# taz.de -- Pädagogische Kniffe für die Pandemie: Bücher sind auch Nahrung | |
> Die Kuscheltiere haben ausgelernt, das Tiptoi-Buch vom Opa hat die | |
> Tochter auch durch. Ein Glück, dass die Berliner Buchläden noch auf | |
> haben. | |
Bild: Alltag in der Coronapandemie: Das Kind pädagogisch wertvoll ruhig stelle… | |
Ein Jahr lag das Tiptoi-Buch, das mein Vater meiner Tochter vorletztes | |
Weihnachten geschenkt hat, nur rum, weil ich zu blöd war, es zum | |
Funktionieren zu bringen. Mittlerweile habe ich in meinen Pausen von | |
Homeoffice und Homeschooling das Ausmisten, Aufräumen und | |
Dinge-auf-Vordermann-bringen als Freizeitbeschäftigung entdeckt. Und erst | |
gemerkt, wie irre es ist, dass ich im Vor-Pandemie-Alltag nie Zeit und Ruhe | |
hatte, in der Wohnung auch nur annähernd hinterherzukommen. Nachdem ich es | |
im ersten Lockdown geschafft habe, endlich neu zu streichen, und im | |
Lockdown light Wohnzimmer, Kinderzimmer, Küche und Bad neu dekoriert | |
habe, blieb in diesem Lockdown nicht mehr viel zu tun. | |
Daher haben meine Tochter und ich ihren Kuscheltieren einen Fernseher aus | |
Pappe mit handgezeichneten Kanälen gebaut, eine eigene Garderobe mit neuen, | |
zum Großteil selbstgenähten Anziehsachen für sie gebastelt und Schulhefte | |
für sie gemacht, die sie nun täglich zu füllen haben. | |
Ich lache mir jedes Mal ins Fäustchen über meinen pädagogischen Kniff, | |
meine Tochter auf die Idee gebracht zu haben, ihre Kuscheltiere zu | |
unterrichten. Es war die einzige Möglichkeit, die erst kürzlich | |
Eingeschulte zum Lernen zu veranlassen, da sie meint, sie habe doch | |
Coronaferien und allerhand eigene Ideen, ihre Zeit zu gestalten. Statt | |
durch ihre Hausaufgaben zu lernen, die sie nur hinhuscht, bringt sie nun | |
ihren Kuscheltieren Schreiben und Rechnen bei und bekommt gar nicht mit, | |
dass sie dabei auch übt. | |
Nach einem Monat aber ist auch das Kuscheltierklassenzimmer öde: Ein | |
Schüler, das Faultier, furzt dauernd, statt sich anzustrengen, und hat eine | |
so schrille Stimme, dass sich meine Nackenhaare aufstellen, und die anderen | |
erwarten ständig neuen Input von mir. Auf der Suche nach alternativen | |
Lernmöglichkeiten fällt mein Blick auf das Tiptoi-Buch. Da ich gerade Ruhe | |
habe, stellt sich das Anschließen des Stifts als Kleinigkeit heraus. | |
Mehr davon! | |
Nach fünf Minuten investierter Zeit habe ich mit einem Mal zwei Stunden für | |
meine Arbeit. Mehr davon!, denke ich und rufe: „Wir fahren in die | |
Bibliothek!“ Die wird gerade geschlossen. Ein junger Mann murmelt | |
entschuldigend: „Wir haben eben erfahren, dass wir nun ganz schließen. | |
Homeoffice und so.“ Ich denke an mein Homeoffice, das gerettet gewesen | |
wäre, hätte ich mich mehr beeilt, und unterdrücke ein Fluchen. | |
Ich nicke schluckend und gehe mit meiner Tochter kurzentschlossen in den | |
nächsten Buchladen, um wenigstens zwei weitere Tiptoi-Bücher mit sinnvollen | |
Lerninhalten zu kaufen, Kontostand hin oder her. Denn nichts geht gerade | |
über zwei Stunden Ruhe zum Arbeiten, in denen ich meine Tochter gut | |
beschäftigt weiß. Die Frau in der Buchhandlung reagiert sehr emphatisch, | |
als ich ihr erzähle, dass die Bibliothek just in dem Moment geschlossen | |
wurde, als wir ankamen: Sie sucht meiner Tochter einen Stapel geeignete | |
Bücher raus und schenkt ihr obendrein ein Leseexemplar. | |
Während meine Tochter sich zwei Bücher aus dem Stapel aussucht, klagt die | |
Buchhändlerin: „Um ehrlich zu sein, wünschte ich, sie würden auch die | |
Buchhandlungen schließen. Gucken Sie sich mal um: Die meisten kommen | |
einfach zum Shoppen. Weil sie einsam sind oder weil ihnen zu Hause die | |
Decke auf den Kopf fällt.“ Gerade die Alten, die besonders geschützt werden | |
sollten, würden sich im Laden stundenlang die Zeit vertreiben, ohne dabei | |
auf die AHA-Regeln zu achten: „Dass die Menschen hier einen Rumhängeort | |
haben, ist doch nicht Sinn und Zweck von so einem harten Lockdown.“ Ich | |
lächle sie an: „Nein. Aber Bücher sind auch Nahrung! Und mich retten sie | |
gerade echt.“ | |
31 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Eva-Lena Lörzer | |
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