# taz.de -- Rollenverständnis in "Avatar": Der Mann, der den Drachen zähmte | |
> In "Avatar" hat die soldatische Männlichkeit ausgedient. Der neue Mann, | |
> wie die Kulturindustrie ihn sich vorstellt, lernt von sportlichen Frauen | |
> Weiblichkeit und behält die Führung. | |
Bild: Sam Worthington (li) und Zoe Saldana als ihr digitaler Character Neytiri. | |
"Avatar" ist der erfolgreichste Film aller Zeiten; und markanterweise | |
lautet seine weltweit goutierte Botschaft: Jetzt muss sich der weiße Mann | |
aber wirklich dringend neu erfinden. Ansonsten bomben die Amis die Welt | |
einfach weiter und dann auch endgültig zu Tode. | |
Blockbuster zeigen, was die globale Kulturindustrie in diesem Moment denken | |
kann und denken will. Das macht sie politisch relevant. Denn das | |
Bemerkenswerte am global operierenden Kinospaß ist ja: Die Filme werden | |
kulturübergreifend verstanden. Es gelingt ihnen, weltweit zu unterhalten, | |
also zu überraschen, ohne zu überfordern. | |
Regisseur James Cameron erzählt die Geschichte vom kriegsversehrten | |
US-Soldaten, der in der imaginären Welt des Netzes zu einem kraftvollen und | |
katzenhaft geschmeidigen Körper findet. Seinen Avatar, also seine digitale | |
Identität, nimmt er als seine eigentliche Natur an und kommt damit endlich | |
zum Frieden. Diese in grellbunte Farben gekleidete Fabel ist weltweit noch | |
ein bisschen beliebter als Camerons zuvor produzierte Romanze "Titanic". In | |
dieser liebt der gute Proletarier die Dame von Adel nicht nur, er rettet | |
sie auch und endet ob seiner Ritterlichkeit tragisch im eisigen Meer. | |
Männer lernen von Frauen | |
Auch "Avatar" stellt die Frage nach der Rettung. Diesmal allerdings nicht | |
der ständischen Ordnung, sondern einer Welt, der die Ressourcen ausgehen. | |
Und stellt fest: Der Soldat als Urfolie für den Kämpfer hat ausgedient. | |
Denn entgegen seines Auftrages sichert er keinen Lebensraum mehr: Er | |
vernichtet ihn. Wollen Männer weiterhin die Welt retten und anführen - und | |
das wollen sie -, benötigen sie ein massiv verändertes Selbstverständnis. | |
Sie müssen sich ein neues Wissen aneignen. Sie müssen sich vernetzen, sie | |
müssen wieder in Dialog mit dem Anderen treten. Camerons Kritik am | |
dumpf-aggressiven weißen Mann ist radikal. Entsprechend viel hat seine | |
Hauptfigur namens Jake Sully zu lernen. Vor allem von weisen, sportlichen | |
Frauen. | |
Der neue Mann, und das ist entscheidend, entspringt bei Cameron nicht dem | |
Wunsch emanzipierter Frauen, sondern er wird aus einer klar männlich | |
ausgewiesenen Perspektive eingefordert. "Avatar" ist alles, aber kein | |
chickflick, kein Frauenfilm, es ist ein romantischer Kriegsfilm. Und er | |
wirbt für die souveräne Verweiblichung seines Helden. | |
In der anderen Welt, der wir Barbaren uns laut Cameron annähern müssen, | |
unterscheiden sich die Geschlechter - es gibt nur zwei - nicht großartig | |
voneinander. Frauen sind nur ein wenig kleiner, nur ein wenig schmaler und | |
bedecken ihre barbusige Brust ebenso wie ihre männlichen Kameraden mit dem | |
bunten Schmuck des Jägers. Ob männlich, ob weiblich, der Navi steht in | |
Verbindung, er ist vernetzt. Sein nach chinesischem Vorbild geflochtener | |
