# taz.de -- Umstrittene Prävention in Hamburg: Sozialarbeit gegen links | |
> Erstmals schickte die Sozialbehörde Jugendtreffs Fragebogen zu | |
> „linksradikaler Ausrichtung“ ihrer jungen Besucher. Nun lädt sie zur | |
> Fachtagung ein. | |
Bild: Tragen Jugendliche so einen Rucksack, sollen Sozialarbeiter das anonymisi… | |
HAMBURG taz | „Bei uns sind die Jugendlichen ganz entpolitisiert. Und wenn | |
es mal eine Hauerei gab, dann höchstens Stadtteil gegen Stadtteil“, sagt | |
Klaus Schramm. Er ist seit vielen Jahren Sozialarbeiter in einem Jugendclub | |
am Rand von Hamburg und ärgert sich jedes Mal, wenn die Sozialbehörde einen | |
Umfragebogen zu „extremen Haltungen“ schickt. | |
Der jüngste aus 2020 fragte erstmals auch nach „linksradikaler Ausrichtung“ | |
der jungen Besucher. Und nun, am 3. Februar, soll das Ergebnis dieser | |
Befragung Mittelpunkt einer „Online-Fachveranstaltung“ sein unter dem Titel | |
„Linke Millitanz – Bedarfe und Möglichkeiten der OKJA“. | |
OKJA ist das Kürzel für „[1][Offene Kinder und Jugendarbeit]“ und meint | |
rund 150 Treffs und Clubs, betreute Bauspielplätze und andere Orte, zu | |
denen junge Menschen abseits von Schule einfach so hingehen können und bei | |
denen Sozialarbeiter wie Schramm ihnen beim Aufwachsen parteilich zur Seite | |
stehen. „Mich haben diese Fragebögen aufgeregt. Wir beantworten die nicht“, | |
sagt Schramm, der anders heißt, aber seinen echten Namen nicht in der | |
Zeitung lesen will. Es liege ihm fern, die Jugendlichen so auszuforschen. | |
Der Fragebogen, der erstmals 2014, dann 2017 und nun 2020 an die OKJA und | |
die Jugendsozialarbeit ging, umfasste in den ersten beiden Runden nur | |
Fragen nach rechtsradikaler, fundamentaler konfrontativer islamischer oder | |
menschenfeindlicher Ausrichtung. Jene Fragen nach „linksradikaler“ | |
Ausrichtung sind neu und Folge der Ausschreitungen um den G20-Gipfel im | |
Jahr 2017. | |
Die Fragen sind detailliert. Zum Beispiel will die Stadt wissen, ob im | |
Umfeld oder in der Einrichtung verbal, mit Symbolen oder mit Info-Material | |
„missioniert“ wird, oder wie viele Besucher über ihre Kleidung, ihr | |
Verhalten, ihr Auftreten, ihr Erscheinungsbildung mit einer der vier | |
Ausrichtungen identifizierbar sind und wie häufig es Konflikte gibt. | |
Die Einrichtungen sollen ihren Namen angeben. Dies sei aber „nur für | |
Rückfragen des zuständigen Bezirksamtes; wird dann gelöscht“, heißt es in | |
dem Formular. Laut Sozialbehördensprecher Martin Helfrich ist die | |
Beantwortung freiwillig. Namen würden anonymisiert. „Eine | |
einrichtungsbezogene Auswertung ist nicht möglich“, sagt er. Die Befragung | |
solle Unterstützungsbedarf ermitteln. Doch das Ergebnis bekommen durch | |
Berichterstattung der federführenden Sozialbehörde auch Innenbehörde und | |
Verfassungsschutz mitgeteilt, „in den entsprechenden Fachgremien“. | |
Damit dürfte die überbehördliche Arbeitsgruppe gemeint sein, die laut einer | |
[2][Senatsdrucksache vom Dezember 2019] eingerichtet wurde, um sich über | |
Entwicklungen, Maßnahmen und Erfahrungen [3][zum Thema „Linke Militanz“ | |
auszutauschen]. Zugleich erhielt die Sozialbehörde ein Referat | |
„Protestbewegungen“, das Präventionsarbeit gegen linksextremistisch | |
