# taz.de -- Linke Aktivistin über ihre Erlebnisse: „Die Soko stürzte in uns… | |
> In den 80er-Jahren schloss sich Annette Ramaswamy der Anti-Atom-Bewegung | |
> an. Seitdem geriet sie als Aktivistin oft mit dem Gesetz in Konflikt. | |
Bild: Will nicht mit Nazis reden: Annette Ramaswamy aus Göttingen | |
taz: Frau Ramaswamy, Sie sind schon oft als Aktivistin mit dem Gesetz in | |
Konflikt geraten, passenderweise treffen wir uns hier in den Räumlichkeiten | |
der Roten Hilfe Göttingen. Wie viele Ordner füllen Ihre Verfahren? | |
Annette Ramaswamy: Das sind jetzt so zehn Seiten nur Einträge – aber auch | |
lächerliche Sachen. | |
Ein Fall hat besondere Aufmerksamkeit erlangt. „Wäre ich nicht so zu Tode | |
erschrocken gewesen, ich wäre in lautes Lachen ausgebrochen“, [1][sagten | |
Sie 2017 der taz], nachdem die [2][„Soko Schwarzer Block“] bei ihnen | |
eingefallen war. | |
Erst mal war ich natürlich total erschrocken. Ich konnte mir nicht | |
vorstellen, dass bei uns gerazzt wird. Ich dachte mir: „Was wollen die | |
hier?“ Das war so unwirklich, komisch und grotesk. | |
Können Sie beschreiben, wie das ablief? | |
Das war am sechsten Dezember 2017. Es war dunkel und kalt. Wir saßen ganz | |
normal beim Kaffee. Mein Mann, der Erwachsenenbildung bei der IG Metall | |
macht, wollte nach Salzgitter. Seine ganzen Arbeitsunterlagen hatte er | |
schon zusammengepackt. Da saßen wir entspannt beisammen und ich dachte, ich | |
lege mich vielleicht noch mal hin. Plötzlich stand vor unserer Terrassentür | |
eine Riesenschar Leute. Mein Mann schloss auf und dann stürzte die Soko | |
Schwarzer Block in unsere Küche. | |
Und das fanden Sie nur grotesk? | |
Ich war natürlich ganz aufgeregt, aber ich hätte gleichzeitig eben auch | |
laut lachen können. Unsere Küche ist nicht besonders groß, wir mussten an | |
der Wand stehen. Wie ich später feststellte, hatte die Soko alle | |
Eingangstüren besetzt und die Straße war gesperrt. Mein Mann sagte: Ich ruf | |
einen Anwalt dazu. Daraufhin blieb alles stehen und die durften gar nichts | |
machen. Die Polizei stand untätig rum und wir standen untätig rum. Das war | |
so grotesk und gleichzeitig so fürchterlich. | |
Wie passierte das, dass die Soko Schwarzer Block bei Ihnen eingefallen ist? | |
Ich wusste schon sehr früh, dass ich zum G20 nach Hamburg wollte. Ich | |
dachte, diese Gelegenheit hast du nie wieder, so eine Blockade mitzumachen. | |
Meine Tochter wohnte damals in Hamburg, die bot mir einen Schlafplatz an, | |
aber ich nahm lieber einen ganz frühen Zug. Das Kinder- und | |
Enkelkinderprogramm stand an dem Tag nicht so an. Ich habe mich dann in den | |
Volkspark durchgeschlagen, mich umgeguckt und mir eine Gruppe gesucht. Das | |
war eine ganz tolle Atmosphäre. Dann hat irgendwann jemand gesagt: Da vorne | |
steht ein astreiner Schwarzer Block. Da habe ich mir gesagt: Da geh ich | |
mit. Dann ging es über große Chausseen, im flotten Schritt und ich dachte: | |
Wir kommen ja gut voran, irgendwo setzten wir uns jetzt auf die Straße. Das | |
hatte ich mir vorgenommen. | |
Dazu kam es aber nie? | |
Plötzlich war vorne ein Tumult, die ganze Demo bog ab und rannte diesen | |
„[3][Rondenbarg]“ hoch. Ich habe versucht mitzuhalten, bin aber | |
zurückgefallen. Dann habe ich mich ein bisschen an die Seite geschlagen und | |
da waren wir alle schon nass gesprüht, pitschnass. Es gibt auch ein Video, | |
wo der Wasserwerfer die Leute in den Graben spritzt. Manche sind noch eine | |
Böschung hoch. | |
Die Polizei hat also Ihre Pläne durchkreuzt. | |
Das allerschlimmste war für mich, als ich sah, dass ein Gitter neben der | |
Straße abgebrochen war. Ich wusste nicht, wie tief es hinunter geht, hatte | |
plötzlich Sorgen und mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, dass da | |
unten jemand liegt. So war es dann ja auch. Es gab zwar keine Toten, aber | |
Schwerverletzte. Das war furchtbar. | |
