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# taz.de -- Einfühlung in Blindheit: Wenn man nur Schwarz sieht
> Sich nicht auf den Sehsinn verlassen zu können, ist anstrengend. In einer
> Hamburger Ausstellung lässt sich Blindheit probeweise spüren. Ein Besuch.
Bild: Wenn eigentlich nichts zu sehen ist – wie hier bei einer partiellen Mon…
Erschrocken zucke ich zusammen, doch dann tritt schnell Erleichterung ein:
Es ist nur ein Vorhang. Alles andere in diesem Raum besteht aus härterem
Material, ich habe nicht damit gerechnet, ein Stück Stoff zu berühren. Ich
taste mich weiter mit meinen Händen an der Wand entlang vor, eine andere
Option bleibt mir eh nicht: Ich bin vollkommen auf diesen Sinn angewiesen.
Meine Augen, die mich durch meinen Alltag begleiten, sind hier nutzlos.
Hier, das ist der vollkommen verdunkelte Raum des Hamburger
Ausstellungsortes [1][„Dialog im Dunkeln“]. Zusammen mit einer weiteren
Besucherin werde ich durch Räume geführt, die jeweils eine Szene der
Außenwelt nachstellen: Park, Wohnung, Stadtverkehr.
Im Park ist Vogelgezwitscher zu hören, der Baum ist aus Kunststoff, das
fließende Wasser ist echt. In der Wohnung ertaste ich mit Mühe eine
Kaffeemaschine und lasse mich irgendwann erschöpft auf ein Sofa fallen.
Sich nicht auf den Sehsinn verlassen zu können, ist anstrengend.
Während der gesamten Ausstellungstour werden wir begleitet von unserem
Guide. Sie heißt Jasmin Kahraman und ist sehbehindert. Bereits als
Kleinkind wurde bei ihr eine Netzhauterkrankung festgestellt, durch die
ihre Sehzellen nach und nach abstarben. Aus ihren Augenwinkeln könne sie
noch leichte Umrisse erkennen, im Alltag ist sie aber auf den Blindenstock
angewiesen.
## Der erste Schreck ist überwunden
In der Ausstellung sind unsere Rollen vertauscht – hier benötigt Kahraman
keinen Blindenstock, sie kennt die Räume auswendig. Ich hingegen klammere
mich an meinem Stock fest. Mit der Zeit werde ich entspannter und wechsle
hin und wieder die Hand, mit der ich ihn halte.
Die Panik, die ich zu Beginn empfunden habe, ist für einen Moment weg – und
kommt wieder, als ich im stockfinsteren Raum an der Ampel stehe. Um mich
herum höre ich Straßenlärm. Mir ist bewusst, dass der Verkehr nicht real
existiert. Dennoch schüchtern mich die auditiven Signale rasender Pkws ein.
Als die Ampel das Signal für Grün gibt, stresst mich der hetzende Ton. Ich
schaffe es noch rechtzeitig auf die andere Straßenseite, mein Herz rast vor
Adrenalin.
Später gibt es die Möglichkeit, mit unserem Guide ein Gespräch zu führen.
Ich frage Kahraman, inwiefern sie von Corona betroffen ist. Die Pandemie
trifft Sehbehinderte etwas härter, erklärt sie mir. Zu Beginn habe sie
nicht alleine das Haus verlassen können, da sie es nicht selbst in der Hand
hat, ob jemand genügend Sicherheitsabstand hält. Ihre Mutter habe sie auch
anfangs mit ausreichend Desinfektionsmitteln versorgt, da sie außer Haus
überall auf ihren Tastsinn angewiesen ist – von den Türen des ÖPNV bis zum
Knopf an der Ampel.
Als ich den Ausstellungsort wieder verlasse, scheint draußen die Sonne und
es ist grell. An der Ampel höre ich das Signal für Rot, als sie aber auf
Grün umspringt, bleibt der hektische Ton aus. Ich mache einen Bogen um
einen E-Roller, der auf dem Fußweg an der Bordsteinkante liegt, und
überquere die Straße. Ich sehe die Autos bereits anfahren und beschleunige
meine letzten Schritte.
11 Jul 2022
## LINKS
[1] https://dialog-in-hamburg.de/erlebnisausstellungen/dialog-im-dunkeln/
## AUTOREN
Shoko Bethke
## TAGS
Blinde Menschen
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