| # taz.de -- Rolf Mützenich zu USA und Abrüstung: „Rückkehr zu Ordnung“ | |
| > Die Außenpolitik von Joe Biden lässt Rolf Mützenich auf weniger | |
| > Atomwaffen hoffen. Die Grünen kritisiert der SPD-Fraktionschef als | |
| > „schwammig.“ | |
| Bild: Will die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen gern loswerden: SPD-F… | |
| taz: Herr Mützenich, Joe Biden hat am Freitag in seiner | |
| [1][außenpolitischen Grundsatzrede] verkündet, dass die USA zurück auf der | |
| diplomatischen Bühne sind. Merkt man das in Berlin schon? | |
| Rolf Mützenich: Wir hatten schon vor den US-Wahlen informelle Kontakte zu | |
| Bidens sicherheitspolitischem Umfeld. Das ist hochgradig an Fragen der | |
| Zusammenarbeit interessiert und weiß über Europa Bescheid. Ein guter | |
| Auftakt ist, dass sich Russland und die USA verständigt haben, das New | |
| Start-Abkommen, also die Begrenzung der strategischen Atomwaffen, zu | |
| verlängern. Das öffnet Möglichkeiten für europäische Interessen. | |
| Was ist da das deutsche Interesse? | |
| Unter Trump wurde über nuklear geführte Kriege und den Einsatz von | |
| kleineren Atomwaffen nachgedacht. Wir haben großes Interesse daran, dass es | |
| auch bei den taktischen Atomwaffen zu klaren Verabredungen zwischen | |
| Russland und den USA kommt. Wir sollten diesen Prozess durch gegenseitige | |
| Moratorien unterstützen. | |
| Das heißt konkret? | |
| Dass weder Russland noch die USA und die Nato weitere Atomwaffen und neue | |
| Trägersysteme stationieren. | |
| Sie haben sich schon vor einem Jahr für den [2][Abzug der US-Atomwaffen] | |
| aus Deutschland ausgesprochen. Wie groß sind die Chancen? | |
| Ich war überrascht, dass dieser Vorschlag eine so große Aufregung | |
| hervorgerufen hatte. Manche Unterstellungen waren absurd. Jetzt diskutieren | |
| wir in Deutschland endlich wieder über die Frage der technischen nuklearen | |
| Teilhabe. Es gab auch kritische Reaktionen, auch aus Teilen meiner Partei. | |
| Aber Friedensbewegung, Kirchen und Gewerkschaften wollen diese Debatte. | |
| Sie haben die Kirchen hinter sich, aber nicht die SPD? Das wäre umgekehrt | |
| besser, oder? | |
| Das sehe ich anders. Sowohl in unserem Grundsatzprogramm als auch im | |
| letzten Wahlprogramm steht die Forderung nach einem Abzug der in | |
| Deutschland lagernden Atomwaffen. Auf einem SPD-Bundesparteitag würde es | |
| auch heute eine deutliche Mehrheit dafür geben. | |
| Das Verteidigungsministerium möchte F18-Jets kaufen, damit die Bundeswehr | |
| weiterhin Atomwaffen einsetzen könnte. Kommt das noch vor der Wahl? | |
| Ich habe vom Moratorium bei den Trägersystemen gesprochen. Es ist gut, dass | |
| der New-Start-Vertrag um fünf Jahre verlängert wurde. Wir sollten da nicht | |
| stehen bleiben, sondern weitere Abrüstungsschritte initiieren. | |
| Also keine F18? | |
| Wir sollten einer neuen Bundesregierung nicht die Möglichkeiten verbauen, | |
| hier Entscheidungen, die uns auf Jahrzehnte festlegen und Milliarden | |
| kosten, zu treffen. Deshalb bin ich für ein Moratorium. | |
| Wird Abrüstung ein Thema für den SPD-Wahlkampf? | |
| Natürlich wird Friedenspolitik im Wahlkampf und dem Wahlprogramm eine Rolle | |
| spielen, dazu gehört für uns selbstverständlich Abrüstung und | |
| Rüstungskontrolle. Ich würde mich freuen, wenn der neue | |
| CDU-Parteivorsitzende im Gegensatz zu seiner Vorgängerin den Mut hätte, | |
| sich an dieser Debatte zu beteiligen. | |
| Biden räumt recht entschlossen die Trümmer weg, die Trump außenpolitisch | |
| hinterlassen hatte. Ist das eine neue Blüte des Multilateralen oder die | |
| Rückkehr zur US-Hegemonie? | |
| Beides. Der US-Präsident will die Rückkehr zu einer multilateralen und | |
| regelbasierten Ordnung mit verlässlichen Partnern an seiner Seite und | |
