# taz.de -- Gendergerechte Sprache: Papa und das Sternchen | |
> Moderatorin Petra Gerster gendert in den „heute“-Nachrichten. Und | |
> plötzlich sitzt man beim eigenen Vater und spricht über Feminismus. | |
Bild: Für manche Menschen Stern des Anstoßes: Die eifrig gendernde Petra Gers… | |
Heute möchte ich übers „Gendern“ reden. Das ist recht ungewöhnlich, denn | |
eigentlich will ich nie übers Gendern reden. Ich möchte gendern – darüber | |
reden wollen andere. Sie sagen dann, das sei doch Unsinn: die Idee, dass | |
Sprache die Wirklichkeit so forme, dass die „realen Probleme“ dadurch | |
weggingen. | |
Sie sagen, dass der Effekt von bewusst veränderten Wörtern so unschätzbar | |
groß nicht sei, dass sich dafür die Mühe lohne. Und sie haben recht. | |
Natürlich ist es nicht so, dass Gleichheit steigt und Sexismus sinkt mit | |
jedem Gendersternchen, das wir in die Welt hinein kehlkopfknacken. | |
Deshalb bin ich normalerweise absolut dafür, lieber über die [1][„realen | |
Probleme“] zu reden. Aber heute ist es anders. Heute will ich übers Gendern | |
reden. Grund dafür ist mein Vater. | |
## „Gendern“ mit G wie Günter | |
Der kündigte neulich an, er wolle sich mit mir übers Gendern unterhalten | |
(„Gendern“ mit G wie „Günter“). Dass mein Vater darüber reden will, h… | |
nicht etwa ich erreicht – mit all meinen Semestern Gender Studies, sondern | |
Petra Gerster, indem sie einen Abend bei Maischberger gesessen hat. | |
Petra Gerster kehlkopfknackt in den „heute“-Nachrichten [2][und ist auch | |
bereit, zu erläutern, warum]. Und plötzlich sitze ich bei meinem Vater und | |
er berichtet von Dingen, die er früher mal zu Frauen gesagt hat und die er | |
jetzt so nicht mehr sagen wolle. | |
Er erzählt, dass er sich früher manchmal einen Spaß daraus gemacht habe, | |
Gruppen gemischten Geschlechts mit „Hallo Männer!“ anzusprechen, und dass | |
er heute besser verstehe, warum das die anwesenden Frauen so verärgert | |
habe. Und ich erzähle vom Handballverein, in dem die älteren Jungs uns Neue | |
mit „Mädels“ anredeten, um uns unseren Platz zuzuweisen. | |
Ich berichte von [3][der Studie der Freien Universität mit sechshundert | |
Grundschulkindern]. Die ergab, dass die Kinder sich bestimmte Berufe eher | |
zutrauten, wenn sie zuvor sowohl in der männlichen als auch in der | |
weiblichen Form vorgelesen worden waren. Und mein Vater nickt verstehend. | |
## Über Sprache sprechen | |
Gendert mein Vater also ab sofort? Wahrscheinlich nicht. Nicht mit G wie | |
„Günter“ und ganz sicher nicht mit G wie „Gina“. Mein Vater ist über … | |
zwischen uns passt fast ein ganzes Boomer-Leben. Es geht mir auch nicht | |
darum, ob er gendert. Es geht mir darum, dass wir einen angenehmen | |
Austausch über Feminismus hatten. Und zwar, weil Petra Gerster gendert. | |
Gerechte Sprache macht nicht automatisch eine gerechte Welt, jedenfalls | |
nicht nach dem Prinzip „Sprich nur ein gegendertes Wort, so wird meine | |
Seele gesund“. Aber unsere Sprache ist uns eins der liebsten, teuersten | |
Dinge. Der launische, verletzliche Teil unseres Selbst, mit dem wir in den | |
Sturm der Menschengesellschaft reinragen. Veränderungen in der Sprache | |
berühren uns, greifen uns an, bringen uns auf. Sie zwingen uns, uns zu | |
verhalten zu den Dingen, über die da gesprochen wird. | |
Wo also besser anfangen, über etwas zu sprechen, als bei der Sprache | |
selbst? | |
19 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Sexualisierte-Gewalt/!5754805 | |
[2] /ZDF-Moderatorin-uebers-Gendern/!5741686 | |
[3] https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2015/fup_15_223-einfluss-… | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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