| # taz.de -- Gespräch über Gender und Sprache: „Eine Frage der Haltung“ | |
| > Veränderung muss von unten kommen, sagt Lann Hornscheidt. Wichtig sei, | |
| > von der Idee wegzukommen, es gäbe Sprachregeln. | |
| Bild: Das Sprechen, auch bei alltäglichen Begegnungen wie hier, prägt die Wir… | |
| taz: Lann Hornscheidt, die bundesdeutsche Gesellschaft streitet seit fast | |
| 40 Jahren ums Binnen-I, seit 20 um den Gender-Gap, [1][seit 10 ums | |
| Gendersternchen]. Machen wir Fortschritte oder drehen wir uns im Kreis? | |
| Lann Hornscheidt: Wir machen Fortschritte! Ganz anders als noch vor wenigen | |
| Jahren ist heute gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, dass Sprache | |
| Wirklichkeit prägt. Es ist geradezu eine Revolution, dass der Duden seit | |
| Kurzem benennt, dass „Lehrer“ nicht für „Lehrkraft“ steht, sondern für | |
| „männliche Lehrkraft“. Eben erst war geschlechtersensible Sprache | |
| Titelthema des Spiegel. Es ist sagenhaft, wo uns diese Debatte innerhalb | |
| weniger Jahrzehnte hingeführt hat. | |
| Der Spiegel-Titel war in Anlehnung an den Duden „Dud*in“. Das sollte lustig | |
| oder provokant sein, wirkte aber vor allem ewiggestrig. Das ist doch kein | |
| Fortschritt. | |
| Der Titel war polemisch, so ist der Spiegel nun mal. Für jede | |
| diskriminierungskritische Veränderung, die Strukturen angreift, gilt: | |
| [2][Die Hegemonie fühlt sich bedroht.] Menschen, die an Altem festhalten | |
| wollen, werden unterschiedliche Strategien dagegen auffahren: polemisieren, | |
| totschweigen, Argumente diskreditieren. Aber auch das zeigt: Es ist | |
| wichtig, Sprache zu verändern. | |
| Es gibt sogar Rückschritte: Vor fast drei Jahren wurde die | |
| Personenstandskategorie „divers“ eingeführt. In Jobbeschreibungen heißt es | |
| jetzt meistens: Lehrer gesucht (m/w/d). Ist es das, was Sie wollten? | |
| Auf keinen Fall! Auch so was gehört zur Abwehr und zeigt, wie tief | |
| Männlichkeit als Norm für Allgemeinmenschliches in uns festsitzt. | |
| Gleichzeitig gibt es viele ganz andere Beispiele, auch in der Wirtschaft | |
| oder den Medien: Ein so großes Unternehmen wie Audi gendert jetzt. Der RBB | |
| überlegt, wie gegendert werden soll. Entscheidend ist: Es gibt eine | |
| kontinuierliche öffentliche Diskussion. Das zeigt: Diskriminierende | |
| Sprachpraktiken sind nicht mehr selbstverständlich. Wir können nicht ohne | |
| Weiteres wie bisher sprechen, sondern müssen uns etwas Neues überlegen. | |
| Sie führen in Ihrem Buch das genderneutrale Pronomen „ens“ ein, außerdem | |
| die Endung „ens“, den bestimmten Artikel „dens“ und das Fragepronomen | |
| „wens“. Wie haben Sie diese Formen entwickelt? | |
| Ens ist der Mittelteil des Wortes „Mensch“. Ich wollte eine Form, die | |
| tatsächlich genderfrei ist. Es gibt viele Situationen im Sprechen, in denen | |
| wir die gut brauchen können. Weiter auszudifferenzieren, wie es das | |
| Sternchen macht, heißt auch: soziale Kategorien immer weiter tragen. Aber | |
| Genderungen an sich sind auch Teil der Diskriminierungsstruktur. | |
| Langfristig würde ich hoffen, dass wir aufhören können, die soziale | |
| Kategorie Geschlecht zu brauchen. | |
