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# taz.de -- Elbphilharmonie-Chefdirigent wirft hin: Wenn Geschasste zürnen
> Thomas Hengelbrock, vom NDR lieblos abservierter Chef des
> Elbphilharmonie-Orchesters, hat seinen Stolz wiedergefunden und hört im
> Sommer 2018 auf.
Bild: Besser spät als nie: Ein halbes Jahr nach seiner unwürdigen Ablösung w…
Hamburg taz | So viele Wahrheiten. So viele Irrungen und Wirrungen um den
Abgang Thomas Hengelbrocks, Noch-Chefdirigent des
NDR-Elbphilharmonie-Orchesters. Viele Versionen und Gerüchte kursierten um
die Frage, warum Hengelbrock nach ruhmreicher Eröffnung des Konzerthauses
im Januar und nach ebenso erfolgreicher Erfindung der preisgünstigen
„Konzerte für Hamburg“ seinen Vertrag nicht über 2019 hinaus verlängerte.
Da war man am vorigen Wochenende fast erleichtert, dass Hengelbrock endlich
eine klare Ansage machte: Er verlässt das Orchester zum Sommer 2018, ein
Jahr vor der Zeit, und will mit dem NDR nichts mehr zu schaffen haben.
Vor allem nicht mit dessen desaströser Öffentlichkeitsarbeit im Zuge seines
Abgangs zum Sommer 2019. Da war einmal Achim Dobschall, Leiter des Bereichs
Orchester, Chor und Konzerte beim NDR, der auf Journalistenfragen nach
Hengelbrocks Vertragsverlängerung schon Monate vorher nicht etwa sagte:
„Wir wollen Hengelbrock unbedingt halten.“ Stattdessen murmelte er etwas
von „Verhandlungen, die zu führen sind“, als sei dies eine höchst komplexe
Materie. Man ahnte Böses.
Und richtig: Wenige Wochen später, Ende Juni dieses Jahres, verkündete der
NDR fast gut gelaunt, Hengelbrock verlasse das Orchester 2019 nach acht
Jahren auf eigenen Wunsch. Vier Tage danach stellte man öffentlich den New
Yorker Alan Gilbert vor, der Hengelbrock beerben soll.
Und auch wenn Hengelbrock bis heute behauptet, er selbst habe dem NDR
frühzeitig mitgeteilt, dass er seinen Vertrag nicht verlängern werde: Warum
hat er das nicht vor dem Gilbert-Termin kundgetan und zum Beispiel
öffentlich verkündet, er wolle mehr Zeit mit Frau und Kind verbringen,
statt an den Dirigentenpulten dieser Welt zu stehen – eine Version, die der
NDR noch vor wenigen Tagen Journalisten nahezubringen versuchte?
## Vornehme Zurückhaltung
Und warum gab Hengelbrock nach Gilberts Berufung keine Statements, die
angesichts der von ihm genommenen Bürde vor Erleichterung sprühten? Da
hätte er sich doch laut freuen können auf sein Balthasar-Neumann-Ensemble,
sein Dirigat beim Orchestre de Paris und so weiter.
Stattdessen: Heimlichtuerei und eisiges Schweigen, dafür eine
Glanz-und-Gloria-Präsentation des NDR für Alan Gilbert. Der war von 2010
bis 2017 Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestras und eigentlich
wegen seines Faibles für Neue Musik dorthin geholt worden. Doch gerade
dafür hatte es zuletzt immer weniger Geld gegeben, sodass Gilbert
frustriert hinwarf. Als Grund nannte er nicht nur finanziellen Druck,
sondern auch „philosophische Differenzen“.
Gastdirigent des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters ist Gilbert seit 2014, und
seine bisherigen Hamburger Konzerte waren durchwachsen besprochen. Auch ist
ungewiss, ob er ausgerechnet in Hamburg mit Neuer Musik wird punkten
können. Ingo Metzmachers diesbezügliche Ambitionen wurden seinerzeit
jedenfalls nicht honoriert; 2005 wurde er als Generalmusikdirektor der
Hamburger Staatsoper geschasst.