| trotzdem eine hegemoniale Rolle in der Welt spielen. Auch er ist von der | |
| Führungsrolle der USA überzeugt. Wichtig wird sein, ob Biden die | |
| Auseinandersetzung etwa mit der Volksrepublik China handels- und | |
| militärpolitisch führen wird oder ob die USA bereit sind, divergierende | |
| Interessen und Meinungsunterschiede mit China politisch zu regeln. | |
| Das Verteidigungsministerium möchte demnächst eine Fregatte ins | |
| südchinesische Meer entsenden. Was halten Sie davon? | |
| China beansprucht aggressiv territoriale Hoheitsrechte im südchinesischen | |
| Meer. Aber auch andere Länder dort rüsten massiv auf und setzen einseitig | |
| Fakten. Es wäre falsch, sich militärisch in diese hochgefährliche | |
| Auseinandersetzung zu begeben. Auch am Völkerrecht orientierte Aktionen | |
| werden da manchmal missverstanden. Es gibt zweifelsohne Provokationen der | |
| chinesischen Streitkräfte. Aber die Rolle Deutschlands sollte darin | |
| bestehen, mit diplomatischen Schritten weitere militärische Eskalationen | |
| einzudämmen. | |
| Also keine Fregatte? | |
| Wie gesagt, ich hielte eine militärische Beteiligung Deutschlands für reine | |
| Symbolpolitik, die Missverständnisse provozieren und andere Möglichkeiten | |
| verschütten würde. | |
| Die [3][Chefin der Böll-Stiftung] fordert, dass Deutschland mehr Geld für | |
| Rüstung ausgeben soll, auch um den USA den Rücken freizuhalten für deren | |
| Engagement in Asien. Wie finden Sie diesen Ansatz? | |
| Irritierend. Ich befürchte, dass diese Haltung von Teilen der Grünen | |
| mitgetragen wird. Unsere Aufgabe ist es nicht, den USA militärisch den | |
| Rücken freizuhalten. Im Gegenteil: Wir sollten alles dafür tun, damit | |
| Außenpolitik nicht nur in militärischen Kategorien gedacht wird. | |
| Sehen Sie die Grünen da auf dem Weg zur CDU? | |
| Das weiß ich nicht. Aber ich habe mich schon gewundert, dass sich die | |
| Grünen kaum an der Debatte um die nukleare Teilhabe beteiligt haben, dafür | |
| aber stark an der um die Eindämmung Russlands. Das ist eine Tendenz, die es | |
| bei den Grünen seit ein, zwei Jahren gibt. | |
| Frau Baerbock kritisiert die miese Ausrüstung der Bundeswehr und will mehr | |
| Geld zur europäischen Verteidigung … | |
| Das allein wäre ja nicht problematisch. Ich weiß nicht, ob Frau Baerbock in | |
| erster Reihe hinter der Neuausrichtung einer CDU-kompatiblen grünen | |
| Außenpolitik steckt. Aber sie gebietet dieser zumindest keinen Einhalt. | |
| Jedenfalls passen diese Positionen nicht zu dem Grundsatzprogramm, das die | |
| Grünen zuletzt vor einer Wohnzimmertapete beschlossen haben. Auch bei der | |
| nuklearen Abschreckung haben sich die beiden Parteivorsitzenden nicht | |
| festgelegt. Und bei der Frage der Fortentwicklung von UN-Einsätzen sind die | |
| Grünen teilweise sehr schwammig. | |
| Aber ist die Bilanz der SPD in der Regierung so viel besser? Bei der | |
| nuklearen Teilhabe hat sich nichts bewegt. Dafür ist der Bundeswehretat | |
| gestiegen. | |
| Mit unserer Bilanz brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir haben für | |
| viele Verbesserungen bei der Ausstattung der Bundeswehr gesorgt, ohne dabei | |
| den Tanz um das Goldene Kalb „Zwei Prozent-Ziel“ mitzumachen. Die Union hat | |
| gedrängt, zwei Prozent des BIP für Militär auszugeben. Die SPD hat da | |
| berechtigterweise nicht nachgegeben. Die Diskussion um den Abzug der | |
| US-amerikanischen Atomwaffen ist immerhin in Gang gekommen. Unser | |
| Außenminister, Heiko Maas, hat zudem unermüdlich für Abrüstungsgespräche | |
| geworben und zahlreiche neue Initiativen auf den Weg gebracht. Ich könnte | |
| die Liste fortsetzen. | |
| Der Spiegel schreibt, dass Sie die SPD radikal auf einen neuen | |
| außenpolitischen Kurs gebracht hätten, pazifistisch und | |
