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# taz.de -- Rolle der Polizei bei G20 in Hamburg: Gewalt „gerechtfertigt“
> Die Aufklärung der Polizeigewalt beim G20-Gipfel nähert sich ihrem
> traurigen Abschluss. 120 der 157 Ermittlungsverfahren wurden bereits
> eingestellt.
Bild: Die Aufklärung der Polizeigewalt beim G20-Gipfel wird wohl im Nebel blei…
Hamburg taz | Ein Wort, das vielen Menschen im Zusammenhang mit der
[1][Polizeigewalt beim G20-Gipfel] eher nicht sofort in den Sinn kommt, ist
„gerechtfertigt“. Fragt man den Senat, sieht das ganz anders aus. Die
Linksfraktion hat in der vergangenen Woche eine Große Anfrage zu dem für
die Regierung unangenehmen Thema gestellt. An 43 Stellen antwortet der
Senat: Das Handeln war gerechtfertigt.
Insgesamt führte die Staatsanwaltschaft im G20-Kontext 157
Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen. Die Zahl der Anklagen, die
daraus hervorgingen: null. Bereits eingestellte Verfahren: 120. In den
Antworten listet der Senat die Vorwürfe auf – meistens Körperverletzung im
Amt – und nennt die Gründe, aus denen die Ermittlungen eingestellt wurden.
Der am häufigsten aufgeführte Grund: Die Täterschaft war nicht nachweisbar,
oft war nicht einmal der oder die Täter*in zu ermitteln. An mehreren
Stellen antwortet der Senat aber auch, der Schlag auf den Kopf, der Schlag
ins Gesicht, die Faustschläge gegen die Rippen oder der Einsatz von
Pfefferspray seien gerechtfertigt gewesen.
Ob das stimmt, wird wohl niemals aufgeklärt werden. Auch ob die Täter*innen
wirklich nicht ermittelt werden konnten, oder vielleicht nicht ermittelt
werden sollten, weiß wohl nur die Polizei. Nach dem Sonderausschuss der
Bürgerschaft zur Aufklärung der Gewalttaten rund um den Gipfel, [2][der
2018 ergebnislos zu Ende gegangen war], dürfte die Einstellung der
Verfahren wohl den traurigen Abschluss der Aufklärung der Polizeigewalt bei
G20 darstellen.
In ihrer Anfrage geht die Linksfraktion auch auf einige Szenen ein, die
sich vielen ins Gedächtnis geprägt haben. Da ist zum Beispiel das Bild
einer [3][Frau in einer roten Leggins und blauem T-Shirt], die auf einem
Räumpanzer steht und der Beamt*innen von unten Pfefferspray ins Gesicht
sprühen. „Der Einsatz war gerechtfertigt“, schreibt dazu der Senat.
Oder [4][der Fall der Tänzerin Lola D.], die am Arrivatipark aus dem Nichts
heraus von Polizist*innen überfallen wurde und ihr das Bein brachen. In dem
Fall dauerten die Ermittlungen an, schreibt der Senat. Der verantwortliche
Polizist konnte bislang nicht ermittelt werden. Die Tänzerin erhielt,
nachdem sie vor einem Zivilgericht geklagt hatte, 4.770 Euro Schadenersatz
und die Erstattung ihrer Anwaltskosten von der Polizei.
Auch ein Video, auf dem Polizist*-innen am Fischmarkt einen am Boden
liegenden Menschen mit lila Haaren und einer Fußschiene mehrfach schlagen,
dann von ihm ablassen und weitergehen, hatte Empörung hervorgerufen. „Was
wurde aus dem Fall?“, fragen die Linken. Das Verfahren sei eingestellt
worden, weil die Maßnahmen gerechtfertigt waren, sagt der Senat.
Deniz Celik, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, findet das
schockierend. „Während diejenigen, die gegen den G20 demonstriert haben,
kriminalisiert und teilweise in Sippenhaft genommen werden, wird bei den
Polizisten offensichtlich ein Auge zugedrückt. Das erschüttert das
Rechtsempfinden vieler Menschen.“ Die bestehenden Strukturen zur
Strafverfolgung von Polizist*innen seien offenbar völlig ungeeignet. Die
Linken fordern eine unabhängige Beschwerdestelle für die Polizei.
## Grüne sind mit der Aufklärung unzufrieden
Das hatten auch die Grünen gefordert, [5][konnten sich in den
Koalitionsverhandlungen aber nicht gegen die SPD durchsetzen]. Die
innenpolitische Sprecherin der Grünen, Sina Imhof, ist nicht zufrieden mit
der Aufklärung der Polizeigewalt.
„Wir haben immer deutlich gemacht, dass viele Videoaufnahmen dafür
sprachen, dass es vereinzelt zu strafrechtlich relevantem Verhalten von
Beamtinnen und Beamten gekommen ist. Die mangelhafte Aufklärung ist für
viele Bürgerinnen und Bürger Hamburgs nicht nachvollziehbar.“ Grundsätzlich
sei die Polizei aber angemessen mit den vielfältigen und bunten Protesten
umgegangen.
Daniel Loick, Philosoph und Sozialtheoretiker an der Universität Amsterdam,
ist vom Umgang des Hamburger Senats mit Polizeigewalt nicht überrascht.
„Das ganze Narrativ vom Gipfel ist ja, dass die Gewalt von Linken ausging
und die Polizei besonnen reagiert hat. Aber wenn man da war oder die Bilder
gesehen hat, weiß man, dass es anders war.“
Dass Polizeigewalt fast nie aufgeklärt werde, habe systematische Gründe:
Betroffene kassierten Gegenanzeigen, Polizist*innen sagten füreinander aus
und die Staatsanwaltschaften seien auf die Ermittlungen der Polizei
angewiesen, weshalb sie sich mit Anschuldigungen sehr zurückhielten.
„Wenn dann noch Olaf Scholz die oberste politische Linie dessen vorgibt,
was bei den Ermittlungen herauskommen soll, braucht man nicht mehr auf
Aufklärung zu hoffen“, sagt Loick. „Aber schockierend ist es trotzdem.“
27 Jun 2020
## LINKS
[1] /Realitycheck-zu-G20-Polizeigewalt/!5427171/
[2] /G20-Sonderausschuss-in-Hamburg-endet/!5525262/
[3] https://g20-doku.org/index.html@p=48.html
[4] https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Polizeiuebergriff-bei-G20-Ein-verh…
[5] /Rot-gruener-Koalitionsvertrag-in-Hamburg/!5686270/
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Schwerpunkt G20 in Hamburg
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