# taz.de -- 200. Geburtstag von Friedrich Engels: Der Erfinder des Marxismus | |
> Am 28. November ist der 200. Geburtstag von Friedrich Engels. Er stand | |
> zeitlebens im Schatten seines Freundes Karl Marx. Zu Unrecht. Eine | |
> Würdigung. | |
Zehn Sommertage in Paris haben das Leben von Karl Marx und Friedrich | |
Engels für immer verändert. Eigentlich wollte Engels im August 1844 nur | |
kurz bei Marx vorbeischauen, aber die gemeinsamen Kneipentouren uferten | |
aus, weil beide erkannten, wie perfekt sie sich ergänzten. | |
Marx hatte in antiker Philosophie promoviert, war auf der Flucht vor den | |
preußischen Behörden und lebte im französischen Exil. Engels hingegen war | |
Fabrikantensohn, hatte eine Handelslehre absolviert und fast zwei Jahre in | |
Manchester verbracht, das damals das Zentrum des industriellen Kapitalismus | |
war. [1][Marx lieferte den philosophischen Überbau und den revolutionären | |
Schwung], während Engels über die Empirie verfügte und wusste, wie es in | |
den Betrieben aussah. | |
In diesen zehn Sommertagen entstand eine Freundschaft und | |
Arbeitsgemeinschaft, die ein Leben lang halten sollte. Die Bedingung dafür | |
war von Anfang an klar: Engels musste bereit sein, sich unterzuordnen, denn | |
Marx konnte charmant sein, aber an der eigenen Bedeutung zweifelte er nie. | |
Da fügte es sich gut, dass Engels ebenfalls überzeugt war, dass Marx das | |
Genie in ihrer Beziehung war. Nach Marx’ Tod schrieb Engels 1886: „Marx | |
stand höher, sah weiter, überblickte mehr und rascher als wir andern alle. | |
Marx war ein Genie, wir andern höchstens Talente.“ | |
Tatsächlich war Engels kein großer Theoretiker, und sein Stil konnte sich | |
nicht mit Marx’ fulminanter Prosa messen. Aber er besaß mehr als nur | |
„Talent“. Er war nicht nur ein guter Geschäftsmann, sondern auch ein sehr | |
guter Journalist. Seine Texte sind gründlich recherchiert, lesen sich | |
flüssig, sind immer verständlich und oft witzig. | |
Ohne Engels hätte es Marx nicht gegeben – jedenfalls nicht den Marx, den | |
wir heute kennen. Dank Engels entdeckte Marx die Ökonomie, und es war | |
Engels, der den Marxismus bleibend prägte, als er den Nachlass des Freundes | |
ordnete. Engels hat das „Denkmal“ errichtet, auf dem Marx dann stand. | |
Engels war zwei Jahre jünger als Marx und wurde 1820 in Barmen im | |
Wuppertal, geboren. Er war das älteste von neun Kindern und wurde mit dem | |
gleichen Vornamen bedacht wie sein Vater: Friedrich. Die Eltern wünschten | |
sich eine Kopie ihrer selbst. Der erstgeborene Sohn sollte später die | |
Textilfabriken der Familie übernehmen und als gottesfürchtiger Pietist in | |
Barmen leben. Es kam bekanntlich anders. | |
Barmen und das benachbarte Elberfeld waren damals eine Besonderheit: Sie | |
gehörten zu den allerersten Industriestädten in Deutschland, während | |
ansonsten noch die Landwirtschaft und das Handwerk dominierten. Über 70.000 | |
Menschen drängten sich 1840 an der Wupper, und das Tal war so eng, dass die | |
Fabrikbesitzer nicht getrennt von ihren Tagelöhnern leben konnten. Villen | |
standen direkt neben Arbeiterquartieren. Und überall stank es. Nach Farbe, | |
Bleichmitteln, Kloake. Anders als Marx, der im beschaulichen Trier | |
aufwuchs, wusste Engels, wie der Frühkapitalismus aussah – und roch. | |
Der Vater wollte unbedingt erzwingen, dass der begabte Sohn in die | |
Familienfirma einsteigt, und um ganz sicherzugehen, dass Engels nicht | |
studieren konnte, verhinderte er schon das Abitur: Trotz exzellenter Noten | |