| Bundeswehr-feindlich. Haben Sie so viel Macht? | |
| Was manche Autoren des Spiegel alles so schreiben… Die Fraktion trifft | |
| souveräne Entscheidungen und lässt sich diese nicht von ihrem Vorsitzenden | |
| diktieren – gleiches gilt für die Partei. Hinter solchen journalistischen | |
| Hirngespinsten verbirgt sich ein antiquiertes Demokratieverständnis. | |
| Sie sind seit anderthalb Jahren Fraktionschef. Wie üben Sie denn Macht aus? | |
| Wie Merkel oder wie Schröder? | |
| Karl W. Deutsch, ein Politikwissenschaftler, hat einmal gesagt: Wer Macht | |
| hat, muss nicht lernen. Ich musste und muss als Fraktionsvorsitzender eine | |
| Menge lernen. | |
| Üben Sie Macht durch Moderieren oder durch Machtworte aus? | |
| Ich habe die Frage schon verstanden, scheue mich aber, über die Macht von | |
| Fraktionsvorsitzenden zu philosophieren. Solche Überlegungen wären eher | |
| alte Schule. Ich habe als Fraktionsvorsitzender eine große Verantwortung, | |
| vor der ich entsprechend großen Respekt habe. Es geht darum, uns als starke | |
| und kompetente Fraktion, als wichtiges Entscheidungsgremium innerhalb der | |
| Koalition sowie im Verhältnis zur Partei und zu den sozialdemokratischen | |
| Ministerinnen und Ministern zu etablieren und zu behaupten. Wenn mir das | |
| gelungen ist, dann nur, weil ich mich auf die Fraktion stützen konnte. | |
| Seit Sie Fraktionschef sind, spielt das Militärische in der SPD-Fraktion | |
| eine kleinere Rolle. Das liegt nicht an Ihnen? | |
| Die SPD-Fraktion war nie militaristisch. Als ich Fraktionsvorsitzender | |
| wurde, habe ich deutlich gemacht, dass ich mich wie zuvor auch um | |
| Außenpolitik kümmern werde. Meine Positionen haben sich nicht geändert. | |
| Die Abgeordneten Kahrs und Felgentreu sowie der Ex-Wehrbeauftragte Bartels, | |
| die alle der Bundeswehr nahestehen, haben im letzten Jahr die Segel | |
| gestrichen. Ist das Zufall? | |
| Ich muss jede Entscheidung eines Kollegen oder einer Kollegin akzeptieren. | |
| Bei der Wahl der neuen Wehrbeauftragten Eva Högl gab es einen einstimmigen | |
| Beschluss in der Fraktion, bei zwei oder drei Enthaltungen. Das war ein | |
| Vorschlag der gesamten Fraktion. Partei und Fraktion haben sich auch | |
| zusammen darauf verständigt, dass wir endlich eine breite | |
| gesellschaftspolitische Debatte über die Frage der Bewaffnung von Drohnen | |
| wollen. Bei den Entscheidungen der Kollegen, die Sie genannt haben, | |
| spielten auch persönliche Gründe und Interessen eine Rolle. | |
| Ist das Verhältnis der SPD zur Bundeswehr distanzierter geworden? | |
| Die SPD hat alles dafür getan, dass genügend Mittel bereitstehen, um die | |
| Bundeswehr gut auszustatten. Wir kümmern uns um die Soldatinnen und | |
| Soldaten. Die SPD will, dass die Bundeswehr inmitten der Gesellschaft und | |
| unserer Demokratie steht. Das ist unsere Grundhaltung und die ist alles | |
| andere als distanziert. | |
| Haben Sie persönlich eine Distanz zum Militärischen? | |
| Ich bin Außenpolitiker und bewege mich thematisch stark im Feld der | |
| Abrüstung und Rüstungskontrolle. Deswegen setze ich zuerst auf Diplomatie. | |
| Die [4][Drohnen-Entscheidung im Bundestag haben Sie im Dezember | |
| abgeblasen], weil das Thema noch nicht ausreichend diskutiert sei. Wie geht | |
| es weiter? | |
| Wir haben das Thema in Bundestagsausschüssen und internen Fachzirkeln | |
| diskutiert. Eine breite gesellschaftliche Debatte, die wir im | |
| Koalitionsvertrag vereinbart hatten, hat nicht stattgefunden. In dieser | |
| Legislaturperiode werden wir deshalb nicht mehr über die Bewaffnung | |
| entscheiden. | |
| Will die SPD Kampfdrohnen – oder nicht? | |
| Das entscheiden wir, wenn diese gesellschaftliche Debatte geführt wurde. | |
| Ins Wahlprogramm können Sie aber nicht schreiben: Wir warten die breite | |