Auch Gilberts Präsentation selbst geriet so befremdlich wie zynisch: Wie
Jesus persönlich wurde Gilbert aus einer Tapetentür in die
Elbphilharmonie-Stifterlounge vor die Journaille gezaubert. Hengelbrock
probte derweil hinter der Wand im Saal, als sei das alles im wahrsten Sinne
des Wortes hinter seinem Rücken eingefädelt worden.
## Handfeste Beleidigung
Und auch wenn niemand die Vokabeln „geschasst“ oder „abgehalftert“ in d…
Mund nahm: Eigenartig war schon, dass Orchesterchef Dobschall über Gilbert
sagte, jetzt habe man einen „kompletten Dirigenten, der alles kann“. Eine
handfeste Beleidigung für Hengelbrock, dessen Konzerte Alter Musik auf
historischen Instrumenten so feinsinnig wie sensibel sind. Paradebeispiel
war das Gastspiel von Hengelbrocks Balthasar-Neumann-Ensemble mit Henry
Purcells „Dido und Aeneas“ 2016 in Hamburg. Da stimmte jede Schwingung, die
Musiker passten einander sogar im Dunkeln auf die Millisekunde ab. Dirigent
und Ensemble wurden eins, sie erlebten, erzählten, atmeten das Stück, es
war die perfekte Osmose.
Warum sich das NDR-Orchester unter Hengelbrock, etwa bei Haydns
„Schöpfung“, so inhomogen präsentierte, wobei die Geigen stur an den Flö…
vorbeimusizierten und die Posaunen ihrem Ego-Trip frönten: Man weiß es
nicht. Ist Hengelbrocks eher demokratisches Dirigat an dem großen
Klangkörper gescheitert? Oder an der Gruppendynamik des Orchesters, das als
schwierig, wenn nicht sogar als Dirigentenschleuder gilt?
Er habe sich mehr Engagement des Orchesters gewünscht, hat Hengelbrock
jetzt gesagt. „Ich hatte gehofft, dass die Musiker regelmäßig in kleinen
Gruppen proben, dass die Kammerorchesterarbeit weiter gedeiht und ins
Orchester ausstrahlt.“ Aber vielleicht ist das nicht üblich bei diesem
öffentlich finanzierten, genau auf Arbeitszeiten achtenden Orchester, das
eben kein freies, sich vom Enthusiasmus nährendes Ensemble ist.
Aber welches auch immer die Gründe für die Defizite des
NDR-Elbphilharmonie-Orchesters waren, die durch die Akustik des neuen
Konzertsaals umso stärker auffielen: Diesen unwürdigen Abgang hat
Hengelbrock nicht verdient, und man wunderte sich schon lange, dass er das
klaglos hinnahm.
Immerhin hat ihn jetzt, ein halbes Jahr danach, doch noch die Wut gepackt:
Die Art, wie der NDR seinen Abgang kommuniziert und inszeniert habe, sei
„sehr unerfreulich“ gewesen, sagt er. In der Tat hatte der NDR zumindest
billigend in Kauf genommen, dass Hengelbrocks Abgang unfreiwillig wirkte,
und sein Image stark geschädigt. Das Vorgehen des Senders habe „einen ganz
falschen Zungenschlag in die Sache gebracht“, sagt Hengelbrock. Deshalb
gehe er.
Genau dieses kommunikative Ungeschick hat der NDR jetzt erneut bewiesen: Um
die künstlerische Arbeit auf hohem Niveau zu gewährleisten, habe man die
Saison 2019/20 schon zum Sommer 2017 mit dem neuen Chefdirigenten Alan
Glibert festlegen müssen, lässt sich Orchestermanager Dobschall in einer
Pressemitteilung zitieren. Doch die Rechtfertigung trägt nicht. Denn wenn
man Hengelbrocks angebliche Abgangswünsche so lange geheim halten konnte:
dann wären ein paar Wochen Schweigen über Alan Gilbert wohl auch drin
gewesen.
11 Dec 2017
## AUTOREN
Petra Schellen
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