# taz.de -- Soziale Folgen des Klimawandels: Die Kinderkrise | |
> Von Gebärstreik über ökologische Erziehung bis zur Elternreue: Der | |
> Klimawandel ist zu einem Faktor in der Familienplanung geworden. | |
Bild: Sie haben die Zukunft der Welt in der Hand – nur wie? | |
BERLIN taz | Emil Pfafferott will keine Kinder in die Welt setzen. „In | |
unserer Welt, die nur auf Konsum und Profit ausgelegt ist, schaffen wir es | |
schon jetzt nicht, alle zu ernähren“, sagt der 20-jährige Student der | |
Sozialarbeit. „Was passiert erst, wenn Überflutungen und Dürren zum Alltag | |
in den nördlichen Breiten werden – dabei soll ich noch Kinder großziehen?“ | |
Solange keine Hoffnung auf Besserung in Sicht sei, werde er bei seiner | |
Entscheidung gegen eigene Kinder bleiben, ist sich Pfafferott sicher. | |
Damit ist er nicht allein. Eine [1][Umfrage] hatte 2020 in Bezug auf die | |
USA ergeben, dass bei rund 12,5 Millionen Menschen, die sich gegen Kinder | |
entschieden haben, der Klimawandel in den Überlegungen eine Rolle gespielt | |
habe. | |
Wie der Klimawandel die Familienplanung beeinflusst, ist aber insgesamt | |
kaum erforscht. Matthew Schneider-Mayerson vom Yale-NUS College in | |
Singapur, einer gemeinsamen Institution der US-amerikanischen Elite-Uni | |
Yale und der National University of Singapore, hat im vergangenen Jahr die | |
erste [2][Studie] zum Thema geleitet, die in einem begutachteten | |
Fachmagazin erschienen ist. | |
## Manche sorgen sich um die Kinder, andere ums Klima | |
Zusammen mit seiner Koautorin Kit Ling Leong hat der Sozialwissenschaftler | |
herausgefunden: Pfafferots Ängste sind verbreitet und wohl der Hauptgrund | |
für Menschen, den Klimawandel in ihre Familienplanung einzubeziehen. Die | |
beiden Wissenschaftler:innen befragten 607 Personen, die die | |
Klimakrise nach eigenen Angaben in die Familienplanung einbeziehen oder | |
einbezogen haben. | |
Nicht alle von ihnen haben sich gegen Kinder entschieden. Manche sind trotz | |
ihrer Sorgen Eltern geworden oder planten, es noch zu werden, andere waren | |
derweil unentschieden. Aber 99,5 Prozent von ihnen gaben an, dass sie sich | |
wegen ökologischer oder sozialer Folgen der Klimakrise um ihren realen, | |
erwarteten oder hypothetischen Nachwuchs sorgten. | |
Mehr als 6 Prozent der Eltern gaben sogar an, es wegen der desaströsen | |
Zukunftsaussichten zu bereuen, Kinder bekommen zu haben. | |
Alleiniger Faktor für die Entscheidung für oder gegen Kinder war die | |
Klimakrise bei den wenigsten Studienteilnehmer:innen. Teilnehmen durften | |
nur US-Amerikaner:innen zwischen 27 und 45 Jahren. In dieser Phase, so die | |
Überlegung, findet die Familienplanung in den USA typischerweise statt. Das | |
sollte zum Beispiel das Risiko eingrenzen, dass Menschen den Effekt der | |
Klimakrise auf die eigene Biografie nachträglich überbewerten. | |
Emil Pfafferott hat sich nach einem Aufruf der taz auf Instagram gemeldet. | |
„Spielt die Klimakrise eine Rolle, wenn ihr übers Kinderkriegen | |
nachdenkt?“, haben wir auf [3][unserem Kanal klima.taz] gefragt. Das | |
Publikum dort ist sicher nicht repräsentativ für Deutschland oder darüber | |
hinaus, sondern vergleichsweise jung und von vornherein an Klimathemen | |
interessiert. | |
In dieser Gruppe hat die Frage aber einen Nerv getroffen: 960 beteiligten | |
sich an der Umfrage, 81 Prozent von ihnen bejahten die Frage. Viele | |
meldeten sich wie Pfafferott ausführlicher zurück und schrieben oder | |
erzählten von ihren Sorgen und Überlegungen – und auch von ökologischer | |
Erziehung und politischem Engagement. | |
„Mir ist bewusst, dass die Entscheidung, Kinder zu bekommen und diesem | |
Planeten somit weitere Menschen aufzuzwingen, die klimaschädlichste | |
Entscheidung meines Lebens war“, sagte etwa der 34-Jährige Andreas Kolmer, | |
der Vater eines zweijährigen Sohns ist. | |
Auch diese Sicht haben Schneider-Mayerson und Kit in ihrer Studie vielfach | |
gefunden: 87,1 Prozent der Befragten gaben als Grund für die Entscheidung | |
