# taz.de -- Doku über Napola-Zöglinge: "Herrenkinder" erzählen | |
> Sie waren die Auserwählten des NS-Erziehungssystems, nach dem Krieg | |
> machten viele von ihnen Karriere. In der Doku "Herrenkinder" kommen | |
> Napola-Zöglinge zu Wort. | |
Bild: "Herrenkinder" nutzt auch NS-Propagandamaterial. | |
"Was ich heute noch dieser Erziehung zugutehalte, wir wurden zur | |
Wahrhaftigkeit erzogen. Wir wurden zu Lauterkeit erzogen, zu | |
Rechtschaffenheit", sagt Theo Sommer, einige Jahrzehnte lang Chefredakteur | |
und Herausgeber der Zeit. Als einer von 15.000 Schülern hat Sommer eine | |
"nationalpolitische Erziehungsanstalt" besucht, von denen es gut 40 gab, | |
sogenannte Napolas. Ihr Ideal war: "Glauben. Gehorchen. Kämpfen." | |
In den Napolas sollte die zukünftige Elite des nationalsozialistischen | |
Deutschland gebildet werden. Tatsächlich besetzten viele der Zöglinge | |
wichtige Positionen in der Bundesrepublik und in der Republik Österreich. | |
Einige von ihnen kommen in dem Dokumentarfilm "Herrenkinder" von Eduard | |
Erne und Christian Schneider zu Wort - zwischen rasant geschnittenem | |
Material aus Propagandafilmen und ruhigen Aufnahmen der einstigen Anstalten | |
von heute. | |
Da ist etwa der Literaturkritiker Hellmuth Karasek, der unter dem Drill, | |
dem ständigen Sport und der paramilitärischen Ausbildung so litt, dass er | |
jede Woche seiner Mutter schrieb, sie möge ihn von der Schule nehmen. Bis | |
er eines Tages seinem gefürchteten Klassenlehrer sagte, er habe sich | |
entschieden. Er wolle dableiben. Karasek ist der reflektierteste | |
Napola-Schüler in "Herrenkinder". Er beschreibt seine Übereinstimmung mit | |
einem verhassten System als milde Form des Stockholm-Syndroms. Der | |
"Schliff" habe zum Ziel gehabt, den Körper fit zu machen und den Geist zu | |
brechen. Wie Gekidnappte hätten die Unterlegenen ihren Peinigern gegenüber | |
Gefühle der Zuneigung entwickelt. | |
Harald Ofner, der später Justizminister in Österreich wurde, spricht im | |
Film von einer "masochistischen Komponente": In dieser Schule habe man nur | |
bleiben können, wenn einem der Gedanke Befriedigung bereiten konnte, man | |
werde das alles bis zum Ende durchstehen können. Als er durch die Flure | |
seiner alten Napola geht, fügt Ofner hinzu: Als 10- bis 13- jähriger Junge | |
sei man "fügsam wie Plastilin". | |
Am Horizont deutet sich so das Bild einer ganzen Generation an, die die | |
Geschichte der Bundesrepublik geprägt hat. Dann verengen Erne und Schneider | |
ihren Blick aber auf zwei Familien, die noch heute unter den Folgen der | |
Napola-Erziehung ihrer Väter und Großväter leiden. Da ist der Mann, der vor | |
20 Jahren Selbstmord begangen und seine Frau überredet hat, es ihm | |
gleichzutun. Seine Tochter und deren Söhne arbeiten die Vergangenheit | |
durch. Die Tochter erzählt, wie sie unter dem Vater gelitten hat, wenn | |
dieser mit verächtlich herabhängenden Mundwinkeln seinem Kind zu verstehen | |
gab, dass er nicht mit ihm zufrieden war. Der Vater, so stellt sich heraus, | |
hat nach dem Krieg eine "Halbjüdin" geheiratet. Früher summten sie | |
gemeinsam Lieder, später ließ der Vater die Musik im Haus verstummen. Die | |
Mutter musste auf ihr geliebtes Klavierspiel verzichten. Ob sie wirklich | |
mit ihrem Mann sterben wollte, bleibt offen. | |
Ein anderer Mann und seine Frau leben noch. Selbst seine Enkelin hat von | |
Konfrontationen mit dem Großvater zu berichten, der keine Privatheit | |
zulassen konnte. Der Sohn des Patriarchen analysiert, dass sein Vater weder | |
Respekt für die Autonomie anderer noch für seine eigene aufbringe. Der | |
Vater selbst konstatiert, dass es ihm unmöglich sei, Empathie für andere | |
aufzubringen. Das sei wohl eine Folge der Napola-Erziehung. Seine Tochter | |
fühlt sich durch den fehlenden "Schutz" beschädigt, den der Vater ihr nicht | |
gewährte. Zugleich findet sie eine gewisse Geborgenheit in den Leitbildern, | |
die ihr Vater aus der Napola in die Familie mitbrachte. | |
Die dysfunktionale Kleinfamilie ist, mit Karasek gesprochen, demnach eine | |
Geiselnahme von Kindern durch ihre Eltern. "Mehr sein als scheinen" lautet | |
eines der nationalsozialistischen Ideale für die Jugend, mit dem sich die | |
Tochter identifizieren kann. | |
Hier könnte es interessant - und schmerzhaft - werden. Aber "Herrenkinder" | |
bleibt bei den psychischen Beschädigungen der Missbrauchten und den | |
familiären Folgen. Die Zuschauer müssen sich selbst fragen, welchen | |
ideologischen Schutt die im Nationalsozialismus Erzogenen ihren Nachkommen | |
weitergegeben haben. Und was es bedeutet, wenn Theo Sommer meint, die | |
"Eliteauswahlkriterien" der Napola seien "ja vielleicht gar nicht so | |
schlecht" gewesen. Er macht fast den Eindruck, stolz auf seine Ausbildung | |
an einem Ort der Elitenbildung zu sein, wenn er am Anfang des Filmes sagt: | |
"Wir wurden gefordert, was jungen Menschen guttut." | |
4 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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