# taz.de -- Abstruse Debatte im Feminismus: Klimakiller Kind | |
> Mit der Klimakrise feiert die gute alte Kinderfeindlichkeit ein Comeback. | |
> Das wird gerne als Feminismus verkauft – ist es aber natürlich nicht. | |
Bild: Eigentlich kein Geheimnis: Zukunft ohne Kinder gibt es nicht | |
Es ist einer dieser Momente, in dem einem innerlich kalt wird. Im Radio | |
[1][spricht Verena Brunschweiger], Lehrerin und Autorin des Buches | |
„Kinderfrei statt kinderlos“. Mit ruhiger Stimme erklärt sie, dass Kinder | |
Klimakiller seien und deshalb als gänzlich unerwünscht anzusehen sind. | |
Jene, die dennoch Eltern würden, täten es aus rein egoistischen Gründen und | |
gefährdeten den Planeten. Umweltpolitisch sei es jedenfalls nicht zu | |
verantworten. Die Kinderlosen sind ihrer Ansicht nach deshalb die wahren | |
Heldinnen im Kampf gegen die Erderwärmung. | |
Brunschweigers Buch ist im vergangenen Jahr erschienen, und man könnte es | |
abtun als eines von vielen, das für etwas Unruhe in unseren stets | |
aufgeregten Zeiten sorgt und dann wieder verschwindet, als sei nie etwas | |
gewesen. Doch in diesem Monat erscheint bereits ein weiteres Buch zum Thema | |
von ihr. Und, schlimmer noch: Ihre Argumente sind nun auch in Familien und | |
Freundeskreisen zu hören, sie haben sich wie ein Gift in der Gesellschaft | |
abgelagert. Fragt man die Freundin, ob sie mit ihrem Partner wirklich | |
nahezu jeden Monat fliegen müsse, mal für ein Wochenende nach Mallorca, mal | |
für eines nach Paris oder mit einem wirklich sehr günstigen Angebot nach | |
Südafrika, dann kommt inzwischen gern mal zurück: Wie ich lebe, ist | |
klimapolitisch immer noch besser, als Kinder in die Welt zu setzen. | |
Man muss sich wieder dafür rechtfertigen, Kinder zu haben. Nicht dass | |
Deutschland bisher ein besonders kinderfreundliches Land gewesen wäre. Wer | |
jemals anderswo die herzliche Zugewandtheit erlebt hat, kann sich über das | |
Ausmaß nur wundern, in dem sich viele hierzulande von Kindern gestört | |
fühlen. Sofern sie sich nicht wie kleine Erwachsene benehmen, sondern | |
Gespräche stören, dazwischenfragen, kleckern, quengeln oder herumhüpfen, | |
ist ihre Anwesenheit nur mäßig willkommen. Doch immerhin musste man sich | |
seit einigen Jahren nicht mehr dafür entschuldigen, konnte eine gewisse | |
gesellschaftliche Anerkennung und auch Rücksicht erkennen. | |
Doch mit der Klimakrise feiert die gute alte Kinderfeindlichkeit ein | |
Comeback. Wer Brunschweiger liest, stellt schnell fest, dass es ihr nur am | |
Rande um den Planeten geht. Für sie sind Mütter willenlose Gebärmaschinen, | |
die [2][dem Patriarchat auf dem Leim gegange]n sind und so | |
gehirngewaschen, dass sie selber glauben, „Glück und Erfüllung in vollen | |
Windeln zu finden“. Sie sind dumm genug, sich Brust, Bauch und Beckenboden | |
zu ruinieren, und beklagen sich dann später auch noch, wenn sie unter | |
Inkontinenz leiden. Eine Geburt sei mit einer Brustvergrößerung zu | |
vergleichen. Eine Frau begebe sich „absichtlich in eine Gefahr“, die „ihr | |
Leben negativ beeinflusst“. | |
Kindergeld gehöre abgeschafft, um stattdessen „Leute zu prämieren, die sich | |
nicht gedankenlos fortpflanzen“. Wer also „in die ewig gleiche Falle“ tap… | |
und „trächtig“ wird, solle sich bitte nicht beschweren, schon gar nicht bei | |
ihr, die sich so mutig der patriarchal verordneten Mutterrolle | |