gegen ein Kind oder die Sorgen um ihre Kinder an, dass neue Menschen | |
wiederum einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. | |
Im Jahr 2017 sorgte eine [4][Studie] aus Schweden für Schlagzeilen. Das | |
Ergebnis: Ein Kind weniger zu bekommen sei der effektivste Weg für Menschen | |
im Globalen Norden, selbst einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. | |
Die Wissenschaftler:innen Seth Wynes und Kimberly Nicholas vom Zentrum | |
für Nachhaltigkeitsstudien an der Universität Lund attestierten zwar auch | |
anderen Änderungen am eigenen Leben einen nennenswerten Effekt: Auf ein | |
Auto zu verzichten beispielsweise spare pro Jahr durchschnittlich 2,4 | |
Tonnen CO2, nicht zu fliegen 1,6 Tonnen CO2 pro transatlantischem Hin- und | |
Rückflug, eine vegetarische Ernährung mindere den CO2-Ausstoß jährlich um | |
etwa 0,8 Tonnen gegenüber dem Fleischverzehr, heißt es in der Studie. | |
Das alles ist nicht zu verachten bei dem, was ein Mensch in einem | |
Industrieland jedes Jahr an Treibhausgasen freisetzt. In Deutschland sind | |
es zurzeit rund 11 Tonnen CO2, in den USA sogar 16 Tonnen. | |
Aber ein zusätzliches Kind – berechnet ist das für den Durchschnitt von | |
Japan, Russland und den USA – schlage gleich mit 58,6 Tonnen CO2 pro Jahr | |
zu Buche, wenn man dessen Klimabilanz anders als üblich den Eltern | |
anrechne. Auf das Kinderkriegen zu verzichten ist in der Rechnung der | |
beiden Wissenschaftler:innen deshalb der klare Gewinner unter den | |
verschiedenen individuellen Klimaschutzmaßnahmen in einem Industrieland. | |
Die Studie ist umstritten. Fachkolleg:innen kritisieren unter anderem | |
die Methodik: Erstens rechnen die beiden Wissenschaftler:innen nicht | |
ein, dass der Lebensstil möglicher Kinder klimafreundlicher sein könnte als | |
der der Eltern. Dafür beziehen sie sehr wohl ein, dass die Kinder wieder | |
Kinder bekommen könnten, die wieder Kinder bekommen könnten. Eingerechnet | |
sind Generationen bis zum Jahr 2400. Beides führt zu einer Überwertung | |
dieser individuellen Maßnahme. | |
## Das Problem ist der Überkonsum in Industrieländern | |
Im Prinzip wirft diese Studie das Licht darauf, warum die Anzahl der | |
Menschen auf der Erde gerade nicht das Kernproblem der Klimakrise ist – was | |
vor allem Rechte unter dem Stichwort Überbevölkerung oft mit Blick auf | |
höhere Geburtenraten im Globalen Süden behaupten. Schließlich beziehen sich | |
Wynes und Nicholas auf Menschen in Industrieländern. | |
Der Knackpunkt ist der Überkonsum in den Industrieländern, denn gerade der | |
ist es ja, der auch das Kinderkriegen laut der Rechnung so klimaschädlich | |
macht. | |
„Die Debatte über ungeborenes Leben ist Bequemlichkeit“, antwortete die | |
30-jährige Caroline Frumert, die sich auf den taz-Aufruf hin gemeldet hat. | |
Die studierte Tourismus-Managerin hat zwei kleine Kinder. „Bevor wir die | |
CO2-Bilanz hypothetischer Personen infrage stellen, müssen wir die | |
Klimabelastung durch unseren aktuellen Lebensstil diskutieren“, findet sie. | |
„Systemische Krisen dürfen nicht in die private und hypothetische | |
Handlungssphäre verlagert werden.“ | |
Auch wenn die Angst vor dem Klimawandel nicht in allen Fällen dazu führt, | |
dass Menschen sich gegen ein Kind entscheiden – sie wird in der | |
Familienplanung künftig eine Rolle spielen, resümieren die | |
Wissenschaftler:innen Schneider-Mayerson und Kit vom Yale-NUS College | |
in ihrer Studie: „Dass es wegen des Klimawandels Sorgen in Bezug der | |
Fortpflanzung gibt, scheint ein eher neues Phänomen zu sein, aber auch | |
eines, das wahrscheinlich nicht verschwinden wird.“ | |
Seit dem vergangenen Jahr baut die taz einen [5][Instagram-Kanal rund um | |
die Klimakrise] auf. Hier veröffentlichen wir einige der Rückmeldungen auf | |
die im Text erwähnte Frage an die Community: | |
„Spielt die Klimakrise eine Rolle, wenn ihr übers Kinderkriegen nachdenkt?�… | |
Das Thema „Klimawandel und Kinderwunsch“ ist für uns beide sehr präsent, | |
