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# taz.de -- Marx-Lesekreis nicht mehr gemeinnützig: Ein Gespenst geht um in Ha…
> Weil der Verfassungsschutz die Marxistische Abendschule als
> „linksextremistisch“ einstuft, hat die Finanzbehörde ihr die
> Gemeinnützigkeit entzogen.
Bild: Wie würde Marx es finden, dass der Verfassungsschutz sich für seinen Le…
Hamburg taz | Welche Gefahr für die demokratische Gesellschaft kann von
einem Marx-Lesekreis ausgehen? Nach Auffassung der Hamburger Finanzbehörde
und des Landesamts für Verfassungsschutz offenbar eine ganz erhebliche. Mit
Rückwirkung für die Jahre 2018 und 2019 hat die Finanzbehörde der
„Marxistischen Abendschule Forum für Politik und Kultur e.V.“ deshalb nun
die Gemeinnützigkeit entzogen.
Der Grund dafür ist, dass die Organisation im Verfassungsschutzbericht im
Kapitel „Linksextremismus“ aufgeführt wird. Das allerdings schon seit 15
Jahren. Die Steuervergünstigung, die die Gemeinnützigkeit für Vereine mit
sich bringt, setzt voraus, dass die Vereine nicht darauf zielen, den Staat
zu stürzen oder die Demokratie abzuschaffen. Die Beweislast dafür liegt bei
den Vereinen selbst.
Obwohl der Verfassungsschutz in seinem jährlichen Bericht in der Regel
keine konkreten Anhaltspunkte aufzählt, warum er die Vereine als
extremistisch einstuft, müssen diese widerlegen, dass sie die Verfassung
ablehnen. „Das ist kafkaesk“, sagt Armin Grambart-Mertens, der Vorsitzende
der Marxistischen Abendschule Hamburg (Masch).
Eine bundesweite Debatte um die Kriterien für Gemeinnützigkeit gibt es seit
2019, als der Bundesfinanzhof der Nichtregierungsorganisation (NGO) Attac
den Status entzog. Auch die NGO Campact verlor die Gemeinnützigkeit. Bei
beiden Organisationen lautete die Begründung, dass ihre Bildungsarbeit
nicht ausgewogen genug sei und politische Ziele im Vordergrund stünden, die
aber kein Kriterium für den Status sind. Die Finanzminister*innen der
Länder brachten im vergangenen Jahr einen Reformvorschlag für das veraltete
Gemeinnützigkeitsrecht im Bundesrat ein. [1][Die Union blockierte diesen
aber].
## Die Vorwürfe des Verfassungsschutzes sind unkonkret
Im November 2019 entzog das Berliner Finanzamt dem Bundesverband der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten
(VVN/BdA) die Gemeinnützigkeit. Der Grund dafür war, dass der Bayerische
Verfassungsschutz die Organisation als linksextremistisch einstufte.
[2][Der VVN/BdA ging juristisch dagegen vor, verlor aber vor Gericht]. Es
war ihm nicht gelungen, die Behauptungen des Verfassungsschutzes zu
widerlegen – was auch daran gelegen haben mag, dass der Verfassungsschutz
keine Argumente für die Einstufung als „linksextremistisch“ liefert,
sondern die Organisation lediglich im Anhang, in einer Liste mit anderen so
eingestuften Organisationen aufführt. Das reichte dem Berliner Finanzamt,
auf Ausführungen im Textteil des Berichts komme es nicht an, befand es.
Auch was die Masch angeht, sind die Ausführungen des Verfassungsschutzes
dürftig. „In Hamburg besteht seit 1981 die auf DKP-Initiative gegründete
Marxistische Abendschule“, steht auf Seite 137 des Berichts. Und weiter:
„Sie ist hauptsächlich (…) im Universitätsbereich tätig und bietet dort
Gesprächs- und Lesekreise an. Dort steht die Marx-Lektüre im Vordergrund.“
Das beschreibt die Aktivitäten der Masch in der Tat zutreffend. Aber was
daran verfassungsfeindlich sein soll, führt der Verfassungsschutz nicht
aus.
„Das sind inhaltsleere Formulierungen, daran kann man doch kein staatliches
Handeln ausrichten“, sagt Grambart-Mertens. Es widerspreche geradezu dem
Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit: „Wir haben keine Chance, die Vorwürfe zu
widerlegen, weil es gar keine richtigen Vorwürfe sind.“ In der Erwiderung
an das Finanzamt hat er ausgeführt, warum gerade [3][ein Bildungsverein wie
die Masch] auf einen demokratischen Rechtsstaat angewiesen sei. „In einer
Diktatur ist kein freies und kritisches Lernen möglich, für das wir
stehen.“
Das Finanzamt hat das nicht überzeugt. „Es ist überfordert mit der
Bewertung“, glaubt Grambart-Mertens. Die Masch will nun vor Gericht gehen.
Die Behörde selbst wollte sich zu dem Fall nicht äußern. Die
Steuerverwaltung sei aber strikt an die Maßgaben der gesetzlichen
Vorschriften gebunden, sagte die Sprecherin Imme Mäder. „Es können und
werden dabei keine Tricks angewandt.“ Auch mache sich die Steuerverwaltung
dabei nicht zur Handlangerin von irgendjemandem.
## Die AfD interessiert sich besonders für das Thema
Dieser Vorwurf lag nahe, nachdem die Hamburger AfD-Fraktion sich mit einer
großen Anfrage an den Senat gewandt hatte. Im November fragte die Partei,
welche extremistischen Organisationen als gemeinnützig gelten oder eine
Gemeinnützigkeit anstrebten, obwohl sie vom Verfassungsschutz beobachtet
werden.
In der Antwort verrät der Senat zwar nicht, welchen Organisationen er die
Gemeinnützigkeit zu- oder aberkennt, zählt aber diverse linke Kulturzentren
auf, die der Verfassungsschutz beobachtet und die zumindest in ihrer
Satzung einen gemeinnützigen Zweck anstreben, darunter etwa das
anarchistische „Libertäre Zentrum LIZ“, das „Centro Sociale“ und
„Klassenkultur e.V.“.
In zwei von drei Fällen sei das Verfahren zur Entziehung der
Gemeinnützigkeit bereits abgeschlossen, schreibt der Senat. Dass es nur so
wenige sind, dürfte daran liegen, dass die meisten anderen von vornherein
auf die Gemeinnützigkeit verzichtet haben – weil sie das Übel kommen sahen.
19 Jan 2021
## LINKS
[1] /Reform-der-Gemeinnuetzigkeit/!5726502
[2] /VVN-BdA-weiterhin-nicht-gemeinnuetzig/!5697770
[3] https://masch-hamburg.de/impressum.htm
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Verfassungsschutz
Marxismus
Gemeinnützigkeit
Hamburg
Attac
Gemeinnützigkeit
Linksextremismus
Arbeiterbewegung
AfD Hamburg
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rassismus
VVN-BdA
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