entgegenstemmt. Brunschweiger beklagt, dass der öffentliche Raum zum | |
Kinderspielplatz verkommen sei, während tapferen | |
Reproduktionsverweigerer:innen das Leben quasi zur Hölle gemacht werde, | |
indem sie beispielsweise auf Schwangere am Arbeitsplatz Rücksicht nehmen | |
müssten. Vom Urlaubnehmen in den Sommerferien gar nicht zu reden! | |
In Brunschweigers Publikationen wächst die Diskriminierung von Kinderlosen | |
nach und nach zum größten Menschenrechtsverbrechen aller Zeiten. Ihr Traum: | |
kinderfreie Wohnanlagen, in denen man nicht vom schlecht erzogenen | |
Nachwuchs anderer „terrorisiert“ wird. | |
Herablassung und Feindseligkeit gegenüber Müttern und ihren Kindern hat es | |
in Teilen der [3][feministischen Szene] immer gegeben. Der Verlockung, den | |
eigenen Lebensstil über den von anderen zu stellen, ihn als überlegen und | |
wertvoller darzustellen, kann nicht jede widerstehen. | |
Aber folgen wir einmal für einen Augenblick der These der | |
Antinatalismusszene, dass Kinder die Klimakiller Nummer eins sind und | |
deshalb eine Null-Kind-Politik angestrebt werden müsse. Was wollen wir den | |
Flüchtlingen aus Syrien sagen? Natürlich geben wir euch Asyl, aber nur wenn | |
ihr keine Kinder bekommt? Oder den Menschen mit Migrationshintergrund? | |
Einbürgerung nur für Kinderlose? Integriert euch in die Null-Kind-Politik, | |
oder die Aufenthaltsgenehmigung wird nicht verlängert? | |
Zuwandererfamilien haben deutlich mehr Nachwuchs als der deutsche | |
Durchschnitt, aus vielen Gründen, auch aus religiösen und kulturellen. Das | |
Kinderkriegen zu diskreditieren, es als asozial, als Egotrip | |
patriarchatshöriger Idiot:innen darzustellen, hat deshalb immer auch einen | |
rassistischen Aspekt. Es ist eine sehr weiße, bildungsbürgerliche | |
Perspektive. Die Leistung der aus der Türkei, dem Irak oder aus Nigeria | |
stammenden Frau in Deutschland, die fünf Kinder großzieht, ist nichts wert. | |
Sie befördert nur den Klimawandel. | |
Dieser Logik folgend, könnte man auch über Kriege froh sein, denn sie | |
tragen zur Rettung des Klimas bei. Warum sich also um Friedensgespräche | |
bemühen und humanitäre Hilfe leisten? Weshalb sollten die Vereinten | |
Nationen die Palästinenser im Gazastreifen alimentieren, die eine der | |
höchsten Geburtenraten der Welt haben? Warum gegen Krebs ankämpfen oder | |
sich um einen langen Lebensabend von alten Menschen bemühen? | |
Brunschweiger hebt auch hervor, dass Kinderlose intelligenter seien. Sie | |
hat sogar eine Studie aufgetrieben, die festgestellt haben will, dass | |
Müttern das Gehirn schrumpft. Umso erstaunlicher ist, dass ihr, die sich | |
selbstredend für herausragend klug hält, ein grober Denkfehler unterlaufen | |
ist. Die Menschheit hat bekanntlich noch zehn Jahre, um eine unumkehrbare | |
Erderwärmung aufzuhalten. Demografischer Wandel aber vollzieht sich viel | |
langsamer – zu langsam für die derzeitige Krise. Selbst eine große | |
antinatalistische Welle könnte den Klimawandel nicht mehr aufhalten. | |
Klimaaktivisten wie Jonathan Safran Foer, Autor des Bestsellers „Wir sind | |
das Klima!“, haben das Thema erheblich besser und – mit Verlaub – | |
intelligenter durchdacht. Foer hat sich die alles entscheidende und einzig | |
richtige Frage zur Rettung des Planeten gestellt: Was ist in der kurzen | |
Zeitspanne, die uns bleibt, realistisch und schnell umsetzbar? Denn die | |
Massenpanik, die es eigentlich geben müsste, bleibt aus, ganz gleich wie | |
