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# taz.de -- Elbphilharmonie-Saisoneröffnung: Niemand entkommt unerkannt
> Zur Spielzeit-Eröffnung wurden in der Elbphilharmonie Johann Sebastian
> Bachs Cello-Suiten getanzt. Das Publikum war ganz unhanseatisch
> ungeduldig.
Bild: Im Elphi-Allerheiligsten: Auf der Bühne des Großen Saals gab es am Sonn…
Hamburg taz | Mit den Eröffnungen ist das so eine Sache. Soll man eine
machen oder lieber zwei – oder für jeden Veranstalter eine? Die
Elbphilharmonie hat sich zum Start der neuen Spielzeit für zwei Eröffnungen
entschieden – wie um zu zeigen, dass das
NDR-Elbphilharmonie-Residenzorchester und die Elbphilharmonie zwei
getrennte Fraktionen sind. Besonders, seit NDR-Chefdirigent Thomas
Hengelbrock zu 2019 geschasst wurde und ohnehin nur noch auf Abruf
arbeitet. Da wollte er wohl wenigstens ein eigenes Pre-Opening am 1.
September haben, Beethoven und Goethe-Rezitation inklusive.
Zwei Tage später, am Sonntag, kredenzte Elbphilharmonie-Intendant Christoph
Lieben-Seutter dann die „eigentliche Eröffnung“. Wieder wurde das
Gala-Publikum in den Großen Saal des Konzerthauses gekarrt, dieses Mal zu
einem Event besonderer Art: einer Tanz-Performance zu Johann Sebastian
Bachs Cello-Solosuiten, einem technisch anspruchsvollen, spannungsreichen
Stück, das als „Vergöttlichung“ des Tanzes gilt. Sehr bewusst bedient sich
Bach darin stilisierter alter Hoftänze wie Sarabande und Courante, nach
denen die Sätze benannt sind.
## Minimalistischer Tanz
Das hat die belgische Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker bewogen,
gemeinsam mit dem Cellisten Jean-Guihen Queyras eine Musik-Tanz-Performance
zu erarbeiten, bei der fünf Tänzer und Tänzerinnen den Cellisten umkreisen.
Für jede Tonart, für jede Stimmung, für laute und leise Passagen hat sich
de Keersmaeker eine Tanzfigur ausgedacht. Sie hat Bachs Musik mathematisch
durchanalysiert und dazu eine minimalistische Tanzsprache mit extrem
begrenztem Formen-Repertoire erfunden.
Diese Finessen des Ende August auf der Ruhrtriennale uraufgeführten Stücks
verstand allerdings nur, wer das Programmheft intensiv studiert hatte – und
das tut ja nicht jede oder jeder. Hinzu kommt, dass ein Premierenpublikum
eher wegen des Events herkommt als wegen der Inhalte. Und wenn doch, dann –
im Falle der Elbphilharmonie – wegen klassischer Musik und nicht wegen des
modernen Tanzes.
Dabei waren sie gut, die mal Hoftänze imitierenden, mal akrobatischen, mal
sich am Boden wälzenden TänzerInnen. Sie schauten gen Himmel, rannten gegen
die Balustrade an – hadernd mit den Grenzen der Gattung Mensch, im stummen
Disput mit Gott. Das alles solide begleitet vom Cellisten auf der ansonsten
kahlen Bühne.
Nur, dass die Suiten recht lang sind, zwei Stunden insgesamt, und dass das
manchem Zuschauer zu viel wurde. Und da es keine Pause gab, in der man ganz
„legal“ hätte gehen können, passierte der Exodus eben anarchisch: Da erhob
man sich bei voller Beleuchtung mitten aus dem Parkett und ging. In den
oberen Rängen versuchten welche, im Schutz der Dunkelheit zu fliehen. Aber
in der so kommunikativen Arena bleibt nichts verborgen; niemand entkam
unerkannt.
Wer doch im Großen Saal blieb, wippte nervös mit dem Fuß oder hustete sich
eins. Besonders heikel wurde es, als der Cellist in Suite fünf ganz
verstummte, zeitweilig sogar den Saal verließ. Da erscholl von oben ein:
„Ich hätte gern die Musik gehört“ in die Stille. Ein recht unhanseatischer
Zwischenruf eines einzelnen Herrn, wie er zuletzt anno 2000 im Thalia bei
Michael Thalheimers tabuloser „Liliom“-Inszenierung geschah. „Das ist ein
anständiges Stück, das muss man doch nicht so spielen!“, hatte
Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi da in den Saal gerufen.
## Stoisch bis zum Schluss
Und natürlich ließen sich auch die Elbphilharmonie-Performer nicht
beeindrucken und machten stoisch weiter bis zum Schluss. Aber dann war auch
Feierabend, da gab es schon auch Buh-Rufe in den Applaus hinein. Andere
stolperten hastig aus der Sitzreihe, um keine weitere Sekunde Lebenszeit zu
verschwenden.
In anderen Worten: Die Provokation ist gelungen, die Elbphilharmonie wurde
als Ort des auch tänzerischen Experiments erneut verankert. Eine logische
Fortführung von Sasha Waltz’ tänzerischer Vor-Eröffnung des Hauses Anfang
Januar. Damals war es eine spielerische Einweihung auf den Gängen. Am
Sonntag ging es ins Allerheiligste: mitten auf die Bühne des Großen Saals.
4 Sep 2017
## AUTOREN
Petra Schellen
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