denn: Wir erwarten im August unser erstes Kind. Für uns war es wichtig zu | |
überlegen, ob unser Nachwuchs in einer durch den anthropogenen Klimawandel | |
gezeichneten Zukunft aufwachsen soll. Wir sind jedoch der Auffassung, dass | |
unser Kind mit den Werten und dem Wissen, das wir vermitteln können, einen | |
positiven Einfluss auf die Umwelt haben kann. So gesehen schaffen wir auch | |
einen gewissen Ausgleich für Menschen, die sich nicht um den Klimawandel | |
scheren oder ihn sogar leugnen und trotzdem Kinder bekommen. | |
Tamara und Max Bergius, beide 29, Chemielaborantin und Masterstudent | |
Die Debatte über ungeborenes Leben ist Bequemlichkeit! Als Eltern und | |
Aktivistin, finde ich es krass, dass aktive Sterbehilfe noch immer tabu | |
ist, aber Kinderkriegen nun diskutiert wird, als wäre es die perfekte | |
Lösung zur Einsparung von CO2. Bevor wir die CO2-Bilanz hypothetischer | |
Personen infrage stellen, müssen wir die Klimabelastung durch unseren | |
aktuellen Lebensstil diskutieren: Die Klimaschäden durch Massentierhaltung, | |
Haustierbesitz, den Transport- und Energiesektor müssen wir als | |
Gesellschaft mindern. Systemische Krisen dürfen nicht in die private und | |
hypothetische Handlungssphäre verlagert werden. | |
Caroline Frumert, 30, Tourismus-Managerin, Gründerin, Aktivistin und Mutter | |
zweier Kinder | |
Bevor man ein Kind bekommt, sollte man sich fragen, ob man dies trotz des | |
Wissens über die ungewisse Zukunft verantworten kann oder ob dies | |
egoistisch wäre. Aber das Nichtbekommen eines Kindes sollte nicht der | |
Klimaschutz von heute sein. Vor allem wir Menschen aus Industrieländern | |
haben die Aufgabe, unseren Lebensstil zu überdenken und zu ändern sowie ein | |
Bewusstsein für unser Handeln und unseren Konsum zu entwickeln, welches wir | |
dann an die Kinder weitergeben können. Dass Menschen auf der Erde leben, | |
ist ja nicht generell schlecht, sondern unser Umgang mit der Erde und das | |
leichtsinnige Spielen mit der Zukunft. | |
Nina Brüggemann, 20, Abiturientin mit abgeschlossener Berufsausbildung | |
Ich will keine Kinder in diese Welt setzen. Mehr Menschen, die gesättigt | |
und gewässert werden müssen, auf einem Planeten, dem sauberes Wasser und | |
Nahrungsmittel ausgehen – ein Albtraum. In unserer Welt, die nur auf Konsum | |
und Profit ausgelegt ist, schaffen wir es schon jetzt nicht, alle zu | |
ernähren. Was passiert erst, wenn Überflutungen und Dürren zum Alltag in | |
den nördlichen Breiten werden? Und dabei soll ich noch Kinder großziehen? | |
Ich kann es nicht übers Herz bringen meine leiblichen Kinder diesem | |
Schicksal auszusetzen. Solange keine Hoffnung auf Besserung in Sicht ist, | |
wird es dabei bleiben. | |
Emil Pfafferott, 20, Student | |
Mir ist bewusst, dass die Entscheidung, Kinder zu bekommen und diesem | |
Planeten somit weitere Menschen aufzuzwingen, die klimaschädlichste | |
Entscheidung meines Lebens ist. Trotzdem habe ich einen zweijährigen Sohn. | |
Er motiviert mich, die Klimakatastrophe zu bekämpfen. Die meisten | |
Klimamodelle des IPCC enden im Jahr 2100, viele davon katastrophal. 2100 | |
wäre mein Sohn 82 Jahre alt, es ist durchaus realistisch, dass er dieses | |
Alter erreicht. Seine Kinder, meine Enkel, wären dann ca. 50, also mitten | |
im Leben. Mein Sohn und meine zukünftigen Enkel werden die Klimakatastrophe | |
also erleben. Ich schulde ihnen, dies zu verhindern und den Planeten jetzt | |
zu schützen. | |
Andreas Kolmer, 34 | |
1 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://assets.morningconsult.com/wp-uploads/2020/09/28065126/200926_crosst… | |
[2] https://www.academia.edu/44523110/Eco_reproductive_Concerns_in_the_Age_of_C… | |
[3] https://www.instagram.com/klima.taz/?hl=de | |
[4] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aa7541/meta | |
[5] https://www.instagram.com/klima.taz/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
Leonie Sontheimer | |
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