Und dann ging’ s ab in die Gefangenensammelstelle nach Harburg? | |
Dort war es ein bisschen spooky. Viele waren sehr erschöpft und hatten | |
Nervenzusammenbrüche. Es waren schon mehrere Stunden vergangen. Wir mussten | |
noch mal Personalien angeben und uns bis auf die Unterhose ausziehen. Ich | |
sagte dann: Ich will jetzt telefonieren. Ein Beamter wollte dann, dass ich | |
erst mal in eine Zelle komme, da habe ich mich aus Protest auf die Erde | |
gesetzt. | |
Das hat die Beamt*innen sicher gefreut. | |
Es gab ein Riesengeschrei. Ich wurde ganz weit nach hinten geschleift und – | |
wumms! – in eine Einzelzelle gesperrt. Wie lange, kann ich nicht sagen, ich | |
verlor mein Zeitgefühl bei der Dauerbeleuchtung. Ich bekam weder | |
ausreichend zu essen, noch zu trinken. Dann wurde ich noch zwei Mal | |
verlegt. Jedes Mal bekam ich alles vorgehalten, ich daraufhin: Nein, ich | |
unterschreib’ hier nix. Das Übliche. Ich lache jetzt so, aber damals war | |
ich schon verschreckt und verzagt. Manchmal ärgere ich mich, weil ich noch | |
viel mehr Rabatz hätte machen können. | |
Warum sind Sie zum G20 gefahren? | |
Wenn so viele mächtige Menschen zusammenkommen, müssen die diese Wut, den | |
Protest spüren und das geht nur, wenn ganz viele hinfahren. Die sollten | |
sich fragen: Wieso brüllt es draußen? Wieso scheppert es? Wieso sind | |
Straßen blockiert? So was hatte ich mir ja vorgestellt, dass große Massen | |
sich doch Gehör verschaffen können – obwohl ich in meinem ganzen Leben | |
schon oft eines Besseren belehrt wurde. | |
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie politisch aktiv wurden? | |
Als 1986 Tschernobyl passierte, war ich noch jung und hatte kleine Kinder. | |
Wir waren sehr betroffen von diesem schweren Unfall, der uns die | |
Gefährlichkeit der Radioaktivität klar machte. Mir wurde klar, dass man | |
gegen Atomkraft protestieren muss und dass es keine friedliche Nutzung | |
gibt. Potenziell kann immer Plutonium produziert werden und damit wird | |
waffenfähiges Material möglich. Damals schloss ich mich der | |
Anti-Atom-Bewegung an. Es folgten viele Demobesuche, wegen der Kinder in | |
abgespeckter Form. Dann ereignete sich Fukushima und es gründete sich eine | |
neue, große Anti-Atom-Bewegung. Meine Kinder waren schon groß und ich | |
konnte mich richtig aktivistisch einbringen. Ich erinnere mich an große | |
Kundgebungen, wo wir mit viel Kreativität dieses Thema bearbeitet haben. | |
Dort sind Sie noch aktiv? | |
Ich bin immer dabeigeblieben. Mittlerweile ist das aber sehr viel kleiner, | |
wir halten hier in Göttingen noch regelmäßig Mahnwachen ab. Jetzt, wenn die | |
Atomkraftwerke abgestellt werden sollen, muss man den Fokus ändern. Jetzt | |
müssen wir eben gegen die Endlagerung und gegen atomare Bewaffnung | |
protestieren. Durch meine Aktivitäten war ich immer aktualisiert, was in | |
Göttingen los ist. Dann wurden hier in Göttingen auch viele Nazis aktiv. Da | |
war für mich als Antifaschistin klar, dass ich mich beteiligen möchte. | |
Seitdem habe ich sozusagen auf zwei Gleisen Aktivismus betrieben – | |
einerseits bei der Anti-Atom-Bewegung und andererseits bei Aktionen, wenn | |
hier Naziaufmärsche geplant waren. | |
Wie war die Situation mit den Nazis zu der Zeit? | |
Das war so in den 2000ern. Es gab große Ankündigungen der Nazis, durch | |
Göttingen zu marschieren. Wir haben rechtzeitig und gut reagiert, waren | |
sehr stark und haben eine riesige Gegendemo veranstaltet. Die Nazis konnten | |
letztendlich gar nicht marschieren. Ich erinnere mich an brennende | |
Barrikaden, … | |
Der Weg von Ihnen und NPDler Jens Wilke, einem der Nazis aus der Region, | |
haben sich dann öfter gekreuzt, oder? | |
Da beginnt eigentlich meine kreativste Phase. Jens Wilke und der | |
Freundeskreis. Einmal ist es uns geglückt, die Freundeskreisversammlung | |
