# taz.de -- Ungerechte Impfstoff-Verteilung: „Feigenblatt der Reichen“? | |
> Das Covax-Programm soll Impfstoffe auf der ganzen Welt fair verteilen. | |
> Aber Anspruch und Realität klaffen bisher weit auseinander. | |
Bild: Ob und wann die Straßenverkäuferinnen in Südafrika geimpft werden, ist… | |
KAPSTADT taz | „Impfstoffe gegen Covid-19 müssen globale öffentliche Güter | |
sein, die für alle Länder zugänglich und bezahlbar sind“ – so begründete | |
die Bundesregierung im September 2020 Deutschlands Beitritt zu dem | |
[1][globalen Impfprogramm Covax]. Sie verpflichtete sie sich zur Zahlung | |
von 675 Millionen Euro für beschleunigten Zugang und verbesserter | |
Diagnostik. „Die Pandemie kann nur besiegt werden, wenn sie weltweit unter | |
Kontrolle gebracht wird“, hieß es: „Niemand ist sicher, bis alle sicher | |
sind.“ | |
Covax, geleitet von der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie den | |
internationalen Epidemiebekämpfungsorganisationen Gavi und Cepi, | |
wurde im April 2020 ins Leben gerufen. Weltweit sind bisher 190 Staaten | |
beigetreten, wobei weder die USA noch Russland dabei sind. China trat im | |
November bei. Die Idee: Die reichen Länder finanzieren über Covax | |
Impfstoffe für die armen Staaten. UN-Generalsekretär António Guterres | |
sprach vom „einzig gangbaren Weg zu fairer und gerechter | |
Impfstoffverteilung überall auf der Welt“. | |
Das Impfprogramm hat sich nach eigenen Angaben etwa 2 Milliarden | |
Covid-19-Impfdosen von den Herstellern gesichert, von denen mindestens 1,3 | |
Milliarden den 92 Covax-Mitgliedsländern mit niedrigem und mittlerem | |
Einkommen zur Verfügung gestellt werden, um die am stärksten gefährdeten 20 | |
Prozent ihrer Bevölkerungen bis Ende 2021 impfen zu können. | |
Doch ein Aktivist der Kampagne „Impfstoffe für Südafrika jetzt!“ nennt | |
Covax „ein Feigenblatt der Reichen, um nationale Geschäftemacherei mit | |
Pharmakonzernen zu verschleiern“. So gibt es bislang keine Zusagen, dass | |
arme Länder auch Unterstützung dafür erhalten, die für sie geeigneten | |
Impfstoffe selbst zu produzieren. Dies erst brachte vor vielen Jahren den | |
Durchbruch bei der weltweiten Aidsbekämpfung, der jetzt als Vorbild für die | |
Covid-19-Impfkampagnen gilt. | |
Von den 98 reichen Ländern im Covax-Programm haben die meisten inzwischen | |
nationale Absprachen mit Pharmafirmen getroffen und sich die größten | |
Anteile an bereits oder in Kürze zugänglichen Impfstoffen selbst gesichert | |
– oft ein Mehrfaches dessen, was sie selbst brauchen. Die Befürchtung ist, | |
dass die Armen dann warten müssen auf das, was übrig bleibt. Die Macht der | |
Pharmakonzerne bleibt unangetastet. | |
## Patentrechte verhindern eigene Produktion | |
Medico international und die BUKO Pharma Kampagne mit ihrer Protestaktion | |
„Patente töten!“ weisen darauf hin, dass die Preise für | |
Impfstoffentwicklung und Produktion über die Patentrechte geschützt sind, | |
während die Rechte von Patienten dem untergeordnet bleiben. Inzwischen hat | |
auch Ärzte ohne Grenzen einen Aufruf „Für globale Solidarität in der | |
Pandemie“ veröffentlicht. | |
Derzeit laufen die Bewerbungen der armen Länder, in denen sie bei Covax | |
ihre Impfpläne einreichen, aufgrund deren dann die Impfstoffverteilung | |
erfolgen soll. Doch die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Laut WHO | |
konnten bisher erst 2,1 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden – bei | |
einem Gesamtbudget von 7 Milliarden US-Dollar, das nötig ist, um wenigstens | |
die Zusage der Impfung von 20 Prozent der Bevölkerungen armer Länder bis | |
Ende 2021 einhalten zu können. | |
Ein von Covax beauftragter Experte der US-Finanzberatung CITI warnt: Wenn | |
es nicht gelingt, in Kürze die fehlenden 4,9 Milliarden US-Dollar | |
aufzutreiben, „könnte es sein, dass manche armen Länder erst 2024 mit dem | |
Impfen beginnen können.“ | |
Länder, die es sich leisten können, setzen daher nicht allein auf Covax. | |
[2][Südafrika,] das mit aktuell über 36.000 Toten fast die Hälfte der in | |
Afrika an Covid-19 Verstorbenen verzeichnet und wegen der neuen | |
Virusmutation 501.V2 mit einer Ausweitung der Pandemie rechnet, setzt | |
prioritär auf den [3][AstraZeneca-Impfstoff aus Indien, den das Serum | |
Institute dort produziert]. Noch im Januar sollen die ersten von insgesamt | |
1,5 Millionen Dosen eintreffen und ab Februar Ärzte und medizinisches | |
Pflegepersonal geimpft werden. Weitere 20 Millionen Dosen sind laut | |
Präsident Cyril Ramaphosa bereits in direkten Verhandlungen mit | |
Pharmafirmen bestellt und sollen im ersten Halbjahr 2021 in Südafrika zur | |
Verfügung stehen. | |
## Die Logistik für umfangreiche Impfungen fehlt | |
Weiteres Ziel ist, bis Ende 2021 mehr als 60 Prozent aller 58 Millionen | |
Südafrikaner*innen zu impfen, um dadurch Herdenimmunität für alle zu | |
erreichen. „Völlig unrealistisch“, meint dazu der Vorstand der | |
Medizinischen Assoziation Südafrikas (Sama). „Dann müssten wir ab sofort | |
täglich rund 150.000 Menschen impfen – dafür fehlen bislang alle | |
logistischen Bedingungen.“ | |
Doch erst an letzter Stelle nennen die südafrikanischen Regierungspläne | |
Covax, vor allem weil die Entscheidung darüber, wer welchen Impfstoff ab | |
wann erhalten kann, nicht ausreichend transparent ist. | |
Als derzeitiger Vorsitzender der Afrikanischen Union brachte Ramaphosa | |
außerdem eine neue Initiative mit auf den Weg, nach der AU-Mitgliedsstaaten | |
bei der Afreximbank (African Bank for Ex- and Import) Impfstoffbestellungen | |
aufgeben können. Demnach stünden ab April die ersten 50 Millionen von 270 | |
Millionen Dosen bis Jahresende für arme Länder in Afrika ohne | |
Eigenfinanzierung zur Verfügung. | |
Und gemeinsam mit Indien hat Südafrika bei der Welthandelsorganisation | |
beantragt, dass während der Coronapandemie alle Vorschriften zum | |
Patentschutz für Medikamente außer Kraft gesetzt werden, um dadurch die | |
Produktion von Impfstoffen auch in ärmeren Ländern zu ermöglichen. | |
17 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Impfstoff-nur-fuer-Industrielaender/!5736607 | |
[2] /Coronabekaempfung-in-Suedafrika/!5742214 | |
[3] /Impfstart-in-Indien/!5744541 | |
## AUTOREN | |
Lutz van Dijk | |
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