# taz.de -- Museumsführung per Telefon: Die Versuchung auf der Couch | |
> Die Staatlichen Museen Berlin bieten nun auch Telefonführungen an. Unsere | |
> Autorin besuchte „das Museum an der Strippe“ im Bademantel. | |
Bild: Die Symbolisten faszinierte die Mythologie: Fernand Khnopffs „Die Zärt… | |
Im [1][Bademantel ins Museum]? Nie hätte ich mir das träumen lassen, aber | |
seit Corona verschwimmen eben Grenzen. Nun sitze ich in meiner Wohnung, die | |
neben Herberge schon so lange auch Büro, Sportstudio und Ort der | |
Freizeitgestaltung ist, und warte darauf, dass sich mein Sofa in die | |
Ausstellungsräume der Alten Nationalgalerie verwandelt. | |
Statt auf den Bildschirm meines Computers starre ich auf das Handy in | |
meiner Hand. Denn was die Staatlichen Museen zu Berlin seit Neuestem | |
anbieten, ist „das Museum an der Strippe“. Hat man sich einmal angemeldet, | |
erreicht einen per Mail die zu wählende Telefonnummer, die nach Eingabe | |
eines Codes zu einer Telefonkonferenz leitet. Anders als erwartet ist es | |
kein automatischer Guide, der dann die circa einstündige Telefonführung | |
hält, sondern ein echter Mensch – Kunsthistoriker in diesem Falle. | |
Mit dem Angebot gehen natürlich feste Termine einher, sodass ich betrübt | |
feststellen muss, dass ich die „Reise nach Italien“ in der Gemäldegalerie | |
bereits verpasst habe. Den zweiten Termin für einen telefonischen | |
Italientrip am 24. Februar merke ich mir aber schon mal vor, denn auch dann | |
wird die Pandemie noch walten und mich der trübe Februar sicher in ein | |
akutes Fernweh gestürzt haben. | |
Zwei weitere Frauen an der Strippe | |
Für jetzt heißt es [2][„Dekadenz und dunkle Träume“] – von Letzteren h… | |
ich zwar gerade auch so genug, dennoch ziehen mich die Bilder der | |
belgischen Symbolisten sofort in ihren Bann. | |
Jean Delville, Fernand Khnopff, Félicien Rops, James Ensor und einige mehr | |
hingen bis vor Kurzem noch im ersten Obergeschoss der Alten | |
Nationalgalerie, so der Mann am Telefon, der sich als Lutz Stöppler | |
vorstellt und dessen Stimme mir unweigerlich sympathisch ist. Mit mir an | |
der Strippe hängen noch zwei weitere Frauen, deren Anwesenheit ich aber bis | |
zur abschließenden Fragerunde beinahe vergesse. | |
Stöppler beginnt mit einer Beschreibung des tempelartigen Baus der Alten | |
Nationalgalerie, auf deren breiter Freitreppe Friedrich Wilhelm IV. in | |
Bronze auf seinem Pferde thront. Weiter geht es die Treppen hoch in den | |
Ausstellungsraum und zu einem Bild des Malers und Theosophen Jean Delville. | |
„Die Liebe der Seelen“ zeigt zwei nackte Leiber, die sich in einem Strom | |
aus Luft oder Wasser der Sonne entgegenstrecken. | |
## Auditiver Rundgang für Blinde | |
Für seinen auditiven Rundgang wählt Stöppler vier der rund 80 Gemälde aus; | |
sie nur mit Worten zu umschreiben braucht Zeit und die nimmt er sich. Er | |
beginnt mit einer Formatbeschreibung, etwas, auf dass man bei einem | |
gewöhnlichen Museumsbesuch vielleicht gar nicht gesondert achten würde. | |
Doch hier wird das eigentliche Anliegen dieser besonderen Führungsart | |
deutlich, „Das Museum an der Strippe“ richtet sich nämlich (auch) an blinde | |
und sehbeeinträchtigte Menschen. | |
Es ist ungewohnt und erfordert Konzentration, sich auf diese Weise | |
entführen zu lassen. Die Versuchung, zu googeln und die Vorstellung mit der | |
Realität abzugleichen, ist groß. Während die Maltechnik der Symbolisten | |
klassisch blieb, erzählt Stöppler, sich an der realistischen Malerei und | |
Jugendstilelementen orientierte, sind die Motive oft abstrus: mal der | |
Mythologie entlehnt, wie bei Fernand Khnopffs „Die Zärtlichkeit der | |
Sphinx“, oder an christlichen Legenden orientiert, wie Félicien Rops mit | |
seiner sadomasochistisch angehauchten Interpretation von „Die Versuchung | |
des heiligen Antonius“. | |
Als Stöppler ein Schwein erwähnt, das die Szenerie auf Letzterem | |
beobachtet, siegt bei mir die Neugierde. Doch das Googeln erweist sich als | |
Fehler, denn so verlasse ich diese Imaginationsreise und lande unsanft | |
wieder in der Realität auf meinem Sofa mit dem Handy in der Hand. | |
27 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Interviewband-The-Future-of-the-Museum/!5744627 | |
[2] /Belgischer-Symbolismus-in-Berlin/!5742672 | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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