# taz.de -- Programm zum Holocaust-Gedenktag: „Da ist das Schweigen groß“ | |
> Mittwoch wird der Opfer der Naziherrschaft gedacht. Die Volksbühne bietet | |
> ein umfangreiches Kunst- und Kulturprogramm. | |
Bild: Der Stein erinnert an den Porajmos, den Völkermord der Nazis an den Sint… | |
BERLIN taz | Mitten in den Berliner Goldenen Zwanzigern gelang Tatjana | |
Barbakoff ihr Durchbruch. Die chinesisch-russisch-jüdische Tänzerin | |
begeisterte mit faszinierenden Auftritten und farbenprächtigen Kostümen. | |
Die Presse liebte sie, viele Maler malten sie. Doch dann die Jahre des | |
Schreckens: 1933 Emigration nach Paris, 1940 die erste Internierung, 1944 | |
die Verhaftung durch die Gestapo. Weniger als einen Monat später wurde | |
Tatjana Barbakoff im Alter von 34 Jahren in Auschwitz vergast. | |
Am Mittwoch, den 27. Januar, ist es 76 Jahre her, dass die Rote Armee | |
Auschwitz befreite und das Massenmorden der Nazis beendete. Der Tag ist | |
seit 25 Jahren Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. | |
Die jüdische Kulturjournalistin Shelly Kupferberg und Tímea Junghaus, | |
Leiterin des Europäischen Roma-Instituts für Kunst und Kultur, nehmen das | |
zum Anlass, das von ihnen kuratierte Programm „[1][Diaspora Europa]“ in der | |
Volksbühne digital zu präsentieren. Es gehe darum, eine ansonsten kaum | |
sichtbare Kopplung zwischen Sinte:zza, Rom:nja und Jüd:innen | |
aufzuzeigen, sagt Kupferberg: „Wir müssen betroffene Communitys aus ihrer | |
Perspektive sprechen lassen.“ | |
Vor allem müsse die Sichtbarkeit von Sinte:zza und Rom:nja verbessert | |
werden: Da fehle in der Gedenkarbeit „fast alles“, so Junghaus, an Orten | |
des Holocausts gebe es nicht einmal Gedenkstätten. Doch könne die | |
Dehumanisierung durch den Holocaust von keiner Community allein bewältigt | |
werden: „Heilung kann nur gemeinsam, mit der Mehrheitsgesellschaft | |
zusammen, geschehen“, so Junghaus. | |
## Auch Tätergeschichten erzählen | |
Es sei deshalb wichtig, nicht nur Opfer-, sondern auch Tätergeschichten zu | |
erzählen: „Da ist das Schweigen groß. Die meisten wissen nichts von dem, | |
was ihre Großeltern im Krieg getan haben“, so Kupferberg. | |
„Diaspora Europa“ reflektiert diese Ziele: Hochklassige Sinti:ze | |
Jazz-Acts erinnern daran, dass sie seit Jahrhunderten fester Bestandteil | |
europäischer Kulturen sind. In Dor Alonis und Raban Witts Schauspiel | |
„Hitler Baby One More Time“ geht es um das Wechselspiel zwischen | |
kollektiven Traumata und individueller Identität. | |
Und auch der künstlerische Geist Tatjana Barbakoffs kann für einen Moment | |
wieder lebendig werden: Oxana Chi und Layla Zami Zuckerman schaffen eine | |
tänzerische Hommage mit biografischen Elementen. | |
Dabei gilt stets, „Gedenkarbeit mit Fragen des Hier und Jetzt“ zu | |
verbinden. Laut Kupferberg ist so auch die Webreihe „Position mit Abstand“ | |
entstanden, eine Diskursplattform gegen rechtsoffene Allianzen – als | |
direkte Abgrenzung zu den sogenannten „Hygienedemos“, die die Volksbühne | |
häufig als Kulisse missbrauchten. | |
## Antisemitismus und Rassismus heute | |
Denn die Proteste der Coronaleugner:innen bieten immer wieder Boden | |
für Holocaust-Relativierungen, etwa, wenn sich Menschen Judensterne | |
anstecken und damit Infektionsschutzmaßnahmen mit dem Holocaust | |
gleichsetzen. | |
Dies kann fruchten, da Antisemitismus weiterhin bis in die Mitte der | |
Gesellschaft verbreitet ist. Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie | |
glaubt ein Fünftel der deutschen Bevölkerung, dass „die Juden“ zu viel | |
Macht besäßen. Das erst ermöglicht den konstanten Anstieg antisemitischer | |
Gewalttaten, verübt (zumeist) durch das rechtsextremistische Spektrum. | |
Und auch Sinte:zza und Rom:nja sind gerade in der Pandemie von | |
Antiziganismus bzw. Rassismus betroffen. Immer wieder wurden die Communitys | |
mit dem Virus in Verbindung gebracht – ganz ähnlich wie schon bei Pest und | |
Cholera, kritisierte Romani Rose vom Zentralrat Mitte 2020. | |
Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Statistik diskriminiert. So werden | |
antiziganistische Straftaten überhaupt erst seit 2017 gesondert erfasst. | |
Noch 2019 bezeichnete die Bundespolizei Sint:ezza und Rom:nja als | |
„Personen aus fremden Kulturkreisen“ – über 600 Jahre nach ihrer Ankunft… | |
Deutschland. | |
Insgesamt halten die Kuratorinnen Kupferberg und Junghaus Berlin aber | |
dennoch für eine weltoffene und inspirierende Stadt. Und sie warnen davor, | |
sich zu sehr mit Vorurteilen zu beschäftigen: „Stereotype zu benennen, | |
bringt uns nicht weiter“, sagt Junghaus. Diversität muss eben gelebt werden | |
– kämpferisch, jeden Tag. | |
26 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/11488/diaspora-europa/11490 | |
## AUTOREN | |
Atessa Bucalovic | |
Timm Kühn | |
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