oft Greta Thunberg sie einfordert. Der Klimawandel ist für die meisten | |
Menschen eben doch eine zu abstrakte Gefahr. | |
„Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“ lautet der | |
Untertitel von „Wir sind Klima!“ in der englischen Orginalausgabe. Foers | |
Vorschlag: Fleisch nur noch einmal am Tag zur Hauptmahlzeit essen. | |
Massentierhaltung ist einer der größten Verursacher von CO2. Foer ist aber | |
klug genug, zu wissen, dass die Menschen nicht sofort alle Veganer werden, | |
er ist auch selbst keiner. Aber den Fleischkonsum weltweit zu reduzieren | |
könnte sehr schnell und ohne großen Umbau von Industrie und Verkehr sehr | |
viel bewirken. | |
Übrigens frage ich mich gerade, ob Brunschweiger so weit gehen würde, auch | |
Foer, der aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden stammt, vorzuwerfen, | |
aus egoistischen Gründen zwei Kinder in die Welt gesetzt zu haben. | |
## Nicht alles Persönliche ist politisch | |
Kinder sind keine Klimakiller, sondern diejenigen, denen wir es schuldig | |
sind, die Welt nicht in einem unrettbaren Zustand zu hinterlassen. Die | |
Klimakiller sind wir, die jetzt lebenden Generationen. Sich dieser | |
Verantwortung gegenüber künftigen Generationen zu entziehen, in dem man | |
keine Kinder mehr bekommt, ist verlockend einfach, aber auch feige. Die | |
Menschen werden sowieso weiter Kinder bekommen, egal wie viele Plakate | |
Antinatalist:innen auf Demonstrationen hochhalten, wie oft sie Kongresse | |
veranstalten oder wie viele Bücher sie schreiben. | |
Es ergibt deshalb keinen Sinn, nach Auswegen zu suchen, die keine sind. Die | |
Zeit, die uns beim Klimawandel bleibt, sollten wir nutzen, um uns auf | |
Maßnahmen zu konzentrieren, die sehr schnell sehr viel bewirken. Über | |
„Mamitown“ und „Stillzwang“ zu lamentieren und einen „unerkannten | |
Kulturkrieg“ herbeizureden, sogar Mutterschaft als Gegenentwurf zum | |
Feminismus zu definieren ist nicht nur in Bezug auf den Klimawandel | |
Zeitverschwendung. | |
Noch nie war es so einfach für Frauen und Männer, keine Kinder zu bekommen, | |
wie heute. Unsere freiheitliche Gesellschaft ermöglicht viele Lebensläufe. | |
Man kann lesbisch oder schwul leben, sich um Pflegekinder kümmern oder auch | |
nicht, sich heterosexuell binden oder als Single leben. Niemand wird für | |
seine Entscheidungen oder Vorlieben sanktioniert oder sozial ausgegrenzt. | |
Natürlich können junge Eltern, deren Leben gerade darum kreist, ob das Baby | |
ein Bäuerchen gemacht hat, jene nerven, die über den Aufmacher im | |
Feuilleton der Zeit diskutieren möchten. Aber daraus ein Manifest | |
abzuleiten ist fragwürdig. Nicht alles Persönliche ist politisch. | |
Vor allem aber ist Antinatalismus ein inhumanes Konzept, und | |
Menschenfeindlichkeit kann niemals feministisch sein. Frauen mit anderen | |
Wünschen und anderen Lebenskonzepten lächerlich zu machen, ihnen den freien | |
Willen abzusprechen und sie als minderbemittelte Gebärmaschinen | |
herabzuwürdigen, hat nichts Progressives, nichts Linkes und schon gar | |
nichts Feministisches. | |
Um es auf Merkelisch zu sagen: Wenn wir uns jetzt noch dafür entschuldigen | |
müssen, Kinder zu bekommen und großzuziehen, dann ist das nicht mehr mein | |
Feminismus. | |
1 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Silke Mertins | |
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