mächtig zu stören. Die Gruppe wollte sich in einer Kleinstadt – Duderstadt | |
– an einem Teich versammeln. Wir haben uns gedacht, da kommen wir von der | |
Wasserseite. Das war ein voller Erfolg, aber das knallrote Gummiboot war | |
furchtbar wackelig. | |
Die Nazis sind auch bei Ihnen zu Hause vorbeigekommen, habe ich gelesen. | |
Das war an einem Tag, als der Freundeskreis bei der Stadthalle eine | |
Kundgebung abhalten durfte. Antifaschist*innen sind über die | |
Absperrungen gegangen, es gab Geschubse und Rangelei mit der Polizei. | |
Irgendwann waren die Nazis abgezogen. Ich war bereits wieder zu Hause und | |
kochte mir gerade einen Kaffee, da hielt ein Auto vor unserem Haus. Drinnen | |
die Nazis, die mit so einer Flüstertüte rausbrüllten: „Da ist der | |
antifaschistische Familienverein“, „Der Kampf hat erst begonnen“ und solc… | |
Sachen. Mein Mann rief die Polizei, die kam nicht. Dafür kamen die Nazis | |
eine knappe Stunde später noch mal und standen schon wieder grölend vor | |
unserem Haus, diesmal in der anderen Fahrtrichtung. Wir haben wieder die | |
Polizei gerufen, die nicht kam. | |
Das war nicht die letzte Attacke auf Ihre Familie? | |
Es gab noch mehrere Angriffe an unserem Haus. Uns wurde zum Beispiel ein | |
Transparent geklaut. Das wurde dann auf Twitter gepostet und da stand so | |
etwas wie „der Volkssturm“ habe der Familie Ramaswamy wohl etwas weggeweht. | |
Das Transparent wurde später bei einer Hausdurchsuchung bei den Nazis | |
gefunden. | |
Was stand drauf? | |
„Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nicht zu dritt.“ | |
Was denken Sie, wenn Sie hören, wir müssten mit Rechten reden? | |
Ich finde: Faschismus ist ein Verbrechen und keine Meinung. Deshalb würde | |
ich sagen: Nein, ich höre mir das nicht an, ich rede nicht mit denen. Wir | |
müssen dafür sorgen, dass so etwas nicht in die Umwelt gelangt. Für | |
Faschismus ist keinen Platz in Diskussionsrunden. Das regt mich am meisten | |
auf, wenn solche Leute noch mitdiskutieren dürfen. Wenn man sich darauf | |
einlässt, begibt man sich auf deren Niveau. Das ist gefährlich und | |
verbreitet Angst. Auf einmal macht die Runde, was davor unsagbar war. | |
Und was tun gegen die Angst? | |
Ich finde total bedauerlich, dass alle bei dem Wort „Revolution“ | |
Schnappatmung bekommen. Wir wollen doch nicht so weitermachen. Ich will | |
nicht, dass dauernd Katastrophen passieren, damit die Menschen endlich | |
umdenken, aber wenn wir ganz ehrlich sind, läuft das ja schon. Eine | |
Katastrophe ist der Klimawandel, eine andere Katastrophe ist der | |
Neoliberalismus und Kapitalismus. Da sind genauso krankmachende Strukturen | |
wie das verpfuschte Klima. Wenn wir über die verschiedensten Probleme der | |
Welt mit Familie oder Freunden diskutieren, kommen wir am Ende immer wieder | |
zu dem Punkt, dass der Kapitalismus ursächlich ist. | |
Was bedeutet Revolution? | |
Das ist für mich ein neues Denken, ein neues Lebensgefühl und ein neues | |
Miteinander. Ich sehe hier in Göttingen viele gute Beispiele und Ansätze. | |
Es gibt Menschen, die auch mal auf etwas verzichten, anderen helfen, sich | |
einbringen – ohne dafür einen Gegenwert zu verlangen. Das stelle ich mir | |
unter einer erneuerten Gesellschaft vor. Eine Freiwilligkeit, ein Leben zu | |
gestalten. | |
Es gibt in Göttingen sehr viele Studierende. Wie funktioniert das, | |
langfristig politisch aktiv zu sein? | |
Es gelingt viel, weil Göttingen klein ist. Das ermöglicht, sich schnell zu | |
vernetzten, wenn es mal wirklich notwendig ist. Es gibt keinen Ort, den ich | |
nicht in fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann. Ich habe selbst | |
das Gefühl, schon lange nicht mehr zu dieser jugendlichen | |
Aufbruchgeneration zu gehören. Es gibt immer ein paar die bleiben – dazu | |
gehöre auch ich. | |
6 Dec 2021 | |
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