| Nur noch die neutrale Form für alle? | |
| Nein, wir müssten uns stattdessen genau überlegen: Wann geht es um | |
| Sexismus, oder, wie ich es nenne, Genderismus? Und wann geht es um etwas | |
| Allgemeinmenschliches? Wenn eine Doktorandin aufgrund ihres Geschlechts | |
| nicht fachlich ernst genommen wird, sollten wir sie als Doktorandin | |
| benennen. Oder, noch besser, sagen: Hier handelt es sich um Sexismus. Aber | |
| wenn es um Allgemeinmenschliches geht, wäre es doch ganz wunderbar, wir | |
| würden statt „Liebe Bürgerinnen und Bürger“ sagen: „Liebe Bürgens.“… | |
| wäre einfach, ohne Männlichkeit und Weiblichkeit als die einzigen beiden | |
| Genderkategorien und als überhaupt relevant in so einer allgemeinen | |
| Ansprache aufzurufen. | |
| Neue Pronomen, Artikel, Endungen, Deklinationen, Falltabellen: Ist das eine | |
| neue Sprache, die Ihr Buch beschreibt, eine neue Grammatik? | |
| Ich hoffe, dass es einen Wiedererkennungswert zum Deutschen gibt (lacht). | |
| Unser Buch beschreibt Möglichkeiten und Inspirationen, sich eine eigene | |
| innere Grammatik des Respekts zuzutrauen. Ja’n Sammla und ich geben keine | |
| Regeln vor: Wir machen ein Angebot, die eigene Sprache respektvoll zu | |
| verändern. Wir alle haben die Verantwortung dafür, uns Sprache | |
| diskriminierungskritisch anzueignen. | |
| Wie sollen die Vorschläge des Buchs in breitere Teile von Gesellschaft | |
| gelangen? | |
| Wie jede diskriminierungskritische Sprachveränderung: Über Communities und | |
| Menschen – auch Journalistens, die ihre Sprache gewaltfrei gestalten | |
| wollen. Das sickert ein in den Literaturbetrieb, in Schulen und Unis, in | |
| Gesellschaft. Momentan benennen zum Beispiel viele die Personalpronomen, | |
| mit denen sie angesprochen werden möchten, in Online-Vorstellungsrunden | |
| oder in der E-Mail-Signatur. | |
| Sprache verändert sich von unten? | |
| Diskriminierungskritische Sprachveränderungen können nicht von oben kommen. | |
| Ich halte es für essenziell, dass wir von der Idee wegkommen, es gäbe | |
| irgendeine Verordnung oder Regel, die Druck ausübt und die einzig korrekte | |
| ist. Momentan wird viel diskutiert, ob eine bestimmte Form verwendet werden | |
| muss, ob wir noch so und so sprechen dürfen. Aber es geht nicht um das | |
| Wissen, diese Wörter muss ich benutzen oder darf ich nicht mehr benutzen – | |
| es geht darum: Will ich das? Sprache ist eine Frage der Haltung. Sie ist | |
| ein von allen sowieso immer gestaltetes Instrument der Verständigung und | |
| des Ausdrucks. Das Schöne: Wir können es kreativ anwenden, um | |
| Diskriminierung zu vermeiden. Wie genau das aussieht, kann jeder Mensch | |
| selbst überlegen. An der Stelle gehe ich übrigens konform mit der taz, die | |
| ja sagt: Jede Person muss selbst wissen, wie sie gendert. | |
| Das ist die Praxis in der Redaktion. Aber es gibt keine Übereinkunft, | |
| möglichst diskriminierungsfrei zu schreiben. | |
| Das würde aber den großen Unterschied machen. Von einer Zeitung wie der taz | |
| würde ich mir ein klares Eintreten für diskriminierungsfreies Schreiben | |
| als Grundsatz wünschen. Und das heißt ganz klar: keine männlichen Formen | |