wurde Engels vorzeitig aus dem Gymnasium genommen und musste stattdessen | |
1838 eine Lehrstelle bei einem Großhändler in Bremen antreten. | |
Während Engels Geschäftsbriefe von England bis Haiti schrieb, führte er | |
zugleich eine Zweitexistenz: Unter dem Pseudonym Friedrich Oswald verfasste | |
er Gedichte, Essays und kritische Zeitungsartikel. Ohne jede | |
journalistische Ausbildung stieg der 19-Jährige zu einem bekannten | |
Journalisten auf. | |
Besonders bemerkenswert waren seine „Briefe aus dem Wuppertal“, in denen er | |
das Leiden der Werktätigen schilderte: „Das Arbeiten in den niedrigen | |
Räumen, wo die Menschen mehr Kohlendampf und Staub einatmen als Sauerstoff, | |
und das meistens schon von ihrem sechsten Jahre an, ist grade dazu gemacht, | |
ihnen alle Kraft und Lebenslust zu rauben. (…) Unter den eingebornen | |
Gerbern sieht man auch kräftige Leute, aber drei Jahre ihres Lebens reichen | |
hin, sie körperlich und geistig zu vernichten; von fünf Menschen sterben | |
drei an der Schwindsucht.“ | |
In Bremen verlor Engels endgültig den Gottesglauben, den ihm seine Eltern | |
anerzogen hatten. Doch hätte er sich vom Christentum wohl niemals lossagen | |
können, hätte er nicht einen neuen Gott gefunden: Engels bekehrte sich zu | |
Hegel. Der Philosoph war zwar 1831 an der Cholera gestorben, aber seine | |
Schüler lehrten noch in Berlin. | |
Also wollte Engels unbedingt in die preußische Hauptstadt umziehen, und | |
damit der Vater nicht misstrauisch würde, meldete er sich freiwillig zum | |
einjährigen Militärdienst bei der preußischen Artillerie. Durch diese | |
Stippvisite behielt Engels lebenslang ein Faible für Militärstrategien, | |
weswegen er in der Familie Marx später „der General“ genannt wurde. | |
Obwohl Engels kein Abitur hatte, schmuggelte er sich in die Berliner | |
Universität und lernte in einer Schelling-Vorlesung Kommilitonen kennen, | |
die später weltberühmt werden sollten: den dänischen Philosophen Søren | |
Kierkegaard, den russischen Anarchisten Michail Bakunin und den Schweizer | |
Kulturhistoriker Jacob Burckhardt. | |
Da Engels auch in Berlin journalistisch arbeitete, bemerkte der Vater im | |
fernen Wuppertal recht bald, dass der Sohn schon wieder auf Abwegen | |
wandelte. Kaum war der Militärdienst vorbei, wurde Engels 1842 nach | |
Manchester expediert, wo der Vater eine Tochterfirma besaß, die | |
Baumwollgarn herstellte und rund 400 Arbeiter beschäftigte. Dieser | |
Abstecher in die Welt des Industriekapitalismus sollte den Sohn für immer | |
prägen – und weiter radikalisieren. | |
In Manchester lernte Engels auch Mary Burns kennen, eine irische | |
Arbeiterin, der er zwar nicht immer treu war, mit der er aber bis zu ihrem | |
Tod 1863 zusammenlebte – ohne sie je zu heiraten. Engels lehnte bürgerliche | |
Konventionen wie die Ehe ab und war damit deutlich radikaler als Marx, der | |
die Bourgeoisie zwar bekämpfte, aber wie ein Bourgeois lebte. Marx war es | |
auch sehr wichtig, dass seine drei Töchter standesgemäße Partien machten. | |
Mary Burns führte ihren Lebensgefährten durch die Slums von Manchester, was | |
Engels zu seinem ersten bedeutenden Text inspirierte. Im Januar 1844 | |
erschien sein Aufsatz „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“, und | |
es ist kein Zufall, dass Marx’ Hauptwerk „Das Kapital“ später einen | |
Untertitel tragen sollte, der sehr ähnlich klang: „Kritik der politischen | |
Ökonomie“. | |
Bis heute wird Engels gern als willenloser Zuarbeiter von Marx betrachtet, | |
