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# taz.de -- Prozess gegen Antifaschistin: Nazis haben kein Schwein gehabt
> Eine Göttingerin soll einen Neonazi beleidigt haben, deshalb erhielt sie
> einen Strafbefehl. Das Amtsgericht sprach die 66-Jährige am Donnerstag
> frei.
Bild: Was aber ist mit Nazis, die keine sein wollen? Protest gegen die „Repub…
Göttingen taz | „Links oder rechts?“ Die Frau, die am Donnerstag als eine
von zahlreichen Zuschauer:innen dem Prozess gegen die [1][Göttinger
Antifaschistin] Annette R. beiwohnen will, guckt den so fragenden
Justizbediensteten irritiert an. Zum Zuschauerraum gibt es schließlich nur
den Zugang auf der linken Seite.
Der Fragesteller hat allerdings etwas anderes gemeint – nämlich, welcher
politischen Richtung sich die Frau zugehörig fühlt. Denn linke und – wenige
– rechte Prozessbesucher:innen müssen sich an diesem Donnerstag nicht
nur umfassenden Personen- und Gepäckkontrollen unterziehen, sondern sollen
auch getrennt voneinander sitzen, um nicht aneinanderzugeraten.
Die Staatsanwaltschaft hat der 66-jährigen Annette R. in dem Verfahren zur
Last gelegt, den Neonazi Benjamin Krüger mit dem Spruch „Verpiss dich, du
Nazischwein“ angesprochen und ihn damit strafwürdig beleidigt zu haben.
Krüger selbst hatte die Frau angezeigt, und das Göttinger Amtsgericht
erließ gegen R. im vergangenen April einen Strafbefehl in Höhe von 40
Tagessätzen à 30 Euro. Dagegen legte der Anwalt der Beschuldigten Einspruch
ein, über diesen wurde am Donnerstag verhandelt: Das Gericht sprach die
Angeklagte nun frei.
Am 7. Februar vergangenen Jahres, dem vermeintlichen Tattag, hatte die
Göttinger Anti-Atom-Initiative ihre monatliche Mahnwache veranstaltet.
Unter die Zuhörer mischten sich auch vier Neonazis – neben Krüger der
ehemalige Kader der verbotenen Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP),
Dieter Riefling, der Anführer des inzwischen aufgelösten „Freundeskreises
Thüringen/Niedersachsen“, Jens Wilke, sowie der Funktionär der
faschistischen Partei „Die Rechte“, Tobias Haupt.
## Rechte störten Anti-Atom-Demo
Die auch in der Anti-Atom-Initiative aktive R. hatte die vier Neonazis
nach eigenen Angaben am Rande der Kundgebung laut aufgefordert, die
Versammlung zu verlassen. Nachdem zwei Polizist:innen hinzugekommen
seien und die Rechtsextremen sich in Richtung Bahnhof entfernt hätten, habe
sie ihnen noch „Nazis, verpisst euch“ zugerufen, so die Beschuldigte in
ihrem damals angefertigten Gedächtnisprotokoll. Vor Gericht äußerte sich R.
selbst am Donnerstag jedoch nicht zur Sache.
Das Aufeinandertreffen insbesondere von Jens Wilke und Annette R. hat eine
Vorgeschichte. So bedrohte der frühere [2][„Freundeskreis“-Chef] mit
mehreren seiner Kameraden die Familie der Frau schon vor deren Haus über
Megafon.
In dem Prozess berichtete zunächst die damals beteiligte Polizeibeamtin,
wie sie und ihr Kollege einen „verbalen Konflikt“ zwischen den Neonazis und
R. beobachtet hätten. Was von wem gesagt oder gerufen worden sei, konnte
die Zeugin nicht sagen. Die Polizistin habe dann Krügers Anzeige
aufgenommen, Wilke habe sich als Zeuge des Vorfalls zur Verfügung gestellt.
Krüger selbst behauptete in seiner Zeugenaussage, er und seine Kumpanen
seien am fraglichen Abend in Göttingen „spazieren gegangen“ und eher
[3][zufällig auf die Mahnwache der Atomkraftgegner:innen gestoßen.]
Als sie sich vom Kundgebungsort entfernt hätten, sei R. ihnen gefolgt und
habe sie permanent beleidigt. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin,
warum ausgerechnet er sich von dem vermeintlich geäußerten Wort
„Nazischweine“ angesprochen fühlte, sagte Krüger: „Weil sie mich so
angeguckt hat.“
## Auch die Staatsanwaltschaft forderte Freispruch
Sowohl Staatsanwaltschaft wie auch R.s Verteidiger werteten die
Zeugenaussagen in ihren Abschlussvorträgen als höchst widersprüchlich und
insbesondere die Schilderungen Krügers als wenig schlüssig und forderten
folgerichtig Freispruch.
Krüger, der laut eigenem Bekunden schon bei zahlreichen Veranstaltungen der
NPD und von „Die Rechte“ anwesend war und diese zum Teil auch selbst
anmeldete, habe in seiner Anzeige und vor Gericht völlig unterschiedliche
Aussagen zum Hergang gemacht und sei damit nicht glaubwürdig, so
Rechtsanwalt Rasmus Kahlen.
Die Richterin, die im April vergangenen Jahres noch den Strafbefehl
ausgestellt hatte, schloss sich dem Votum an. Es habe in der Verhandlung
keine Möglichkeit gegeben, den Tatvorwurf der Beleidigung zu beweisen,
sagte sie.
10 Feb 2023
## LINKS
[1] /Kritik-an-Polizeieinsatz-in-Goettingen/!5830836
[2] /Anklage-gegen-bewaffnete-Rechte/!5459372
[3] /Prozess-gegen-Antifaschistin-in-Goettingen/!5415911
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Niedersachsen
Nazis
Göttingen
Schwerpunkt Antifa
Islamverband Ditib
Universität Göttingen
Linke Szene
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