# taz.de -- Kino in Friedenau: Fantasy im Cosima | |
> Das alte Kino sollte geschlossen, sein Betreiber vor die Tür gesetzt | |
> werden. Die SPD ist empört, doch dann wird klar: Die Geschichte ist ganz | |
> anders. | |
Bild: 1935 eröffnet: das Cosima-Filmtheater am Varziner Platz | |
BERLIN taz | Ein alter Mann, der schon seit Menschengedenken in seinem | |
Betrieb arbeitet, wird von einem skrupellosen Konkurrenten mithilfe | |
unlauterer Mittel aus dem Job gedrängt. Ein aufstrebender Politiker | |
schaltet sich als Retter der Entrechteten ein. Er macht den Skandal | |
öffentlich, die Bürger sind empört, Wut bricht sich Bahn. Doch dann der | |
überraschende Plot Twist und die spannende Erkenntnis für den Zuschauer: Es | |
ist alles ganz anders, als es vorher schien. | |
So ungefähr könnte die Zusammenfassung des Drehbuchs sein, wollte man aus | |
dem, was sich rund um das Berliner Cosima-[1][Filmtheater] in den | |
vergangenen Tagen zugetragen hat, einen Reißer mit dem Titel „Kino-Zoff in | |
Friedenau“ produzieren. | |
Alles ging damit los, dass dem Bezirksverordneten Orkan Özdemir, der von | |
der SPD Friedenau als Kandidat für die nächste Wahl ins Berliner | |
Abgeordnetenhaus aufgestellt wurde, das Schicksal des Betreibers des | |
Cosima-Kinos, Lothar Bellmann, zugetragen wurde. | |
Diesem, bereits seit Mitte der Sechziger Betreiber des altehrwürdigen | |
Kiezkinos, das originellerweise nicht einmal über eine eigene Website | |
verfügt, wurde der Mietvertrag gekündigt. Doch nicht nur das: Das | |
Cosima-Filmtheater solle sogar ganz schließen. Laut Bellmann. Eine | |
Wahnsinnsgeschichte: 81-jähriger Mann steht von heute auf morgen auf der | |
Straße, Kino schließt. Und das während Corona. | |
## SPD spontan empört | |
Orkan Özdemir (Motto auf seiner Facebook-Seite: „Friedenau im Herzen – | |
Berlin im Blick!“) kontaktierte die Hausverwaltung des Filmtheaters, bekam | |
von der aber keine Auskunft darüber, wie die Eigentümerin weiter mit dem | |
Kino zu verfahren gedenke. Nach dem Motto „Erst einmal eine Petition und | |
eine Presseerklärung raushauen und dann weiter schauen“ geschah genau das: | |
Özdemir richtete eine Petition ein mit dem erklärten Ziel, dass sowohl die | |
Kündigung zurückgenommen wird als auch das Cosima-Kino erhalten bleibt. | |
Die SPD Friedenau setzte eine Presseerklärung auf ihre Homepage, in der | |
selbiges gefordert wurde. Und da ja langsam Wahlkampf ist und echtes | |
Engagement von PolitikerInnen sicherlich von den BürgerInnen honoriert | |
wird, ließ sich in dieser neben Özdemir auch die für Friedenau ins | |
Abgeordnetenhaus gewählte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci zitieren, die | |
sich ob des Treibens in ihrem Wahlkreis „fassungslos“ zeigte und nach | |
„Solidarität mit unseren Kulturschaffenden“ rief. | |
Armer alter Mann, Kino in Friedenau muss schließen, daraus machte der | |
Tagesspiegel dann auch sofort eine Geschichte. Und entlockte dabei der | |
Hausverwaltung des Cosima die Information: Das Kino werde weiter bestehen, | |
es sei nie etwas anderes geplant gewesen, nur werde es einen neuen | |
Betreiber geben. | |
Okay, sei’s drum, dachte sich wohl der Bezirksverordnete Özdemir und | |
beendete nicht etwa seine Petition, sondern schrieb sie einfach komplett | |
um. Die Sache mit der Kinoschließung fiel raus, dafür entlockte er Lothar | |
Bellmann, der ihm bereits einmal die Unwahrheit über die Zukunft seines | |
Kinos erzählt hatte, neue Informationen. Gemäß dieser, so schrieb es | |
Özdemir in die Neufassung seiner Petition, würde „ein anderer Kinobetreiber | |
nun mit dem Vermieter eine Einigung an dem aktuellen Betreiber Herrn | |
Bellmann vorbei getroffen“ haben. Das sei freilich „unsolidarisch und keine | |
Art und Weise, wie wir mit alteingesessenen Gewerbetreibenden in unserem | |
Kiez umgehen wollen“. | |
## Eva-Lichtspiel-Betreiber als Leidtragender | |
Kurz darauf gab sich dieser andere, vermeintlich so unsolidarische | |
Betreiber zu erkennen und meldete sich selbst zu Wort: Karlheinz Opitz von | |
den Eva-Lichtspielen in Wilmersdorf. Er schrieb auf seiner Website von | |
einer „Hetz- bzw. Verleumdungs-Kampagne“ gegen ihn seitens des | |
Noch-Cosima-Betreibers Bellmann. „Schon lange vor der Coronapandemie wurde | |
mit ihm gemeinsam eine baldige, gütliche Ablöse besprochen“, vermeldete er. | |
Außerdem sei er selbst „von Herrn Bellmann als Nachfolger empfohlen“ | |
worden. | |
Vor allem aber wolle er an dieser Stelle Gerüchten und | |
Verschwörungstheorien entgegentreten, die in den sozialen Medien | |
kursierten. Diese kreisten darum, dass er Gelder, die er über eine | |