doch dies wird ihm nicht gerecht: Es war Engels, nicht Marx, der als Erster | |
die deutsche Philosophie mit der liberalen Wirtschaftstheorie von Adam | |
Smith und David Ricardo verband. Erst nachdem Marx den Aufsatz von Engels | |
gelesen hatte, entwickelte er eine Ahnung davon, wie sich Hegels Dialektik | |
mit den ökonomischen Realitäten des Kapitalismus verknüpfen ließ. Marx | |
selbst hat immer anerkannt, wie viel er Engels zu verdanken hatte. Noch | |
Jahre später nannte er dessen kurzen Artikel eine „geniale Skizze zur | |
Kritik der ökonomischen Kategorien“. | |
In seinem Aufsatz hantierte der 23-jährige Engels nicht nur gekonnt mit | |
Adam Smith und David Ricardo – er war auch einer der ersten Ökonomen, die | |
die Konjunkturschwankungen richtig beschrieben. Für den Hegelianer Engels | |
waren Wirtschaftskrisen angewandte Dialektik, denn sie kulminierten in | |
einem erstaunlichen Paradox: Ausgerechnet der Reichtum produzierte große | |
Not, „dass die Leute vor lauter Überfluss verhungern. (…) in dieser | |
lebendigen Absurdität befindet sich England seit geraumer Zeit.“ Mit Liebe | |
zum Detail beschrieb Engels die Widersprüche, die sich in einer | |
Wirtschaftskrise auftun: „Ein Teil des Kapitals zirkuliert mit ungeheurer | |
Schnelligkeit, ein anderer liegt tot im Kasten. Ein Teil der Arbeiter | |
arbeitet vierzehn, sechzehn Stunden des Tages, während ein anderer faul und | |
untätig dasteht und verhungert.“ | |
Noch hatte Engels keine ausgefeilte Theorie, wie es zu diesen Krisen kommen | |
konnte. Aber er sprach bereits die Börsenspekulation an, und er sah auch, | |
dass die einzelnen Fabrikanten und Arbeiter keinen Überblick über das | |
Gesamtgeschehen hatten, sondern sich „als zersplitterte Atome“ von ihren | |
Erwartungen leiten ließen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat die | |
prinzipielle Unsicherheit später zu einem zentralen Baustein seiner Theorie | |
gemacht. | |
Man wird nie wissen, ob Marx allein auch derartige Ideen entwickelt hätte. | |
Wahrscheinlich ist es nicht. Jedenfalls fällt auf, dass er sich der | |
Ökonomie erst zuwendet, nachdem er zehn Tage lang mit Engels in Paris | |
diskutiert hatte. | |
Engels war damals auf dem Rückweg von Manchester nach Barmen, wo er wieder | |
ins heimische Familiengeschäft einsteigen sollte. Im Wuppertal schrieb er | |
dann in nur sechs Monaten ein Buch nieder, das noch heute als eine der | |
besten soziologischen Studien des 19. Jahrhunderts gilt: „Die Lage der | |
arbeitenden Klasse in England“. | |
Engels wandte darin erstmals einen Trick an, den Marx später im „Kapital“ | |
übernehmen sollte: Er zitierte vor allem den ideologischen Gegner, also die | |
Liberalen. Wenn selbst die Bourgeoisie zugeben musste, dass die Arbeiter in | |
entwürdigenden Umständen lebten, dann war dies wirkungsvoller als jede | |
Anklage aus der Feder eines Sozialisten. | |
Oft reichte es schon, die amtlichen Gesundheitsstatistiken heranzuziehen, | |
um die Verelendung zu dokumentieren: „In Liverpool war 1840 die | |
durchschnittliche Lebensdauer der höheren Klassen (gentry, professional men | |
etc.) 35, der Geschäftsleute und bessergestellten Handwerker 22 Jahre, der | |
Arbeiter, Tagelöhner und der dienenden Klasse überhaupt nur 15 Jahre.“ | |
Engels wollte damals skandalisieren, dass die Oberschicht doppelt so lange | |
lebte wie das Proletariat. Für heutige Leser ist aber genauso interessant, | |
dass selbst viele Reiche nicht alt wurden. | |
Während Engels zu Hause in Barmen an seinem Buch arbeitete, betätigte er | |
