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# taz.de -- Ein Jahr Elbphilharmonie: Kein Haus für alle
> Das erste Jahr von Hamburgs Elbphilharmonie war wie ein kleines Leben –
> mit Flüchtlings-Konzerten, beleidigten Dirigenten und kollabierenden
> Karten-Servern.
Bild: Ins rechte Licht gerückt: Die Elbphilharmonie in der Hamburger Abendsonne
HAMBURG taz | Und was haben wir jetzt von der Chose? Von dem Gewese um
Hamburgs Elbphilharmonie, eröffnet vor einem Jahr mit allerlei Prominenz
einschließlich der Kanzlerin? Chöre und Orchester, Sänger, Tänzer und
Performer konnten wir dort erleben, haben das Gebäude von Animationen und
Feuerwerk beleuchtet gesehen. Manchmal hat die Musik, wie im Sommer 2017,
umsonst und draußen vor der Tür gespielt, meist aber in den beiden Sälen.
Nobel ausgestattet das Ganze, mit erlesenem Holz, mundgeblasenen Lampen und
anthroposophisch angehauchten Säulen – von der berühmten „Weißen Haut“…
Großen Saal ganz zu schweigen. Und redlich hat sich Intendant Christoph
Lieben-Seutter bemüht, das Politiker-Mantra vom „Haus für alle“ einzulös…
Klassik, Jazz und Weltmusik, auch mal ein Laienorchester hat er geboten
sowie – auf Initiative von Thomas Hengelbrock, Chefdirigent des
NDR-Elbphilharmonie-Orchesters – preisgünstige „Konzerte für Hamburg“.
Hinter den Kulissen sind derweil Dirigenten gekommen und gegangen; gut
erinnerlich noch die unwürdige Ablösung Hengelbrocks zu 2019 – worauf der
schon zum Sommer 2018 hinwarf.
Durch die Blitz-Berufung seines Nachfolgers Alan Gilbert hatte er sich
durch den NDR gedemütigt gefühlt. Und wie um das zu bestätigen, dirigiert
am 11.1.2018, dem Jahrestag des Eröffnungskonzerts, Ex-Ex-Ex-Chefdirigent
Herbert Blomstedt die NDR-Elbphilharmoniker. Und nicht Hengelbrock, der den
Musikern kürzlich „wenig Eigeninitiative“ attestierte.
Die kann man den Zuhörern nicht vorwerfen. Redlich haben sie sich bemüht,
Karten zu erwerben, und doch ist die Partizipation oft gescheitert: Wer im
Internet buchte, musste schnell sein, denn der Server kollabierte zwei
Spielzeiten hintereinander bei Verkaufsbeginn; nach seiner Reanimation war
oft alles ausverkauft.
## Lange Wartezeiten am Vorverkaufsschalter
Und wer persönlich zum Vorverkaufsschalter kam, brauchte eine gute
Kondition und viel Zeit. Etliche Karten haben auch Kulturreise-Veranstalter
aus dem Umland abgegriffen; bis zu 20 solcher Busse standen oft vorm
Elbphilharmonie-Eingang.
Was dazu führte, dass viele Hamburger unbesehen das erstbeste Konzert
buchten. Plastisches Beispiel sind die vom Veranstalter süffisant „Blind
Date“ genannten Konzerte ohne vorab verkündetes Programm, die genauso
ausverkauft waren wie alles andere.
Sicher, es war wenig hilfreich, dass Intendant Lieben-Seutter irgendwann
sagte, derzeit könnten auch „Putzfrauen auf dem Kamm blasen“, das Haus
werde ohnehin voll. Später hat er das umformuliert in: „Ich könnte hier
Blockflöte spielen, und alle kämen“ – aber der diskriminierende Satz war …
der Welt.
## Die Plaza als Aussichtsturm
Inhaltlich hat der Intendant natürlich recht, und derzeit kann man den Run
auf die Anfangs-Euphorie schieben, auf den Wunsch, das sündteure Gebäude
wenigstens anständig in Besitz genommen, quasi trockengewohnt zu haben. Und
die keine Karte bekommen, nutzen die Plaza als Aussichtsturm, verdrängend,
dass man vom Michel aus viel besser sieht. Sie bewundern den Hafen, als
sähen sie ihn zum ersten Mal, laben sich an den Edelmaterialien, haben Teil
an der Verschwendung von Geld und Raum.