| Debatte ab. | |
| Warum? | |
| Weil niemand SPD wählt, wenn er nicht weiß, was er bekommt. | |
| Ich würde den Wählerinnen und Wählern sagen: Es wäre schön, wenn sie sich | |
| an der Debatte beteiligen. Da sind zentrale Fragen: Wie verlässlich sind | |
| die Einsatzregeln in der Praxis? Können wir es schaffen, dass bewaffnete | |
| Drohnen nicht den Weg der autonomen Kriegsführung gehen? Beteiligen wir uns | |
| an einer bereits existierenden Aufrüstungsspirale bei bewaffneten Drohnen | |
| und sollten wir nicht vielmehr darauf drängen, dass diese Waffengattung | |
| rüstungskontrollpolitische eingehegt wird? Brauchen wir Drohnen für unsere | |
| Verteidigungspolitik und wenn ja, was ist deren Stellenwert? | |
| All das sind hochkomplexe ethische, rechtliche und politische Fragen, die | |
| bisher in der Öffentlichkeit noch nicht ausreichend diskutiert wurden und | |
| nicht mit einer Beschaffungsvorlage beantwortet werden sollten. Ich meine | |
| schon, dass Menschen in der Demokratie an dieser Debatte teilhaben wollen | |
| und Wahlprogramme nicht mit einem Warenhauskatalog gleichsetzen. | |
| Ist das nicht einfach ein Versuch, die Entscheidung der nächsten Regierung | |
| und damit den Grünen zu überlassen? | |
| Wer die Regierung bildet, entscheiden die Wählerinnen und Wähler im | |
| September, dem werde ich nicht vorgreifen. Aber klar: Wenn die Grünen in | |
| eine Regierung kommen, wird sich ihre derzeitige Geschmeidigkeit als | |
| eklatante Biegsamkeit entpuppen. | |
| Lassen Sie uns über Russland reden. Wie soll Deutschland auf die Haft für | |
| Alexej Nawalny reagieren? | |
| Man muss sehr deutlich machen, dass diese Verurteilung der | |
| Rechtsstaatlichkeit Hohn spricht und dass wir eine solche Situation nicht | |
| hinnehmen. In Institutionen wie dem Europarat, in denen auch Russland | |
| Mitglied ist, müssen wir eine klare Sprache gegenüber Russland sprechen. | |
| Ihr Genosse Gerhard Schröder würde solche Forderungen wohl als | |
| „Russland-Bashing“ bezeichnen. | |
| Das glaube ich nicht. Schauen Sie sich sein neues Buch und sein letztes | |
| Interview im Spiegel an. Er hat dort keine unkritische Haltung gegenüber | |
| dieser Situation. | |
| Er hat gesagt, Nawalny interessiere ihn nicht. Das sei Tagespolitik. | |
| Ja, gut, ein Altkanzler hat das Recht, sich mit den Fragen zu befassen, mit | |
| denen er sich befassen will. Dieses Privileg habe ich nicht. | |
| Schröder ist Ihnen nicht also peinlich? Die Vermischung seiner | |
| Gazprom-Aktivität und seiner Putin-Affinität? | |
| Ich konzentriere mich darauf, dass wir – wie in der Bundesregierung | |
| vereinbart – die Pipeline Nord Stream 2 fertigstellen. Mit einer | |
| Investitionsruine in der Ostsee ist niemandem geholfen. Und ich finde es | |
| sehr beachtlich, wie die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern mit der | |
| Mehrheit des dortigen Parlaments für deutsche Souveränität eingetreten ist. | |
| Sie meinen, wie sie mit Gazprom-Geld eine sogenannte Umweltstiftung | |
| gegründet hat, um die Pipeline fertigzubauen? | |
| Das ist in der Tat auf Kritik gestoßen. Aber Sie müssen auch sehen, dass | |
| die Auseinandersetzung über Nord Stream 2 mittlerweile vollkommen | |
| ideologisch aufgeladen ist. Den Eindruck zu erwecken, dass wir eine | |
| energiepolitisch weiße Weste hätten, wenn wir auf Nord Stream 2 verzichten | |
| würden, halte ich für Augenwischerei – insbesondere, wenn ich mir andere | |
| Lieferländer anschaue. | |
| Sie meinen Saudi-Arabien? | |
| Zum Beispiel. Oder auch Libyen, wo jetzt versucht wird, diese Produktion | |
| wieder anzukurbeln. Da bin ich schon sehr überrascht, wie einseitig der | |
| Fokus der Kritiker ist. | |
| 7 Feb 2021 | |
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