| # taz.de -- Retrospektive im Filmarchiv Austria Wien: Interventionen in die Geg… | |
| > Das Filmarchiv in Wien feiert die früh verstorbene österreichische | |
| > Regisseurin Margareta Heinrich zu ihrem 70. Geburtstag mit einer | |
| > Online-Werkschau. | |
| Bild: Szene aus Heinrichs „Totschweigen“ über ein Massaker am Ende des Zwe… | |
| „Aus Revolutionären wurden Staatsbeamte.“ Die Arbeiterin Wanja erzählt in | |
| dem Film „Genossinnen“ von der schleichenden Enttäuschung von Hoffnungen in | |
| der sowjetischen Revolution. Während ihr Partner Nikolai einer dieser | |
| Staatsbeamten wird, bleibt die Situation für sie selbst als Bolschewikin | |
| und Revolutionärin prekär. Im Jahr 1983 drehen die beiden Regisseurinnen | |
| Ullabritt Horn und Margareta Heinrich ihren Film, der eine doppelte | |
| Entfremdung zeigt. Wanja fühlt sich Nikolai ebenso zunehmend fremd wie der | |
| verbeamteten Revolution, die er verkörpert. | |
| Der Film spielt überwiegend in den kargen Räumen der Wohnung des Paares, | |
| eines der wenigen Ausstattungselemente ist ein konstruktivistisches Plakat | |
| an der Wand. Der Film ist Zeugnis einer neuerlichen Auseinandersetzung der | |
| Frauenbewegung mit der Sowjetunion, die in den 1970er Jahren vor allem | |
| durch Relektüre der Schriften von Nadeschda Krupskaja ausgelöst wurde. | |
| So geht auch diesem Film ein zweiter, thematisch verwandter der beiden | |
| Filmemacherinnen voraus: „Ich habe viele Leben gelebt. Alexandra Kollontai | |
| – Ein Portrait“. „Genossinnen“ eröffnet nun eine Online-Retrospektive … | |
| Filmarchivs Austria zu Margareta Heinrich. | |
| ## Zu früh verstorben | |
| Die Filmreihe der Wiener Institution würdigt eine Filmemacherin, die früh | |
| verstorben ist und deren schmales Werk nach ihrem Tod schnell in | |
| Vergessenheit geriet. So unverdient das ist, überraschen kann es nicht. | |
| [1][Margareta Heinrichs Filme sind oft Interventionen in eine konkrete | |
| politische Gegenwart], gedreht nicht für die Nachwelt, sondern für die | |
| Gegenwart. | |
| Heinrich kommt 1970 aus dem Burgenland nach Wien, arbeitet dort zunächst | |
| als Angestellte. Dem Filmemachen nähert sie sich über die Praxis. Sie | |
| beginnt ein Volontariat als Produktionsassistentin, arbeitet später als | |
| Assistentin. Im Jahr 1975 beginnt sie als eine der ersten Frauen an der | |
| Wiener Filmakademie zu studieren. Die Lehrenden sind allesamt Männer. | |
| Ihr erster überlieferter Kurzspielfilm ist eine | |
| Ingeborg-Bachmann-Verfilmung: Die Freundschaft von Mara und Charlotte | |
| schlägt in Liebe um. Ängste und angelernte Konventionen vermengen sich zu | |
| Konflikten. Im Verleihprogramm beschreibt Heinrich ihren Film als „eine | |
| Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten und Barrieren, die in einer | |
| männerdominierten Welt der Beziehung zwischen Frauen im Wege stehen“. Ihr | |
| Werk stößt an der Filmakademie nicht auf Gegenliebe, findet aber | |
| Anerkennung auf Festivals und in Filmclubs. | |
| ## Essayhafte Verdichtung | |
| Die 1980er Jahre hindurch dokumentiert Heinrich internationale Konflikte. | |
| Ihre Filme sind keine reinen Dokumentationen, sondern verdichten in der | |
| Montage von Bildern und Tönen die Geschehnisse essayhaft. Wie schon in | |
| „Genossinnen“ setzt Heinrich auf die Kraft einer Erzählstimme als Einstieg | |
| in den Film. In „No Pasaran“ greift sie die Umbrüche in Nicaragua hin zu | |
| den Sandinistas auf. In „Ist der Teufel wirklich ein Kind?“ zeigt sie die | |
| Situation von Kindern im Bürgerkrieg in Mozambique. | |
| Anfang der Neunziger dreht sie gemeinsam mit [2][Eduard Erne] die filmische | |
| Spurensuche „Totschweigen“ zu einem Massaker am Ende des Zweiten Weltkriegs | |
| im burgenländischen Rechnitz. 180 ungarische Juden wurden in der Nacht vom | |
| 24. auf den 25. März 1945 von Teilnehmern eines Festes erschossen. Die | |
| Filmemacher:innen befragen Dorfbewohner:innen. Mitten in den Umbrüchen | |
| des Falls des Eisernen Vorhangs und des Alltagsrassismus, der die | |
| Fluchtwellen der 1990er Jahre begleitete, beobachten Margareta Heinrich und | |
| Eduard Erne die Suche nach den Massengräbern, die Aggression von | |
| Dorfbewohnern und die Verdrängung von Zeitzeugen. | |
| Unweit des Orts, an dem das Massaker stattfand, wird der gefallenen | |
| SS-Angehörigen gedacht, die das Dorf verteidigt haben. Der Film ist ihr | |
| letzter. Am 25. Februar 1994 nimmt sich Margareta Heinrich das Leben. Sechs | |
| ihrer Werke hat das Filmarchiv Austria für die Online-Retrospektive | |
| ausgewählt, die bis Mitte März läuft. | |
| 10 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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