# taz.de -- Instrumentalisierung von Jugendarbeit: Auftrag zum Ausforschen | |
> Die Hamburger Sozialbehörde will von Trägern der Jugendarbeit wissen, ob | |
> ihre Besucher*innen (links)extremistische Tendenzen haben. | |
Bild: Ein Fall für den Fragebogen: Jugendliche Antifaschist*innen | |
HAMBURG taz | Die Grenzen verschwimmen. Einrichtungen der Offenen Kinder | |
und Jugendarbeit (OKJA) sollen der Sozialbehörde über die politischen | |
Einstellungen ihrer Besucher*innen Auskunft geben. So will Hamburgs | |
Senat „linker Militanz“ unter Jugendlichen vorbeugen. | |
Gefragt aber wird nicht nur nach der Gewaltbereitschaft, sondern auch nach | |
dem Kleidungs- und Sprachstil oder dem Gedankengut der Heranwachsenden. | |
„Die Einrichtungen werden instrumentalisiert, um Jugendliche | |
auszuforschen“, sagt die Fraktionschefin der Linken, Sabine Boeddinghaus. | |
Stein des Anstoßes ist eine Umfrage der Sozialbehörde, über die die [1][taz | |
Anfang Januar berichtet] hat. An 150 Einrichtungen der Jugendarbeit – vom | |
Jugendclub bis zum Bauspielplatz – wurde voriges Jahr ein Fragebogen zu | |
möglichen „extremen Haltungen“ der Besucher*innen verschickt. Erstmals | |
wurde dabei auch nach der „linksradikalen Ausrichtung“ der Jugendlichen | |
gefragt. Frühere Umfragen hatten nur nach einer möglichen rechtsradikalen, | |
fundamental-konfrontativ-islamischen oder allgemein „menschenfeindlichen | |
Ausrichtung“ geforscht. | |
Die Erweiterung des Fragenkatalogs ist eine Folge der Auseinandersetzungen | |
während des Hamburger G20-Gipfels 2017. Der Senat richtete danach eine | |
„überbehördliche Arbeitsgruppe“ ein, an der neben der Sozialbehörde auch | |
die Polizei und der Verfassungsschutz teilnehmen, um sich über „linke | |
Militanz“ und staatliche Gegenmaßnahmen auszutauschen. | |
## Senatskonzept gegen linke Militanz | |
In seinem [2][Konzept zur Bekämpfung linker Militanz] hatte der Senat 2019 | |
noch „ausdrücklich“ darauf hingewiesen, dass es dort ansetze, „wo Grenzen | |
legitimen Protestes und der radikalen Meinungsäußerung überschritten werden | |
und er in gewaltbereites, gewalttätiges und militantes Verhalten | |
umschlägt“. Doch die Praxis hat das Konzept längst überholt. | |
Der innenpolitische Sprecher der Linkspartei, Deniz Celik, beklagt, dass | |
„der Fragenkatalog nicht, wie im Konzept vorgesehen, auf Gewalt bezogen | |
ist, sondern auf die politische Einstellung.“ Sein Fazit: „Der Senat | |
versucht stümperhaft seine wahre Absicht, Erkenntnisse über den | |
Linksextremismus zu sammeln, zu verschleiern“. Die Linke fordert, dass | |
„diese Praxis unverzüglich eingestellt wird“. | |
Boeddinghaus und Celik wollten nun in einer [3][Kleinen Anfrage] an den | |
Senat wissen, wieso „Jugendliche, die ein T-Shirt mit Antifa-Emblem tragen | |
oder Flyer zu einer linken Demo auslegen, ein Fall für Präventionsarbeit“ | |
sein sollen. | |
Die Antworten bleiben allgemein: Es könne „erforderlich sein, dass | |
pädagogische Fachkräfte auf junge Menschen einwirken, die sich gegen die | |
demokratische Ordnung wenden“. Weiter heißt es: „Meinungsäußerungen durch | |
das Tragen von T-Shirts oder Emblemen, das Auslegen von Flyern oder | |
sprachliche Äußerungen sind gemeinsam mit weiteren Verhaltensweisen | |
entsprechend zu interpretieren.“ | |
## Träger boykottieren Umfrage | |
Fast alle Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit ließen den Fragebogen | |
unbeantwortet. Sie dürfen gespannt sein auf eine von der Sozialbehörde auf | |
den 3. Februar terminierte Online-Fachtagung mit dem Titel „Linke Militanz | |
– Bedarfe und Möglichkeiten der OKJA“, zu der sie eingeladen wurden. | |
Die [4][Interessenvertretung Offene Arbeit Hamburg (IVOA)] fragt in einer | |
bislang unveröffentlichten Stellungnahme: „Aus welchem Grund werden | |
zunächst diverse extremistische Orientierungen junger Hamburger Bürger | |
abgefragt, in der Fachveranstaltung aber konzentriert ausschließlich das | |
Thema ‚Linksradikalismus‘ erörtert und diskutiert, wo rechter und | |
islamistischer Terror zunehmen?“ | |
Die IVOA sieht in dem Fragebogen „die Instrumentalisierung der Offenen | |
Kinder-und Jugendarbeit“ und betont mit Blick auf die Arbeitsgruppe von | |
Polizei, Verfassungsschutz und Sozialbehörde: „Soziale Arbeit kann nie Teil | |
der Ermittlungsbehörden sein und der Exekutive zuarbeiten.“ | |
Vor allem aber wehrt sich das Gremium gegen eine „mögliche Diffamierung | |
junger Menschen, die sich etwa für mehr Klimagerechtigkeit einsetzten, als | |
Linksextremist*innen“. Sein Credo: „Wenn junge Menschen begreifen, dass | |
ihre Ziele nicht in der derzeitigen Wirtschaftsordnung und Orientierung an | |
Gewinnmaximierung erreichbar sind, sind sie nicht linksradikal, sondern | |
entwickeln ein politisches Bewusstsein.“ | |
25 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Umstrittene-Praevention-in-Hamburg/!5737867 | |
[2] https://www.hamburg.de/gegen-linke-militanz/ | |
[3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74057/linke_militanz_in_de… | |
[4] https://www.entschlossen-offen.de/ | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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