# taz.de -- AfD Berlin und der Verfassungsschutz: Freunde mit gewissen Vorzügen | |
> Die AfD instrumentalisiert einen Geheimbericht des Verfassungsschutzes. | |
> Trotz rassistischer Äußerungen attestiert dieser der Partei | |
> Unbedenklichkeit. | |
Bild: Wird von der AfD angegriffen: Innensenator Andreas Geisel | |
BERLIN taz | Die Senatsinnenverwaltung hat die AfD Berlin der Lüge | |
bezichtigt. Nachdem unter anderem AfD-Fraktionschef Georg Pazderski | |
behauptet hatte, Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe Einfluss auf einen | |
Prüfungszwischenbericht des Berliner Verfassungsschutzes (VS) genommen, | |
damit dieser zuungunsten der AfD ausfalle, heißt es nun in einer | |
[1][Pressemitteilung der Innenverwaltung]: „Es wird durch die AfD | |
öffentlich der Eindruck erweckt, als sei der Berliner Verfassungsschutz | |
bereits zu einem abschließenden Ergebnis gekommen. Dem ist nicht so.“ | |
Bei dem Papier, das die Verfassungstreue der Berliner AfD prüfen soll, | |
handelt es sich laut Innenverwaltung weder um einen finalisierten Zwischen- | |
noch um einen Abschlussbericht. Die Prüfung laufe noch ergebnisoffen. Das | |
Bundesamt für Verfassungsschutz erwägt derweil, die [2][AfD bundesweit vom | |
Prüffall zum Verdachtsfall heraufzustufen]. Dann könnte der Geheimdienst | |
auch nachrichtendienstliche Mittel wie Observationen und V-Personen | |
einsetzen. | |
Pazderski behauptet, Geisel habe den Verfassungsschutz angewiesen, „ein | |
Gutachten neu bzw. umzuschreiben“, weil das Papier keine | |
verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD Berlin festgestellt habe. Die | |
Innenverwaltung hingegen sagt, weder der Innensenator noch der | |
Innenstaatssekretär hätten Kenntnis von dem Entwurf gehabt, auf den | |
Pazderski sich beziehe. Eine politische Einflussnahme habe nicht | |
stattgefunden – „anders lautende Behauptungen entsprechen schlicht nicht | |
der Wahrheit“. | |
Tatsächlich liegt der von der AfD adressierte Zwischenbericht inklusive | |
eines anonymen Anschreibens, das sich an die AfD-Abgeordneten richtet, der | |
taz vor. Auf das Schreiben bezieht sich auch Fraktionschef Pazderski in | |
einem Post in den sozialen Medien. | |
## Das bisschen Rassismus | |
Der dem Schreiben angehängte mit „VS – nur für den Dienstgebrauch“ | |
eingestufte Zwischenbericht wirkt authentisch, kommt allerdings zu einem | |
merkwürdigen Fazit, das in der Argumentation AfD-nah und nach „Das wird man | |
ja noch sagen dürfen“-Rhetorik klingt. | |
So heißt es etwa: „Es muss auch möglich sein, als Partei in der Opposition | |
Kritik an Kernfragen der Regierungspolitik wie zum Beispiel der | |
Flüchtlingspolitik zu üben, ohne damit rechnen zu müssen, als | |
rechtsextremistisch bezeichnet zu werden.“ Der AfD Berlin seien keine | |
verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachzuweisen, die eine Erhebung zum | |
Verdachtsfall rechtfertigten. | |
Das ist insbesondere deshalb erstaunlich, weil der Bericht zuvor auf vielen | |
seiner 43 Seiten öffentliche Aussagen von Berliner AfDlern etwa auf | |
sozialen Medien aufführt, die rassistisch sind und von einem rechtsextremen | |
Weltbild zeugen. | |
Reichsbürger-Ideologie, völkische Fantasien vom großen Austausch werden | |
kleingeredet, AfD-Quellen wie das in Deutschland als rechts geltende Portal | |
„Epoch Times“ unbedenklich als internationale Zeitung angeführt und | |
rassistische Ermordungsfantasien in den Kommentarspalten etwa des | |
Flügel-Anhängers Thorsten Weiß als nicht der AfD zurechenbar relativiert | |
Außerdem sei das Wahlprogramm harmlos, der Ausschluss von Mitgliedschaften | |
in rechtsextremen Organisationen in der AfD-Bundessatzung wirke entlastend, | |
der Einfluss des bereits als extremistisch eingestuften Flügels sei in | |
Berlin gering. | |