sich nebenher als Revolutionär. Im benachbarten Elberfeld hielt er eine | |
kommunistische Rede und wurde prompt von der preußischen Polizei verfolgt. | |
Ganz Wuppertal redete bereits über die Familie Engels und ihren renitenten | |
Sohn, sodass der Vater ihn so schnell wie möglich aus Barmen entfernen | |
wollte. Erstmals war er bereit, ihm ein Leben jenseits des | |
Familienunternehmens zu finanzieren. Bestens alimentiert ging Engels ins | |
Exil – und unternahm mit Marx eine Studienreise nach Manchester, um dem | |
Freund die Slums und die Textilunternehmen zu zeigen. Ohne Engels hätte der | |
Bücherwurm aus Trier wohl nie eine Fabrik von innen gesehen. | |
Die ersehnte Revolution brach schließlich im Frühjahr 1848 aus, scheiterte | |
aber schnell. Marx und Engels blieb nur die Flucht nach London, denn | |
Großbritannien war das einzige Land in Europa, das ausländische Sozialisten | |
unbehelligt ließ. Allein aus Deutschland siedelten etwa 20.000 | |
Ex-Revolutionäre nach London um. | |
Die britische Duldung der Exilanten dokumentierte, wie sehr sich Marx und | |
Engels geirrt hatten. Sie hatten geglaubt, dass England reif für den | |
Klassenkampf sei, weil sich dort die Arbeiter in Städten ballten. Doch | |
stattdessen war eine Revolution so unwahrscheinlich, dass die britische | |
Regierung die Umtriebe der auswärtigen Sozialisten gelassen tolerieren | |
konnte. | |
Im Londoner Exil war Marx permanent von Geldsorgen geplagt. In einem Brief | |
an Engels stöhnte er in dem typischen Sprachenmix, den sich die beiden im | |
Ausland angewöhnt hatten: „Ich glaube nicht, daß unter solchem Geldmangel | |
je über ‚das Geld‘ geschrieben worden ist. Die meisten autores über dies | |
subject waren in tiefem Frieden mit the subject of their researches.“ | |
Marx hielt es für eine Art Schicksal, dass er kein Geld hatte. Ihm wäre | |
niemals in den Sinn gekommen, ernsthaft nach einer Anstellung zu suchen. Zu | |
seinem Glück hatte er es auch nicht nötig, berufstätig zu werden – Engels | |
war lebenslang bereit, ihn zu finanzieren. | |
Die erste Zeit in London war auch für Engels schwierig, denn seine Eltern | |
schickten ihm kein Geld mehr. Selbst die geduldige Mutter war entsetzt, | |
dass Sohn Friedrich als Dauerrevolutionär leben wollte, und schrieb ihm: | |
„Da Du Deinen Weg gehst, den wir, gelinde gesagt, nicht billigen können, so | |
kannst Du auch nicht erwarten, daß wir Dich darin unterstützen.“ | |
Widerwillig sah Engels ein, dass er in die Familienfirma zurückkehren | |
musste. Sein Vater war auch gern bereit, ihn wieder in Manchester | |
einzusetzen, denn er brauchte dringend einen Spitzel vor Ort: Friedrich | |
senior hatte den berechtigten Verdacht, dass er von seinen Kompagnons, den | |
Gebrüdern Ermen, betrogen wurde. Sohn Friedrich sollte die Bücher | |
durchforsten und die Konten kontrollieren. Anfangs war Engels nur ein | |
normaler Angestellter, doch zur Überraschung seines Vaters entpuppte er | |
sich als ein derart fähiger Manager, dass er bald am Gewinn beteiligt | |
wurde. | |
Von 1851 bis 1869 verdiente Engels mindestens 23.289 Pfund in der Firma | |
seines Vaters – wovon wahrscheinlich 3.121 Pfund an Marx gingen. Doch egal, | |
wie viel Geld Engels überwies: Es war nie genug. Weder Marx noch seine Frau | |
Jenny konnten mit Geld umgehen. | |
[2][1867 erschien „Das Kapital“, an dem Marx etwa zwanzig Jahre gearbeitet | |
hatte.] Das Buch war zwar kein Bestseller, verkaufte sich aber deutlich | |
besser als alle anderen Werke, die Marx bis dahin geschrieben hatte: Die | |
