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# taz.de -- Klage der Marxistischen Abendschule: Ein Gespenst geht um im Verwal…
> Ein Hamburger Gericht äußert Zweifel an Karl Marx' Verfassungstreue.
> Steht jetzt jeder Marx-Lesekreis unter Verdacht?
Bild: So cool wie vor 150 Jahren: Karl Marx
Hamburg taz | Es klang nach einem Sieg für alle Marx-Lesekreise in diesem
Land. [1][Am 8. April dieses Jahres gewann die „Marxistische Abendschule
Forum für Politik und Kultur“ (Masch) vor dem Verwaltungsgericht Hamburg]
gegen das Landesamt für Verfassungsschutz.
Das Gericht entschied, dass die Behörde den Hamburger Verein nicht mehr als
linksextremistisch einstufen darf. Die Masch hatte erfolgreich [2][gegen
ihre Nennung im VS-Bericht von 2021 geklagt, wegen der ihr im selben Jahr
die Gemeinnützigkeit aberkannt worden war.] Im Gerichtssaal sei vorsichtige
Euphorie spürbar gewesen, sagen Leute, die dabei waren. Man sei
rausgegangen mit dem ungewohnten Gefühl, einen politischen Erfolg
eingefahren zu haben.
Jetzt steht fest: Dieser juristische Sieg könnte sich als Bumerang
entpuppen – und als Gefahr für alle Marx-Lesekreise in Deutschland. Das
liegt an dem, was das Hamburger Gericht in seine schriftliche
Urteilsbegründung vom 10. Juli geschrieben hat. Dass Gerichte die genauen
Gründe für ein Urteil erst Wochen später schriftlich erklären, ist üblich.
Was drin steht, überrascht aber.
Zwar bestätigt das Gericht das Urteil zugunsten der Masch und nennt ihr
Auftauchen im Verfassungsschutzbericht damit rechtswidrig. Aber nur, weil
den Mitgliedern die „aktiv-kämpferische Haltung“ fehle, um der Verfassung
auch wirklich etwas anhaben zu können.
## Gericht hält Marx für verfassungsfeindlich
[3][Die Masch gibt es seit 1981]. Sie ist in Hamburg vor allem für jährlich
startende Lesekreise von Band eins des Kapitals bekannt, gibt aber auch
Bücher heraus und veranstaltet Diskussionsveranstaltungen, oft in Räumen
der Hamburger Uni. Sie sieht sich in der Tradition der
Arbeiterbildungsvereine und der marxistischen Arbeiterschulen und setzt
sich nach eigenen Angaben undogmatisch und kritisch mit marxistischer
Theorie auseinander.
Dem Verfassungsschutz war der Verein unter anderem nicht geheuer, weil die
Masch ursprünglich von [4][der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)]
gegründet wurde, mit der sie immer noch eng verbandelt sei. Diesen Vorwurf
räumte das Gericht schon im April ab und verwies darauf, dass heute nur
eines von 26 Masch-Mitgliedern in der DKP ist.
Im ausführlichen schriftlichen Urteil geht es aber um mehr. Das Gericht
erörtert die Frage, ob die Beschäftigung mit marxistischer Theorie
grundsätzlich mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (BRD)
vereinbar ist. Es findet: „Die auf die Theorien von Karl Marx zentrierte
Betätigung des Klägers steht prinzipiell im Widerspruch zur freiheitlichen
demokratischen Grundordnung.“
Dass die [5][Werke und Lehren von Karl Marx] im Zentrum der Aktivitäten der
Masch stünden, gehe schon eindeutig aus dem Namen „Marxistische
Abendschule“ hervor, fand das Gericht. Ein Problem, weil: „Die von Marx
begründete Gesellschaftstheorie (…) dürfte in wesentlichen Punkten mit den
(…) Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht
vereinbar sein.“ In der mündlichen Urteilsverkündung im April hatte das
Gericht den Punkt so noch nicht ausgeführt.
## Gefahr für alle Marx-Lesekreise
Der Rechtsanwalt Ridvan Ciftci, der die Masch vor Gericht vertrat, hält die
Ausführungen des Gerichts für fahrlässig. Sie sage: Wenn eine Gruppe
hauptsächlich Marx liest, ist das prinzipiell verfassungsfeindlich. Im Fall
der Masch ist es nur okay, weil der Haufen unbedeutend genug und nicht
„aktiv-kämpferisch“ drauf sei.