## Fazit im Widerspruch zu den Quellen | |
Das Fazit des Berichts steht damit zu großen Teilen in inhaltlichem | |
Widerspruch zu den darin angeführten Quellen. Auch erwähnt wird bei der | |
argumentativen Verharmlosung der Partei etwa die Auflösung des „Flügels“ … | |
die von Beobachter:innen der AfD und vom Bundesamt für | |
Verfassungsschutz kürzlich noch [3][als Täuschungsmanöver gewertet] wurde. | |
Insgesamt klingt gerade das Fazit, als hätten die für Rechtsextremismus | |
zuständigen Geheimdienstler:innen ihre zu große Nähe zum | |
Beobachtungsobjekt in einem Bericht zusammengefasst und würden nun | |
versuchen, damit den Spin in der Öffentlichkeit zu bestimmen. | |
Diese Interpretation jedenfalls passt zur Erklärung der Innenverwaltung. | |
„Im Zuge der Erarbeitung des Zwischenberichtsentwurfs wurden innerhalb der | |
Abteilung II (Verfassungsschutz) methodische Mängel festgestellt, sodass | |
andere Organisationseinheiten der Abteilung II noch beteiligt werden | |
mussten.“ Die Erkenntnisse seien nach den für den VS geltenden Standards | |
nicht angemessen bewertet worden. Entscheidende Gesichtspunkte seien nach | |
Auffassung eines anderen Referats (Grundsatzreferat) nicht hinreichend | |
berücksichtigt worden. | |
Ohnehin sei es für eine abschließende Bewertung, wie sie der geleakte | |
Bericht praktisch vornimmt, „zu früh, da noch die Prüfung des Bundesamtes | |
für Verfassungsschutz zur Gesamtpartei abgewartet werden muss“, heißt es in | |
der Mitteilung der Innenverwaltung. | |
Geisels Behörde will unterdessen gegen das Leaken des Berichts Anzeige | |
erstatten. Da der Zwischenbericht in die Öffentlichkeit gelangt ist, werde | |
man Strafanzeige gegen unbekannt wegen des Verdachts des Geheimnisverrats | |
stellen, heißt es in der Mitteilung – „unabhängig davon werden wir | |
personelle Konsequenzen in dem betroffenen Bereich der Abteilung II | |
ziehen“. | |
Das dürfte sich insbesondere auf den Referatsleiter des Bereichs | |
Rechtsextremismus beziehen, der bei Beobachter:innen als | |
[4][Maaßen]-Kaliber gilt und auch im Brief an die AfD-Abgeordneten erwähnt | |
wird – er würde nun als neutraler Beobachter in die Wüste geschickt. Laut | |
dem Entwurf haben neun Mitarbeiter:innen an diesem mitgearbeitet. | |
## Grüne fordern Aufarbeitung, Linke kritisiert VS | |
June Tomiak von den Grünen kommentierte: „Es ist erschütternd, dass aus dem | |
Berliner Verfassungsschutz ein als vertraulich eingestufter, vorläufiger | |
Zwischenbericht an die AfD weitergegeben wurde und nun von ihr | |
instrumentalisiert wird.“ Durch den Vorgang werde das ohnehin schon | |
angeschlagene Vertrauen in die staatliche Bekämpfung von Rechtsextremismus | |
weiter beschädigt. „Es ist richtig, dass die Innenverwaltung personelle | |
Konsequenzen angekündigt hat und Strafanzeige stellen wird.“ Um Vertrauen | |
zurückzugewinnen, seien eine „schonungslose Aufarbeitung und ein | |
anschließender Neuanfang“ nötig. | |
Niklas Schrader von der Linkspartei ist überzeugt, dass das Dokument direkt | |
aus dem Verfassungsschutz an die AfD gegangen ist. Jedenfalls sei das | |
Papier nicht einmal in den VS-Ausschuss des Parlaments gelangt. Er geht | |
davon aus, dass es von Sympathisanten der AfD geleakt wurde. Der Vorgang | |
belege, dass auch im Berliner VS noch immer Verharmloser säßen. Mit dem | |
Durchstechen habe sich die Behörde erneut selbst diskreditiert. Es sei | |
schwierig, eine solche Behörde zum Schiedsrichter über | |
Demokratiefeindlichkeit zu machen. „Dass es verfassungsfeindliche | |
Bestrebungen in der AfD gibt, ist bekannt. Um das einzuschätzen, brauchen | |
wir nicht den Verfassungsschutz“, sagt Schrader. | |
Natürlich gebe es AfD-Abgeordnete wie Thorsten Weiß, die im Flügel aktiv | |
seien. Auch merke man im Parlament und in den sozialen Medien, dass der | |
