| # taz.de -- Autorin Ursula Le Guin: Die Dinge im Beutel | |
| > Ein kleiner Essayband der amerikanischen Autorin Ursula K. Le Guin macht | |
| > Lust auf mehr. Sie fragte nach Alternativen des Zusammenlebens. | |
| Bild: Die amerikanische Autorin Ursula Le Guin | |
| Vor drei Jahren starb die amerikanische Autorin [1][Ursula K. Le Guin.] In | |
| Deutschland ist sie nur deshalb nicht so bekannt, wie ihr eigentlich | |
| gebührte, weil ihre Romane irgendwo im Genregebiet zwischen Fantasy und | |
| Science-Fiction angesiedelt sind und deshalb nach ungeschriebenen, also | |
| kaum reformierbaren deutschen Kategorisierungsregeln nicht zur „Literatur“ | |
| gehören. | |
| Deshalb konnte es wohl auch passieren, dass [2][Le Guins essayistische | |
| Arbeiten] hierzulande unbekannt, das heißt weitgehend unübersetzt geblieben | |
| sind. Im kleinen Drachen Verlag ist ein Büchlein erschienen, das eine | |
| Handvoll zu verschiedenen Anlässen entstandene Texte enthält, herausgegeben | |
| und in ein schönes, schwungvolles Deutsch übertragen von Matthias | |
| Fersterer. | |
| Le Guin tritt darin als klarsichtige, unerschrockene, streitbare und | |
| humorvolle Denkerin auf – und man würde das Attribut „originell“ hinzuf�… | |
| wollen, wenn sie sich in ihren Argumentationen nicht stets explizit auf | |
| andere beziehen würde. Nicht zuletzt muss sie eine große Leserin gewesen | |
| sein. | |
| Der titelgebende Essay „Am Anfang war der Beutel“ greift eine These der | |
| feministischen Autorin Elizabeth Fisher auf, die in ihrem Buch „Woman’s | |
| Creation. Sexual Evolution and the Shaping of Society“ (1979) geschrieben | |
| hatte: „Das erste Werkzeug war wahrscheinlich ein Behältnis … Vielen | |
| Theorien zufolge handelte es sich bei den ältesten kulturellen Erfindungen | |
| um Behältnisse zum Transport von Gesammeltem und um eine Art Tragetuch oder | |
| Tragenetz.“ | |
| ## Bewahren oder aufspießen | |
| Der Tragebeutel steht symbolisch für eine friedliche, selbstgenügsame Art | |
| von Gesellschaft, in der Subsistenz nicht durch Gewalt erreicht werden | |
| muss, sondern bedeutet zu sammeln, zu tragen und zu bewahren. Ganz anders | |
| etwa der Speer – oder auch der Knochen, mit dem in Kubricks „2001“ ein | |
| Urmensch einen anderen erschlägt. | |
| Solche Werkzeuge allerdings, gibt Le Guin zu bedenken, bedeuten nicht nur | |
| Gewalt und Aggression, sondern gleichzeitig menschliches Drama sowie | |
| Entwicklung – also gute Geschichten. Im Vergleich dazu, schreibt sie, sei | |
| es „schwer, eine wirklich packende Geschichte davon zu erzählen, wie ich | |
| erst einer wilden Haferspelze ein Haferkorn abgerungen habe und dann noch | |
| einer und dann noch einer.“ Und doch sei sie Anhängerin einer | |
| „Tragetaschentheorie des Erzählens“. | |
| Zwar habe im Roman traditionellerweise „der Held oft die Macht an sich | |
| gerissen“. Das gelte, so schreibt sie an anderer Stelle, auch für ihre | |
| eigene Literatur. Sie habe früher so geschrieben – und damit meint sie | |
| auch: männliche Helden in den Fokus ihrer Erzählungen gestellt. Im Vorwort | |
| zur aktuellen englischsprachigen Gesamtausgabe ihrer „Erdsee“-Saga | |
| beschreibt sie ihre gedankliche Emanzipation von dieser früheren Prägung | |
| mithilfe dessen, was „in unserer Gesellschaft Feminismus genannt werden | |
| muss“. | |
| ## Sich zu allem anderen in Beziehung setzen | |
| Eigentlich aber sei der Roman „im Kern eine unheroische Form des Erzählens“ | |
| – und im Prinzip so etwas Ähnliches wie ein großer Sack. Ein Beutel. Und so | |
| sei denn ihre eigene Science-Fiction „so wie jede ernstzunehmende | |
| erzählende Literatur […], ein Versuch, das zu beschreiben, was passiert, | |
| […] wie Menschen sich zu allem anderen in diesem riesigen Sack Befindlichen | |
| in Beziehung setzen.“ | |
| Das ist die friedfertige Beutelpoetik der Ursula K. Le Guin. Die | |
| Programmatik des ersten Textes in diesem Buch findet sich, auf eine je | |
| etwas andere Ebene gehoben, in den anderen Beiträgen des Essaybands wieder. | |
| Euklidisch und nichteuklidisch, Yin und Yang (Le Guin beschäftigte sich | |
| intensiv mit dem Taoismus), Utopie, Eutopie, Dystopie werden einander | |
| gegenübergestellt und gegeneinander aufgewogen; und nicht zuletzt wird das | |
| Erzählen über Haferkörner in sein Recht gesetzt. Le Guin wollte weder | |
| Fantasy noch Science-Fiction im herkömmlichen Sinn schaffen; ihre | |
| literarischen Visionen hatten eine andere Zielrichtung. | |
| „Fantasy klammert am Feudalismus, Science-Fiction an militärischen und | |
| imperialen Hierarchien“, schreibt sie. Auch dem Utopiebegriff stand sie | |
| skeptisch gegenüber. In den Essays dieses Bändchens zeigt Ursula K. Le Guin | |
| sich als Autorin, deren Denken darum kreist, welche alternativen | |
| Möglichkeiten des Zusammenlebens der Menschheit zur Verfügung stünden – und | |
| auf welche Weise diese sich in der Literatur spiegeln können. | |
| Vielleicht war Le Guin ja mit vielem, was sie schrieb, zu früh dran. Doch | |
| in der Populärkultur haben viele ihrer Ideen an anderer Stelle Wurzeln | |
| geschlagen. [3][James Camerons Film „Avatar“ zum Beispiel basiert auf ihrem | |
| Roman „Das Wort für Welt ist Wald“ von 1976]. Viele Elemente aus „Game of | |
| Thrones“ sollen auf Werke von Le Guin zurückgehen. Und wer weiß, ob es ohne | |
| die Zauberschule aus Le Guins erstem „Erdsee“-Roman je Hogwarts und Harry | |
| Potter gegeben hätte. | |
| Bei der Verleihung des US-amerikanischen National Book Award an Ursula K. | |
| Le Guin im Jahr 2014 erzählte ihr Kollege Neil Gaiman in der Laudatio (es | |
| gibt den Ausschnitt auf Youtube), wie großartig er es sich als Elfjähriger | |
| nach der Lektüre von „Der Magier von Erdsee“ vorgestellt habe, auf eine | |
| Zaubererschule zu gehen. Da sei er wohl nicht der Einzige gewesen, fügt er | |
| vielsagend hinzu: „Andere hatten dazu dann ihre eigenen Ideen. Aber Ursula | |
| war die erste!“ | |
| 11 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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