landschaft von Treppen, Galerien, großen und | |
kleinen Flächen ein, dem Pendeln zwischen innen und dem Blick nach außen | |
über die Lichter von Stadt und Hafen, dem Auskosten von steilen | |
Perspektiven und überraschenden Durchblicken. | |
Prominente Architektur zu eröffnen hat die Berliner Choreografin schon | |
mehrfach unternommen. In Berlin im Jüdischen Museum von Daniel Libeskind | |
und im Neuen Museum von David Chipperfield, in Rom im MAXXI von Zaha Hadid. | |
Das waren schon deshalb besondere Ereignisse, weil man alle diese Orte, für | |
Ausstellungen bestimmt, nie wieder so pur, nur von Klängen und Körpern | |
erfüllt, erleben sollte. | |
## Ein Ort des Flanierens | |
Die Foyers der Elbphilharmonie dagegen werden immer ein Ort des – wenn auch | |
kürzeren – Flanierens sein, in dem das Publikum sich selbst ein Schauspiel | |
gibt. Diesmal aber angezogen durch nahen und fernen Klang, durch Fanfaren | |
und Glockenläuten, mitgenommen und zum Halten gebracht durch tänzerische | |
Wirbel und eine umherschweifende Energie, die punktuell Konzentration und | |
Fokussierung schafft. Bis man merkt, dass, während der Blick gerade mit | |
einem packenden Trio eine Ebene tiefer beschäftigt ist, das man gut durch | |
das Treppengeländer beobachten kann, eine größere Gruppe sich lautlos | |
hinter einem die Stufen hoch bewegt hat und dort jetzt bündelt, bevor sie | |
sich wieder in disparate Szenen auflösen und weiterziehen. | |
Und während man noch überlegt, ob man sich abwärts oder aufwärts | |
orientiert, steht möglicherweise die Soloviolinistin Caroline Widmann vor | |
einem, die jetzt nicht mehr die Partita von Bach spielt, sondern mit ihrem | |
Instrument klagt und seufzt und kratzt und so viel Verzagtheit und Spannung | |
über den kleinen Körper ihrer Violine gleiten lässt, bis ein Tänzer sich | |
der beiden erbarmt und mit ihr in ein Spiel einsteigt. Oder man bleibt bei | |
dem Akkordeonspieler Krisztián Palágyi hängen, weil die tief brummende, | |
irgendwie maritim anmutende Stimme seines Instruments so gut zum Blick über | |
den verregneten Hafen passt und er in dieses Wohlfühlambiente zugleich aber | |
etwas Spannung Aufbauendes, Unerfülltes hineinschreibt. | |
Die Klammer in dieser großen Collage aus alter Musik und Kompositionen des | |
20. Jahrhunderts bildete ein Chorwerk des französischen Komponisten | |
François Poulenc. „Figure humaine“ ist entstanden am Ende des Zweiten | |
Weltkrieges, die Texte beruhen auf Gedichten von Paul Éluard über die nicht | |
versiegende Sehnsucht nach Freiheit und auf Briefen aus dem Widerstand | |
gegen die deutsche Besetzung. | |
## Barfuß auf Holz | |
Auch wenn man die Texte nicht versteht, ist der Gesang sehr anrührend, | |
dramatisch und abwechslungsreich, kräftig und sanft. Manchmal sind die | |
Stimmen nah, manchmal hört man sie wie über ein Tal hinweg von dem Berg | |
gegenüber, solche Vorstellungen erzeugen Klang und Raum. Zudem ist der Chor | |
der mächtigste Strom und die größte strukturierende Kraft an diesem Abend, | |
an ihm orientiert sich das Publikum, bei ihm kommt man nach Auflösung und | |
Aufteilung wieder zusammen. | |
Die Tänzer übrigens sind, wie meist bei Sasha Waltz, barfuß, und auch das | |
ist ein Detail der liebevollen Würdigung der Ausstattung des Hauses. | |
Scheinen diese hölzernen Stufen und das Parkett nicht für nackte Füße | |
gemacht? So wie das gerundete Holz der Brüstungen dem Körper | |
entgegenschmeichelt, sich darüber zu lehnen. Man sitzt auch bald hier und | |
da auf den Stufen oder dem Boden, das alles hier ist nicht nur spektakulär, | |
sondern auch anheimelnd. | |
Die Begegnung des Alten und Neuen, die ein Thema der Architektur ist, | |
taucht auch in der Inszenierung auf. Zur Kammermusik von Bach brechen die | |
Tänzer in ein so virtuoses und angriffslustiges Spiel aus, als hätten sie | |
die Energie von einem Skaterfeld mit hereingebracht. Es ist überraschend zu | |
erleben, wie Bewegung und Musik, eben noch in einem spannungsvollen | |
Gegeneinander, plötzlich zusammengehen und in ihrer Dynamik die kulturellen | |
Räume verschmelzen. | |
## Pilzig, grottenähnlich | |
Weil vor dem 11. Januar, der offiziellen Eröffnung als Konzerthaus, keine | |
Musik im Großen Saal, dem Herzstück des Hauses, erklingen darf, dachte man | |
schon, den gar nicht zu sehen zu bekommen. Aber, John Cage und seiner | |
Komposition der Stille „4’33'‘“ sei Dank, es ging doch in den Saal hine… | |
der mit seinen geriffelten und gewellten, an Muscheln und Korallen | |
erinnernden Panelen eine ganz besondere Akustik haben soll. Die Solisten | |
stellten sich auf, ihre Instrumente bereit, Erwartung breitet sich aus. | |
Das ist der Moment, um den Raum atmen zu hören, zu staunen über die | |
organischen Anmutungen der Architektur, das Kristalline und das Pilzige, | |
das Grottenähnliche der Ränge. Das hat etwas Barockes, aber auch | |
expressionistische Architekturfantasien vom Anfang des 20. Jahrhunderts | |
scheinen im Spiel gewesen zu sein. | |
Vier Minuten dreiunddreißig sind kurz, längst hat man noch nicht alles | |
erfasst, da geht es weiter. In den unteren Sitzreihen bringen die Tänzer | |
ein Stück zur Aufführung, komponiert aus dem Klappern der Sitze, den | |
suchenden Schritten, dem Sichzurechtruckeln und Posieren. Das ist eine | |
Reminiszenz an das heitere Tanztheater der Sasha Waltz der früheren Jahre, | |
eine kurze komische Szene, bevor eine Gruppe von Tänzerinnen den Boden des | |
Orchesters zum Instrument macht mit dem Rhythmus ihrer Sprünge und | |
Schritte. | |
Der Ausklang, der diesem Moment im Heiligsten des Kunsttempels folgt, ist | |
wilder, ausgelassener. Die Stimmung dreht sich Richtung Fiesta und | |
Karneval, die große Trommel wird geschlagen, Sirenen und Möwenschreie | |
suggerieren Volksfeststimmung an der Elbe. | |
Nur viermal findet dieser Parcours statt für ein Publikum, das im Foyer | |
erst groß wirkt, sich im Großen Saal aber in bescheidenen Grüppchen | |
verliert. Es ist ein Luxus, an dieser den Extravaganzen der Architektur auf | |
den Leib geschneiderten Erkundung teilnehmen zu können. Man wird als | |
Zuschauer gewissermaßen Teil der Eröffnungsfeierlichkeiten und des um | |
Begeisterung werbenden Programms für das ob seiner Kosten und Baugeschichte | |
auch aus gutem Grund skeptisch angesehene Haus. Tanz steht im Übrigen in | |
der Elbphilharmonie nicht weiter auf dem hochkarätigen Programm. | |
2 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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