| für alle Menschen. Jenseits dessen sollten wir nicht darauf zurückfallen, | |
| uns auf genau eine Form festzulegen, nur diese zu benutzen und zu sagen, | |
| jetzt ist alles gut. Wir brauchen im Gegenteil eine Offenheit dafür, immer | |
| wieder neu hinzuschauen und unsere Wirklichkeit respektvoll zu gestalten. | |
| Sprache ist dynamisch. | |
| Die Dynamik kann überfordern: Immer neue Endungen, immer neue Pronomen. | |
| Reicht es nicht aus, sich auf eine Form festzulegen? | |
| Wenn sich Menschen überfordert fühlen, ist das oft ein Ausdruck davon, dass | |
| sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Ich würde mir wünschen, dass die | |
| Diskussion dahingeht zu fragen: Wie kann ich respektvoll sein? An der Frage | |
| „Wo kommst du her?“ hat sich sehr deutlich gezeigt, dass vielen | |
| Privilegierten gar nicht auffällt, wie rassistisch dies als Frage an eine | |
| nichtweiße Person ist. Um das wahrzunehmen, muss ich als weiße Person offen | |
| sein, meine Normalität als häufig diskriminierend zu reflektieren. Da geht | |
| es nicht um richtig oder falsch, sondern um Respekt. | |
| Als Sie vor einigen Jahren noch aus der Uni heraus den [3][Vorschlag der | |
| Endung „ex“ gemacht haben] – „Profex“ zum Beispiel – haben Sie mass… | |
| Anfeindungen und Drohungen erlebt. Braucht es einen solchen Schock, wie Sie | |
| ihn damals produziert haben, um etwas zu verändern? | |
| Was ich damals vorgeschlagen habe, war nur eine Form für mich selbst. Jede | |
| heftige emotionale Reaktion auf Vorschläge wie diesen zeigt, wie wichtig es | |
| ist, wie wir sprechen: Sprache ist ein zentrales Handlungsinstrument, das | |
| Gruppen herstellt, bewertet und manchmal ausschließt. Es braucht keinen | |
| Schock, aber ein verändertes Sprechen ist offenbar ein Aufrütteln dazu, | |
| dass wir Menschen wieder als Menschen wahrnehmen könnten, ohne | |
| essenzialisierende Identitäten. | |
| Hatte Ihr Rückzug aus der Uni und hin zum Verlag, in dem Sie jetzt das Buch | |
| herausgegeben haben, mit den Anfeindungen zu tun? | |
| Nein. Ich habe die Anfeindungen nicht persönlich genommen, die Absendenden | |
| kennen mich als Person ja gar nicht. Sondern als Ausdruck dessen, dass die | |
| Aufweichung von Geschlechterrollen manche Menschen zutiefst verunsichert. | |
| Ich war ein Ventil, diese Verunsicherung zum Ausdruck zu bringen. Ich würde | |
| mir eine Gesellschaft wünschen, in der wir lernen, unsere Bedürfnisse und | |
| Gefühle in einer adäquateren Form auszudrücken und ins Gespräch zu kommen. | |
| [4][Mit dem Buch greifen Sie wieder offen in die Sprachdebatte ein]. Die | |
| neuen Vorschläge reichen sehr weit, fürs Deutsche gab es so etwas noch nie. | |
| Erwarten Sie ähnliche Anfeindungen? | |
| Ich erwarte so etwas nie. Das ist keine Kommunikation, das ist Gewalt, und | |
| auf Gewalt reagiere ich nicht. Ich erwarte im Gegenteil Interesse, Neugier, | |
| Inspiration und Versuche, neue Ausdrucksformen zu finden. Ich konzentriere | |
| mich auf Konstruktives, Verbindendes. Nur so sind soziale Veränderungen | |
| möglich. | |
| 31 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
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