Nach der Einschätzung Ciftcis ist das eine Gefahr für alle Marx-Lesekreise
in Deutschland. „Jeder Verein, der sich hauptsächlich auf Marx bezieht,
kann damit Beobachtungsobjekt werden“, sagt der Anwalt. Insofern sei das
Urteil, mit der die Masch sich eigentlich erfolgreich gegen ihre Einstufung
als Verfassungsfeind*innen gewehrt hatte, potenziell ein Bumerang und
zumindest ein juristischer Rückschritt.
Tatsächlich sind andere Gerichte in jüngster Zeit wesentlich entspannter
mit der Theorie von Karl Marx umgegangen. Zum Beispiel entschied das
Berliner Verwaltungsgerichts zur Klage der Zeitung Junge Welt gegen ihre
Beobachtung durch den Verfassungsschutz, aus marxistischer Orientierung
allein folgten nicht zwingend Bestrebungen gegen die FDGO und Revolution
könne „auch eine radikale, sich aber noch im Rahmen des Grundgesetzes
haltende Umgestaltung der Gesellschaft sein“ ([6][Urteil
vom][7][18.07.2024]).
Das sieht das Hamburger Gericht anders. Es ist überzeugt, dass marxistische
Theorie, mit der sich die Masch befasst, auf einen gewaltsamen Umsturz und
nicht nur auf Reformen abzielt. Den Einwand der Masch, ihre
Auseinandersetzung beschränke sich auf eine bloße Kapitalismuskritik, lässt
das Gericht nicht gelten. Er ziele darauf ab, „mit dem Wirtschaftssystem
auch Staat und Gesellschaft vollständig umzuwälzen“, zitiert das Gericht
die Webseite des Vereins.
## Marx falsch verstanden?
Das Problem mit Marx sei diese Sache mit der „Diktatur des Proletariats“,
argumentiert das Gericht und schlägt den Begriff noch einmal auf
staatslexikon-online nach. Die schließe „zwangsläufig andere
Bevölkerungsgruppen von der Teilhabe an der politischen Willensbildung und
mittelbaren Ausübung der Staatsgewalt aus“. Also: undemokratisch!
Völlig falsch verstanden, findet Masch-Mitglied Michael Hopp. „Das Gericht
tut so, als hätte Marx die Texte gestern geschrieben“, sagt Hopp. Außerdem
könne man Marx durchaus als Demokrat verstehen. Gerade wenn man sich nicht
wie das Gericht ausschließlich auf das Pamphlet „Das kommunistische
Manifest“ bezieht. Der ältere Marx betone, die Mittel zur Veränderung seien
der historischen Situation anzupassen.
„Marx würde heute alles andere empfehlen, als dass irgendwelche Horden auf
den Bundestag zuströmen“, sagt Hopp. Zudem verkenne das Gericht die
marxsche Theorie als Analyseinstrument und das Wesen der Masch als
Bildungseinrichtung. „Die Vereinfachung liegt darin, dass man uns den
Überschlag vom Wort in die Tat unterstellt. Dabei gucken wir aufs Wort und
überlegen.“
## Steht der Kapitalismus im Grundgesetz?
Das Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichts berührt auch eine Frage, die
in den vergangenen Jahren nach der Forderung „Deutsche Wohnen und Co
enteignen“ wieder mehr diskutiert wurde: Inwieweit legt das Grundgesetz,
aus dem die freiheitlich-demokratische Grundordnung ja hervorgeht,
eigentlich fest, dass die BRD kapitalistisch organisiert sein muss?
Dass, wie die Masch mit Verweis auf den Politologen Wolfgang Abendroth
argumentiert, das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral sei, fand das
Hamburger Gericht, überzeuge nicht.
Es bleiben viele Fragen offen: Ist jetzt jeder Marx-Einführungskurs im
ersten Semester verdächtig? Was genau heißt „aktiv-kämpferisch“? Steht e…
radikale Gesellschaftskritik nicht notwendigerweise im Widerspruch zur
Verfassung? Um solche und weitere Fragen zu klären, plant die Masch, die
gerade noch überlegt, gegen das Urteil Berufung einzulegen, was sie am
besten kann: eine Diskussionsveranstaltung.
6 Aug 2025
## LINKS
[1] /Marxistische-Abendschule-in-Hamburg/!6077668
[2] /Marx-Lesekreis-nicht-mehr-gemeinnuetzig/!5741941
[3] /Einblick-Marxistische-Abendschule-Hamburg/!1444686//
[4] /DKP-Chef-ueber-die-Zulassung-zur-Wahl/!5786016
[5] /Karl-Marx-Werk/!5502350
[6] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001591260
[7] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001591260
## AUTOREN
Amira Klute
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„linksextremistisch“ einstuft, hat die Finanzbehörde ihr die
Gemeinnützigkeit entzogen.
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