Zopf etwa ist die lebendige Verbindungsschnur zu seinem Drachen, der ihn | |
durch die Lüfte trägt - und jedem Kampfhubschrauber überlegen ist. | |
Mit aller Macht versucht Cameron, wehrhafte Männlichkeit und | |
Lernbereitschaft miteinander zu versöhnen. Der bedrohte Mann hört zu: | |
selbst Frauen, selbst offenkundig überlegenen Frauen, denn die verwalten | |
ein für ihn relevantes Wissen. Mit ihrer Hilfe lernt er die fremde Pflanze, | |
das fremde Tier und die fremde Frau zu respektieren und darüber zu nutzen. | |
Anders als die soldatische Kampfmaschine stellt er seine Überlegenheit über | |
den Dialog mit dem Unbekannten her. Nicht dass er viel reden würde, er | |
beobachtet und ahmt nach, er verbindet Intuition mit höchster | |
Körperbeherrschung. Die er von seiner Liebsten lernt. Die unsportliche Form | |
der Schülerschaft nämlich lehnt "Avatar" entschieden ab. | |
Die loyale Assistentin | |
Die Wissenschaftler - verkörpert durch Sigourney Weaver - sind | |
sympathischer, aber letztlich genauso unnütz wie die Militärs. Wissen, so | |
die Botschaft, darf nicht aus Buchstaben gesogen werden, es muss erzählt, | |
am eigenen Körper erprobt und mit diesem umgesetzt werden. Statt | |
Bodybuilding steht Kampfyoga auf dem Plan. Der Soldat soll den Hippie in | |
sich entdecken. | |
Und die Frau? Sie ist zunächst genervt. Wieder so ein Trottel, den sie | |
erziehen muss. Bei jeder Gelegenheit lässt sie ihn ihre Arroganz spüren. | |
Doch bringt ihn seine Unwissenheit in Gefahr, dann schützt sie ihren | |
Schüler. Die überlegene Frau ist loyal. Und sie verliebt sich in ihn. Dank | |
ihrer Liebe unterwirft sie sich ihm nach und nach. War die Frau am Anfang | |
die unbeugsame Amazone, am Ende ist sie seine Frau. Cameron bietet uns für | |
die harmonisch wieder auf die Füße gestellte Geschlechterhierarchie | |
folgende Bilder an: Nachdem Jake den größten aller Drachen gezähmt hat, | |
setzt sie sich wie selbstverständlich hinter ihn auf das Tier. Da wäre sie | |
wieder, die klassische Aufteilung zwischen Fahrer und Beifahrerin. Damit | |
nicht genug. Nachdem sie ihn gewählt hat, tauscht sie ihren Halsschmuck aus | |
Tierzähnen und Tierkrallen gegen eine Art gehäkeltes Top ein. Dieses aus | |
der Menschenwelt bekannte Kleidungsstück bedeckt nun ihre Brust. | |
Und so lernen die Zuschauer: Will die Frau sich mit einem Mann aufs | |
Innigste verbinden, kann sie nicht mehr hauptamtlich Kämpferin in der | |
Tradition ihrer weisen Mutter sein, sie muss zurückkehren in die | |
patriarchale Ordnung. Ihre Option: Er ist der verständnisvolle Anführer, | |
sie die verlässliche, mutige Assistentin an seiner Seite. | |
Der neue starke Mann ist also nicht mehr der egomanische Krieger, er ist | |
der in Liebe verbundene Gärtner. Gleichzeitig stellt seine sanfte, auf | |
Grenzwissen basierende Herrschaft die zuvor lädierte Hierarchie zwischen | |
Mann und Frau, Weißen und Wilden wieder her. | |
Die Abschaffung des in seiner Empathielosigkeit erstarrten soldatischen | |
Mannes kann die Kulturindustrie denken. Androgynität ist ihre Utopie. | |
Gleichberechtigung hingegen scheint ihr noch immer zu gewagt. | |
8 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Psychiatrie | |
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