Auflage von 1.000 Stück war nach vier Jahren vergriffen, sodass es 1873 | |
schon zu einem Nachdruck kam. Dieser Erfolg war auch Engels zu verdanken. | |
Ihm gelang es, Besprechungen in neun deutschsprachigen Zeitungen abzusetzen | |
– indem er seine Rezensionen anonym schrieb und als bürgerlicher Kritiker | |
posierte, um die Chancen auf einen Abdruck zu erhöhen. Der Tenor war immer, | |
Marx hätte ein Meisterwerk abgeliefert und die sozialistische Bewegung mit | |
einer Theorie versehen. | |
1869 gelang es Engels endlich, sich aus dem verhassten Dasein als | |
Textilunternehmer zu befreien: Er konnte sein Erbteil für 12.500 Pfund | |
verkaufen, was heute etwa 1,2 Millionen Pfund entsprechen würde. Beschwingt | |
zog er nach London, zehn Gehminuten von Marx entfernt, und stürzte sich in | |
seine neue Existenz als dessen Sprachrohr. Viele Leser hatten nämlich Mühe, | |
Marx’ „Kapital“ zu verstehen. Selbst Ehefrau Jenny riet Genossen beherzt, | |
„die dialektischen Spitzfindigkeiten der ersten Abschnitte“ zu | |
überspringen. | |
Auch Jenny erkannte nicht, dass die „dialektischen Spitzfindigkeiten“ den | |
Kern der Marx’schen Theorie ausmachten. Aber mit ihrer Ratlosigkeit war sie | |
nicht allein; [3][die allermeisten Sozialisten begriffen nicht, was ihr | |
Vordenker sagen wollte]. Später wurde es daher üblich, nicht „Das Kapital“ | |
zu lesen, sondern Engels’ populäre Kurzzusammenfassung, die 1880 unter dem | |
Titel „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ | |
erschien. | |
Am 14. März 1883 saß Marx tot im Lehnstuhl, als Engels zum täglichen | |
Nachmittagsbesuch kam. Engels wurde zum Nachlassverwalter und verbrachte | |
den Rest seines Lebens damit, den Nachruhm des Freundes zu mehren. Längst | |
vergessene oder verschollene Schriften legte er wieder auf – und verlieh | |
Marx’ alten Texten neuen Glanz, indem er geniale Vorworte verfasste. | |
Engels verstand es, den Eindruck zu erwecken, Marx’ Werke wären topaktuell | |
und gleichzeitig von bleibendem programmatischem Wert. Gegenwart und | |
Ewigkeit wurden miteinander verbunden. Marx war keine historische Figur | |
mehr, sondern wurde zum „Denkmal“, wie Engels das selbst nannte. | |
Zugleich bemühte sich Engels, der Welt eine möglichst vollständige Version | |
der Marx’schen Theorie zu hinterlassen. Denn der Freund hatte immer neue | |
Werke begonnen, ohne die alten abzuschließen. Wenigstens die fehlenden | |
Bände von „Das Kapital“ wollte Engels aus den Papierbergen filtern. Doch | |
Marx’ Exzerpte erwiesen sich als so chaotisch, dass Engels verzweifelte. | |
Band II von „Das Kapital“ ließ sich noch relativ leicht zusammenstellen und | |
erschien 1885. Doch die Notizen für den dritten Band waren so | |
unvollständig, dass Engels bis 1894 brauchte und recht freigiebig ergänzte. | |
Bis heute müht sich die Forschung herauszufinden, was an Band III „echter“ | |
Marx ist und was von Engels stammt. | |
Am 5. August 1895 starb Engels an Krebs in Speiseröhre und Kehlkopf. Sein | |
Vermögen hinterließ er vor allem den Marx-Töchtern und ihren Familien. | |
Alleine seine Aktien waren etwa 22.600 Pfund wert, denn Engels hatte immer | |
sorgsam den bürgerlichen Economist studiert, um seine Anlageentscheidungen | |
zu treffen. Ein schlechtes Gewissen hatte er nicht, wie er Bebel brieflich | |
erläuterte: „Die Börse ändert nur die Verteilung des von den Arbeitern | |
bereits gestohlenen Mehrwerts.“ | |
28 Nov 2020 | |
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Ulrike Herrmann | |
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