# taz.de -- Pro und contra Konzertsaal-Maskenpflicht: Allzu sensibles Publikum? | |
> Tausche Maskenpflicht gegen Spielbetrieb – ist es Konzert- und | |
> Theatergänger:innen zumutbar, den ganzen Abend FFP2 zu tragen? | |
Bild: Früher trugen die Schauspielenden Masken, jetzt ist es das Publikum: Pre… | |
## Ja, | |
Masken sind den Menschen zumutbar. Auch wenn man sie jetzt schon nörgeln | |
hören kann: die Jungen oder, sagen wir, Mittvierziger oder -fünfziger, die | |
sich plötzlich um Wohl und Wehe der Alten sorgen. Wohlgemerkt: nicht | |
generell, da hätte man die Betagten, wie FDP-Chef Christian Lindner und die | |
AfD-Granden nimmermüd betonen, am liebsten „besser [1][gegen Corona | |
geschützt]“, indem man sie ins soziale Vakuum steckte, um drumherum „ganz | |
normal“ weiterzuleben. So, als ginge Corona den Rest der Gesellschaft gar | |
nichts an. | |
Wenn’s um Vorbehalte gegen Masken in Konzert und Theater geht, könnten die | |
Senioren-allerdings wieder interessant werden. Da könnten die Älteren, bis | |
dato viel geschmähter „Silbersee“, den man baldigst durch Junge ersetzen | |
wollte, willkommenes Argument für mehr Gesichtsfreiheit im Innenraum | |
werden. Und es stimmt ja, dass herz- und lungenkranke, gar demente Senioren | |
ohne Maske besser leben. Nur, dass diese Hochbetagten, arg Gebrechlichen ja | |
nicht dieselben sind wie die „rüstigen Rentner“, die uns [2][in Konzert und | |
Theater] begegnen. | |
Gut, sagen die Maskengegner prompt, aber auch alle anderen werden im | |
Konzert unter der Maske ersticken, es jedenfalls nicht genießen können. | |
Aber mal abgesehen davon, dass die Maske nicht mit Streckbank oder anderen | |
mittelalterlichen Folterwerkzeugen vergleichbar ist – auch wenn sich immer | |
noch jeder zweite, der ein Geschäft verlässt, panisch das Teil vom Gesicht | |
reißt: Seit Ausbruch der Pandemie wurde kein einziger Fall bekannt, in dem | |
jemand unter einer Maske erstickte. | |
Weder in der Schule noch [3][im Zug] – und auf Fernstrecken sitzt man gern | |
mal vier, sechs Stunden – ist irgendwer darob zusammengebrochen, soweit man | |
weiß. Auch von Apothekern, OP-Pflegern und Chirurgen, die bei komplizierten | |
Operationen oft mehrere Stunden am Stück mit Mundschutz am Tisch stehen | |
müssen, hört man nichts dergleichen. | |
Und Menschen, die in sensiblen AKW-Bereichen oder Laboren arbeiten, die | |
Feinstaub, Lacken oder Gasen ausgesetzt sind, haben schon vor der Pandemie | |
regelhaft bei der Arbeit Masken getragen. Weil es aufgrund der Gefahren- | |
und Gefährdungslage eben nötig ist. Weil es selbst in einer modernen | |
Demokratie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gibt – auch und gerade | |
für jene, die sich als kulturaffin bzw. -beflissen bezeichnen. Und dazu | |
zählt ja wohl auch die moralische Kultur, die Kultur der Verantwortung und | |
Solidarität. | |
Und da sollen Otto und Berta Normalpaar nicht eine Stunde – so lange | |
dauerten die letzten erlaubten Coronakonzerte etwa in der Hamburger | |
Elbphilharmonie – mit Maske dasitzen können? Und sei es nur, um andere vor | |
einer Krankheit zu schützen, die oft erst Symptome zeigt, wenn man andere | |
längst angesteckt hat? Das ließe sich weder rational noch ethisch | |
begründen. | |
Petra Schellen | |
Nein, | |
auf Masken zu setzen, lastet Einzelnen, ganz neoliberal, sämtliche | |
Verantwortung auf – Solidarität geht anders. | |
Ob Mitmachende oder einfach gern Drinsitzende: Geraten ihm verbundene | |
Menschen in die Verlegenheit, die Relevanz des Theaters zu belegen, wird es | |
gern zum verkleinerten Platzhalter fürs ganz Große, dient die Bühne rasch | |
dazu, auf ihren Brettern beispielhaft durchzuspielen, was allemal gilt in | |
der angeblich wirklicheren Welt da draußen. | |
Da ist es stimmig, wenn auch die Debatte, ob seinen Besucher:innen – | |
wie auch denen von Kino und Konzert – das [4][Mund-Nase-Maskieren] | |