Berliner Landesverband die Rhetorik des Flügels immer mehr übernehme, sagt | |
Schrader. Die vergangenen Monate hätten zudem gezeigt, dass AfDler:innen | |
auch bei Querdenkern mitgelaufen seien, dort menschenfeindliche Positionen | |
und Antisemitismus mittrügen. Die Demokratie schützen könne allerdings | |
nicht der VS, sondern nur der gesellschaftliche Ausschluss der AfD, sagt | |
Schrader: „Wir müssen sie gesellschaftlich und parlamentarisch ausgrenzen.“ | |
22 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitt… | |
[2] /AfD-und-Verfassungsschutz/!5742009 | |
[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/verfassungsschutz-beobachtung-de… | |
[4] /Hans-Georg-Maassen/!t5007569 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
## TAGS | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Rechtsextremismus | |
Verfassungsschutz | |
Andreas Geisel | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Bundeszentrale für politische Bildung | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti | |
Verfassungsschutz | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
Bundeszentrale für politische Bildung | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kampfkandidatur von Kristin Brinker: AfD-Showdown auf dem platten Land | |
Die Berliner AfD-Abgeordnete Kristin Brinker tritt beim Parteitag gegen | |
Pazderski und von Storch an. Das ist der Höhepunkt eines langen Konflikts. | |
Von Storch und Pazderski kandidieren: AfD jetzt offiziell Altpartei | |
Aus alt mach neu: Von Storch und Pazderski kandidieren gemeinsam für den | |
Vorstand der AfD Berlin. Gegen den Exil-Parteitag formiert sich Protest. | |
Bundeszentrale für politische Bildung: Unabhängigkeit bedroht | |
Auf Bitten des Bundesinnenministeriums änderte die bpb einen Teaser im | |
Linksextremismus-Dossier. Der taz liegt nun der Wortlaut dieser „Bitte“ | |
vor. | |
Berliner Verfassungsschutz: „Enormer Schaden“ | |
Innensenator Geisel kündigt eine gründliche Untersuchung des Berliner | |
Verfassungsschutzes an. Hintergrund: der Leak eines AfD-Berichts. | |
Parteitag mit bis zu 300 Delegierten: AfD Berlin muss nach Brandenburg | |
Die AfD plant für Mitte März einen Parteitag – offenbar in Brandenburg und | |
mit 300 Delegierten. Er soll wohl im Landkreis Havelland stattfinden. | |
Programm zum Holocaust-Gedenktag: „Da ist das Schweigen groß“ | |
Mittwoch wird der Opfer der Naziherrschaft gedacht. Die Volksbühne bietet | |
ein umfangreiches Kunst- und Kulturprogramm. | |
AfD-Affäre beim Verfassungsschutz Berlin: Referatsleiter abgesetzt | |
Innensenator Geisel stellt einen Verfassungsschützer frei, nachdem ein | |
Geheimbericht an die AfD gelangt ist. Die nutzt das Dokument zum Angriff. | |
AfD Berlin und Verfassungsschutz: Hand in Hand mit dem Geheimdienst | |
Die AfD Berlin attackiert Innensenator Geisel nach einem geleaktem | |
Verfassungsschutzbericht. Das zeigt, wie unbrauchbar der Geheimdienst ist. | |
Rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln: Neonazi kommt frei | |
Sebastian T., Verdächtiger der Neuköllner Anschlagsserie, wird aus der | |
U-Haft entlassen. Die Opfer der Anschläge sind bestürzt. | |
bpb-Dossier „Linksextremismus“: Schluss mit dem Hufeisen | |
Nach Druck von Rechten ändert die Bundeszentrale für politische Bildung | |
eine Definition im „Dossier Linksextremismus“. | |
AfD und Verfassungsschutz: Das Bibbern der Beamten | |
Der Verfassungsschutz könnte die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall | |
einstufen. Verbände richten klare Appelle an die Beamten in der Partei. | |
AfD-Beobachtung durch Verfassungsschutz: Eine überfällige Entscheidung | |
Die AfD hat ihren rechtsextremen „Flügel“ lange groß und mächtig werden | |
lassen. Sie deshalb jetzt insgesamt zu beobachten, wäre richtig. |