Startnext-Kampagne gesammelt hatte – 60.000 Euro für einen kaputtgegangenen | |
Filmprojektor – in Wahrheit dafür einsetzen wolle, sich bei der | |
Hausverwaltung des Cosima-Kinos als dessen neuer Betreiber einzukaufen. | |
Okay, das war ein heftiger Plot Twist, auch für den Bezirksverordneten | |
Özdemir, dem jetzt langsam dämmerte, dass es vielleicht keine so gute Idee | |
war, mit Petition und Presseerklärung um sich zu werfen, die Dritte | |
belasteten, ohne dabei vorher mit diesen gesprochen zu haben. Er suchte | |
noch einmal den Austausch mit Lothar Bellmann und nun auch mit Karlheinz | |
Opitz und arrangierte ein Treffen der beiden. | |
Mit welchem Ziel auch immer. Seine Petition beendete er mit den Worten, die | |
ziemlich komisch klingen, wenn man bedenkt, was er da bisher veranstaltet | |
hat: „Wir freuen uns, dass wir dazu beitragen konnten, dass hier zwei | |
Parteien wieder in gemeinsame Gespräche eintreten, und hoffen auf eine | |
einvernehmliche Lösung.“ Über der Petition ist zu lesen, sie sei ein | |
„Erfolg“ gewesen. Das Treffen sagte Bellmann dann kurz vorher ab. | |
Der bestätigte in einer weiteren Geschichte des Tagesspiegels über den | |
Kinostreit in Friedenau, dass er selbst Opitz als seinen Nachfolger bei | |
seiner Vermieterin vorgeschlagen habe. Nur sei für ihn jetzt die Zeit, dass | |
ein Anderer sein Kino weiterbetreiben möge, noch nicht gekommen. Seitens | |
der Hausverwaltung des Cosima bekommt die taz noch einmal bestätigt: „Der | |
Kinostandort war nie gefährdet. Das Cosima soll auf jeden Fall erhalten | |
werden. Dies war auch Herrn Bellmann zu jeder Zeit bekannt.“ Und: „Herr | |
Bellmann hat Herrn Opitz selbst als Nachfolger vorgeschlagen. Er selbst war | |
auch lange an gemeinsamen Gesprächen beteiligt, sogar aktiv und initiativ.“ | |
## Leises Zurückrudern | |
Bei der SPD Friedenau wurde nach dem Plot Twist still und heimlich die | |
Presseerklärung mit den salbungsvollen Worten über Solidarität „während d… | |
schlimmsten Krise dieses Jahrhunderts“ und so weiter wieder von der | |
Homepage genommen. Özdemir hat fast alle seiner Postings zum Fall | |
Cosima-Filmtheater auf seiner Facebook-Seite gelöscht. Und auch alle von | |
den empörten Friedenauern, die ihm ihre Meinung gegeigt hatten. | |
Wenn man sich jetzt mit Opitz unterhält, wirkt der verhältnismäßig | |
tiefenentspannt. Was schon eine Leistung ist, wenn man bedenkt, was ihm | |
alles vorgeworfen wurde: Mobbing, Missbrauch von Spendengeldern, schamloses | |
Ausnutzen der prekären Situation eines Kollegen. | |
Herr Özdemir habe sicherlich Gutes im Sinn gehabt, glaube er, nur habe er | |
sich bei seinen übereifrigen Aktionen nicht besonders geschickt angestellt | |
und „seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt“. Zu dem Gezerre über die | |
Nachfolge-Regelung mit Noch-Cosima-Betreiber Bellmann sagt er, erste | |
Gespräche über eine gütlich organisierte Übergabe des Kinobetriebs habe es | |
schon vor vielen Jahren gegeben. „Wir waren uns eigentlich auch immer | |
symphatisch, waren sogar leicht befreundet, würde ich sagen, und sind | |
mehrere Male gemeinsam essen gegangen.“ | |
Eine konkrete Übergabe des Cosima sei dann vergangenes Jahr zu Beginn des | |
ersten Lockdowns vereinbart worden. „Die Eigentümerin kam für ein weiteres | |
Treffen Anfang Juli extra aus Heidelberg angereist, auch um mich | |
kennenzulernen. Eine nette Dame, der es sehr wichtig ist, dass das Kino | |
erhalten bleibt. Da machte Bellmann aber plötzlich eine Kehrtwende und | |
meinte, er wolle so lange weitermachen, bis er nicht mehr könne. Und das | |
mit 81 Jahren. Das wollte die Vermieterin dann aber nicht mehr.“ Deswegen | |
auch die Kündigung an Bellmann. | |
Zig Anfragen der taz beim Bezirksverordneten Özdemir, sich bitte noch | |
einmal zu äußern zu der Aufregung in Friedenau, die er mitzuverantworten | |
hat, bleiben unbeantwortet. Der Mann ist einfach abgetaucht, auch eine Form | |
von Krisenmanagement. Aus dem Kreisverband der SPD Tempelhof-Schöneberg ist | |
zu vernehmen, dass die ganze Sache Herrn Özdemir inzwischen leid tue. Eine | |
offizielle Stellungnahme jedoch gibt es keine. Wegducken und aussitzen | |
scheint die Strategie zu sein, um den Kandidaten für das Abgeordnetenhaus | |
zu schützen. | |
Dabei würde man gern in das Drehbuch für das Drama „Kino-Zoff in Friedenau�… | |
schreiben: Beim Happy End räumt der Politiker seinen Fehler ein, | |
entschuldigt sich öffentlich und gewinnt so seine Glaubwürdigkeit zurück. | |
22 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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