abzuverlangen ist, von allgemeingültigen Zutaten lebt: Ja, es geht um | |
Freiheit und um Solidarität, ums Austarieren von Rechten und Pflichten, | |
kurz: um all das, was Gesellschaften rund um den Globus seit nunmehr einem | |
Jahr auszuhandeln maximal Anlass haben. Völlig offen ist, wie lange das | |
noch so bleibt. Kurios, dass manche, wenn’s um ihre – zugegeben: lange | |
zurückgestellten – kulturellen Bedürfnisse geht, darüber sprechen, als | |
wär’s das erste Mal überhaupt. | |
Nicht überraschend, dass es den zutiefst verunsicherten Betreiber:innen | |
all der darbenden Häuser einleuchtet: Den Menschen Masken zu verordnen, ist | |
schneller getan und – seien wir ehrlich – auch einfach billiger, als etwa | |
die eigene Belüftungsanlage zu ertüchtigen; dabei ist deren Rolle für eine | |
Reduzierung des Ansteckungsrisikos ja [5][frisch erforscht]. Aber warum in | |
den unbequemen Clinch gehen mit den jeweils übers Geld Wachenden, die | |
solche Maßnahmen bewilligen müssten? | |
Wer aber hinreichend „Quelllüftung“ gewährleisten kann, der kann seine S�… | |
zur Hälfte auslasten. Das ist ganz schön viel, verglichen mit dem | |
Ist-Zustand. Kommt konsequentes Maskentragen oben drauf, geht sogar noch | |
mehr, das leuchtet ein. Aber dieses Mehr hat dann eben seinen Preis: So alt | |
wie die Coronapandemie ist ja auch das Wissen darum, dass es Menschen gibt, | |
die [6][aus absolut triftigem Grund] keine Masken tragen können. Der | |
Verweis auf andere, die ja noch viel länger Masken tragen oder von Berufs | |
wegen immer schon: Das klingt unangenehm nach der schwarzen Pädagogik des | |
„Das hat uns damals auch nicht geschadet“. | |
Denn auch das ist kaum überraschend: wie schnell die Pflichten beim jeweils | |
anderen verortet sind. Ginge als tätige Solidarität neuerdings durch, dass | |
wieder mal sich bescheidet, wer prinzipiell benachteiligt ist – weil doch | |
dadurch mehr Erlös zu erzielen ist? Einzig Eigenverantwortung zu | |
beschwören, als gäbe es keine profitierenden Institutionen, das ist schiere | |
neoliberale Ideologie [7][mit einer Cocktailkirsche Ableismus oben drauf]. | |
Eine Problemlösung aber, deren Befürworter:innen sehenden Auges ganze | |
Gruppen auszuschließen bereit sind: So eine Lösung ist manchmal keine. | |
Alexander Diehl | |
20 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[2] http://www.miz.org/downloads/statistik/131/131_Interesse_Besuche__Musikfest… | |
[3] /Die-Pandemie-hat-nicht-nur-Nachteile/!5748457 | |
[4] /Mundschutz/!t5677666 | |
[5] /!5751585/ | |
[6] /Corona-Regeln-fuer-Menschen-mit-Handicap/!5699249 | |
[7] https://www.forbes.com/sites/andrewpulrang/2020/03/30/the-coronavirus-pande… | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Alexander Diehl | |
## TAGS | |
taz.gazete | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Theater | |
Maskenpflicht | |
Kino | |
Gesellschaftliche Teilhabe | |
Solidarität | |
Konzert | |
Tempelhof-Schöneberg | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Reeperbahn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kino in Friedenau: Fantasy im Cosima | |
Das alte Kino sollte geschlossen, sein Betreiber vor die Tür gesetzt | |
werden. Die SPD ist empört, doch dann wird klar: Die Geschichte ist ganz | |
anders. | |
Coronakrise und die Lichtspieltheater: Schwarze Leinwand | |
Die Filmplakate hängen noch. Doch egal ob Blockbuster oder Anspruchsvolles | |
– nichts geht mehr im Kino. Eine Branche kämpft ums Überleben. | |
Wie Corona Kunst und Kultur verändert: Theater im Wohnzimmer | |
Die einen lassen sich vom Virus inspirieren, anderen raubt es die Existenz. | |
Das Coronavirus verändert die Gesellschaft und Kunstschaffende. | |
Unterwegs auf dem Reeperbahn-Festival: Allein unter QR-Codes | |
Das Hamburger Reeperbahn Festival hat ausprobiert, ob es auch unter | |
Pandemiebedingungen funktionieren kann. Aber ein echtes Festival geht so | |
nicht. |