Dann gehen sie wieder, einige werden später ein Konzert besuchen,
vielleicht gar, weil es „schick“ ist, ein Abo kaufen. Aber ist das
repräsentativ auch für „Problemstadtteile“ wie Mümmelmannsberg und
Steilshoop?
An Bemühungen hat es nicht gefehlt. Schon Jahre vor Eröffnung startete das
musikpädagogische Programm der Elbphilharmonie in Schulen und
Stadtteilzentren. Nur selten konnte man die Menschen benachteiligter
Stadtteile allerdings bewegen, ins Konzert zu kommen, hat Lieben-Seutter
einmal zugegeben.
## „Salam Syria“ führte zu einem gemischten Publikum
Da war es leichter, eine andere Noch-Randgruppe, die Flüchtlinge, in die
Elbphilharmonie zu lotsen. Trigger war das Festival „Salam Syria“, das
syrische geflüchtete Sänger und Instrumentalisten zum Musizieren mit
deutschen KollegInnen einlud, und ihre Freunde als Zuhörer dazu. Da war die
Elbphilharmonie erfreulich gemischt bevölkert, und so ist es seither immer
mal wieder, den Flüchtlings-“Konzertpaten“ sei Dank.
Ambitioniert und hoch aktuell geriet auch das Konzert „Routen der
Sklaverei“. Eine freundliche Osmose europäischer, karibischer und
afrikanischer Musik erklang, und sie versöhnte, was politisch noch nicht
aufgearbeitet ist: Vor wenigen Tagen hat sich die Bundesregierung erneut
geweigert, die Akten der wegen kolonialistischen Völkermords klagenden
Herero und Nama anzunehmen.
Eine kluge Konzertidee war es auch, sowohl an einzelnen Abenden als auch im
Elbphilharmonie-Gesamtprogramm Genregrenzen zu lockern, Klassik mit
traditioneller Musik, Avantgarde mit Jazz zu mischen und auch
innermusikalische Hierarchien einzureißen.
## Die Akustik wurde für klassische Musik konzipiert
Trotzdem: Das Grunddilemma der Elbphilharmonie, dass die Akustik beider
Säle explizit für „elitäre“ Klassik konzipiert wurde, bleibt. Daran
änderten auch die schalldämpfenden Tücher beim Konzert der „Einstürzenden
Neubauten“ nichts. Und als ob sie sich schämten, ihr „Haus für
alle“-Versprechen nicht einzulösen, lassen sich die Verantwortlichen immer
wieder zu Kindereien hinreißen. Jüngstes Beispiel ist ein Video mit Walzer
tanzenden Fensterputzern zu Neujahr 2018.
Aber vielleicht läuft so etwas ja auf Facebook und den anderen
Internet-Kanälen, auf denen man das ersehnte jugendliche Publikum
herzubeamen sucht. Allerdings, wo Neues hersoll, muss Altes weg, und die
ersten Schritte sind getan: halsbrecherische Stufen haben etliche Senioren
zum Rückzug in die alte, ebenerdige Laeiszhalle bewogen. Zudem hat man die
Zahl der Abos – und damit der älteren Stammkunden – reduziert, um mehr
Adhoc-Karten für die spontaner planende Jugend zu haben.
Ob die aber jemals in Massen kommen wird, weiß niemand, denn derzeit
stürmen einfach alle diesen akustisch perfekten Saal mit seiner –
tatsächlich demokratischen – Zuschauer-Arena, wo man schnell mit dem
Nachbarn ins Gespräch kommt.
Worüber? Über Musik natürlich und die Qualität des jeweiligen Konzerts. Tut
das auch die ganze Stadt, hat die Elbphilharmonie also auch die einst
Unmusikalischen bekehrt und erzieherisch gewirkt? Das mag sich der
Musikfreak heftig wünschen, belegen kann er es nicht. Denn er spricht ja
meist mit seinesgleichen.
7 Jan 2018
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Elbphilharmonie
Hamburg
Schwerpunkt Stadtland
Deutscher Kolonialismus
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