begründete Gewalt weiter entwickeln soll. Als einen „zentralen | |
Handlungsschwerpunkt“ sieht der Senat, die pädagogischen Fachkräfte dazu zu | |
kriegen, sich hier weiterzubilden, etwa durch Erkennen linker | |
Agitationsstrategien im Internet oder Argumentationstraining. | |
Die nun angesetzte Fachveranstaltung zum Thema „Linke Militanz“ scheint ein | |
erster Anlauf zu sein. In der Einladung heißt es, da Radikalisierung und | |
Gewaltbereitschaft im Jugendalter ihren Ausgang nähmen, verfügten OKJA und | |
Jugendsozialarbeit „über eine besondere Chance, hier präventiv wirken zu | |
können“. | |
Eingeladen ist auch die „Bundesfachstelle Linke Militanz“ in Göttingen, die | |
einen Workshop für Jugendliche über „Protest am Beispiel der 68er-Bewegung�… | |
vorstellt. Die Fachstelle, die für die taz wegen der Ferien zwischen den | |
Jahren nicht erreichbar war, warnt [4][in ihren Publikationen] allerdings | |
davor, den Linksextremismusbegriff zu nutzen oder diesen mit | |
Rechtsextremismus gleichzusetzen. Auch sei hier der Begriff „Prävention“ | |
stigmatisierend, denn linke radikale Ansichten sollten diskutiert und nicht | |
pauschal als demokratieschädlich klassifiziert werden. Stattdessen | |
empfehlen die Göttinger politische Bildungsarbeit, die sich | |
phänomenübergreifend an alle Jugendlichen wendet. | |
## Sozialarbeiter erwägen Gegenveranstaltung | |
Die Veranstaltung sorgt für Aufregung. „Wir verstehen nicht, warum man sich | |
so mit den Linken befasst und überlegen, eine Gegenveranstaltung zu | |
machen“, sagt Schramm. Der Verband Kinder und Jugendarbeit Hamburg, VKJH, | |
lädt in einer Mail für den 8. Januar zu einem Meeting ein, um zu | |
besprechen, wie die Mitglieder mit der Veranstaltung umgehen. Denn diese | |
falle in eine Zeit, in der sich die Grenzen des politisch Sagbaren weiter | |
nach rechts verschöben. Zu Recht mehrten sich nun kritische Stimmen, „warum | |
gerade in diesen Zeiten eine derartige Fachveranstaltung zu | |
sogenannter,Linker Militanz' stattfindet“. | |
Auch die Jugendpolitikerin der Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus, | |
bezweifelt, dass „Linke Militanz“ gerade ein bedeutendes Problem für die | |
Kinder- und Jugendarbeit sei. Die Sozialbehörde solle sich mit den echten | |
Sorgen befassen, wie prekäre Lebenssituation junger Menschen oder | |
Unterfinanzierung vieler Häuser. „Dass politische Bildung Priorität | |
bekommt, würde ich sofort unterstützen, die wäre aber in der Schule gut | |
angesiedelt und gehörte in den OKJA Einrichtungen zum freiwilligen | |
Angebot.“ | |
Kontraproduktiv indes findet sie den Fragebogen zu kulturellen, religiösen | |
und politischen Extremismus-Vorkommnissen. „Das widerspricht aus meiner | |
Sicht den Grundprinzipien der OKJA, wie Vertraulich- und Parteilichkeit.“ | |
3 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/jugendhilfe/3381848/evaluation-offene-kinder-und-jug… | |
[2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/69122/konsequenzen_aus_den… | |
[3] /Noe-zu-Gewalt-Ja-zu-links/!5648869/ | |
[4] http://www.linke-militanz.de/ueber-uns/paedagogische-arbeit | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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