# taz.de -- Politikwissenschaftlerin über Patente: „Reiche Länder profitier… | |
> Um eine globale Pandemie einzudämmen, braucht es eine globale | |
> Impfstrategie, sagt Anne Jung. Patente seien das größte Problem. | |
Bild: Friedhofsarbeiter in Lima tragen den Sarg eines an Covid-19 Verstorbenen … | |
taz: Frau Jung, in der EU wurde jüngst der [1][Biontech-Impfstoff] gegen | |
das Coronavirus zugelassen. Können sich auch Menschen in anderen Regionen | |
der Welt darüber freuen? | |
Anne Jung: Alle wollen, dass die Pandemie bald vorbei ist. Nur dürfte die | |
Freude über die Impfstoffzulassung hierzulande größer gewesen sein als in | |
den Ländern des Globalen Südens. | |
Warum? | |
Reiche Länder profitieren als Erste, sie haben sich durch Exklusivverträge | |
mit der Pharmaindustrie die Zugänge gesichert. Weite Teile der Welt, | |
darunter fast alle Länder des afrikanischen Kontinents, werden sich wohl | |
noch ein paar Jahre gedulden müssen, bevor sie flächendeckend mit dem | |
Impfstoff versorgt werden. Und das, obwohl die indirekten Folgen der | |
Pandemie dort besonders bedrohlich sind, denn viele Menschen arbeiten und | |
leben ohne jede soziale Absicherung. Es ist nicht gelungen, in diesen | |
langen Monaten, die jetzt Zeit gewesen wären seit dem Ausbruch der | |
Pandemie, international eine Regelung zu finden, die gleichberechtigten | |
globalen Zugang zu dem Impfstoff ermöglicht. | |
Welche Stellschrauben können das ändern? | |
Die [2][Patente auf Medikamente]! Die Kosten gehen in die Höhe, wenn die | |
Pharmaindustrie nicht als Gegenleistung für die Bereitstellung von | |
öffentlichen Mitteln zur Deckelung gezwungen wird. Und darüber hinaus darf | |
die Zusammensetzung des Impfstoffs kein Geschäftsgeheimnis sein, sondern | |
müsste, im Interesse der Menschheit – das kann man ja schon sagen –, in so | |
einen öffentlichen Patentpool eingespeist werden. Die | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat übrigens schon sehr früh auf die | |
Initiative von Costa Rica den Vorschlag gemacht, einen Patentpool | |
aufzusetzen: C-TAP, der sogenannte Covid-19 Technology Access Pool. | |
Wie funktioniert der? | |
Die Idee ist, dass Patente und Formen von geistigem Eigentum – also die | |
Daten, die Software und so weiter –, dass das alles in einem Pool gesammelt | |
wird, aus dem sich dann auch andere Länder bedienen können, um weiter zu | |
forschen. Aber auch, um es leichter zu machen, den Impfstoff an | |
verschiedenen Orten der Welt herzustellen. Diese Initiative war aus unserer | |
Sicht ganz großartig. Und die ist aber in praktisch allen Mitgliedstaaten | |
Europas und darüber hinaus abgelehnt worden und nicht weiterverfolgt | |
worden. Die Pharmaunternehmen selber haben gesagt: „Das ist Unsinn, das | |
brauchen wir nicht.“ Und dieser Haltung haben sich leider auch Deutschland | |
und viele andere Länder im Ergebnis angeschlossen. | |
Patente sorgen dafür, dass es eine Art Copyright auf die Erfindung etwa | |
eines Impfstoffs gibt, den Forscher*innen ist somit Profit gesichert. Ist | |
das nicht eine grundlegende Voraussetzung, um die Forschung anzutreiben? | |
Das ist ein Trugschluss, an dem die Pharmaindustrie nur allzu gern | |
festhält. Es heißt immer, Patente ermöglichen, dass die Pharmaindustrie | |
überhaupt forscht. In der Praxis ist es so: Medikamente, Impfstoffe und | |
andere Arzneimittel werden mit sehr viel öffentlichen Geldern entwickelt | |
und erforscht. Natürlich auch mit Mitteln der Pharmaindustrie, aber zu | |
einem viel geringeren Prozentsatz, als man denkt. Dann ist der Impfstoff | |
irgendwann fertig und die Pharmaindustrie bekommt ein Patent, das ihr | |
garantiert, dass sie den für mehrere Jahre zu einem selbst festgelegten und | |
meist hohen Preis abgeben kann. Das erschwert natürlich die Produktion von | |
einem Impfstoff, gerade wenn er in einer nie geahnten Menge gebraucht wird | |
wie jetzt in dieser Pandemie. Und das Argument ist immer: Sie haben ja so | |
viel Geld da reingesteckt. | |
Was fordern Sie? | |
Wir fordern grundsätzlich die Begrenzung der Macht von Pharmaunternehmen | |
bei der Produktion von lebensnotwendigen Medikamenten im öffentlichen | |
Interesse. „Wem gehören Patente?“, wurde der Erfinder des Impfstoffs gegen | |
Polio gefragt. Seine Antwort: den Menschen. Darf man die Sonne patentieren? | |
Er gab seine Entdeckung frei. Heute ist Kinderlähmung fast ausgerottet. | |
Was würden die Pharmakonzerne sagen, wenn mit der Abschaffung von Patenten | |
ihr Profit zunichte gemacht würde? Und was antworten Sie? | |
Pfizer hat wie fast alle Pharmariesen hohe Summen an Zuschüssen bekommen | |
für die Entwicklung des Impfstoffs: 400 Millionen Euro. Öffentliche Mittel, | |
also auch unser Geld! Und diese Unternehmen werden durch die Produktion | |
genügend Geld verdienen, auch wenn die Preise gedeckelt werden. | |
Was hat es mit den Exklusivverträgen auf sich, die vor allem westliche | |
Länder mit Pharmaunternehmen schließen? | |
Wir kennen die Details dieser Exklusivverträge nicht, die zwischen | |
Deutschland und anderen Industrienationen und der Pharmaindustrie | |
geschlossen wurden. Da haben wir es mit einem Demokratiedefizit zu tun. Wir | |
wissen nur, es sind viele öffentliche Gelder, unsere Steuergelder, die da | |
reingeflossen sind. Das ist auch okay so, aber da fordern wir einfach | |
Transparenz. | |
Die WHO hat zusammen mit Stiftungen das Programm ACT gestartet, zu dem die | |
Covax Facility gehört: Es wird Geld von reichen Ländern gesammelt, um damit | |
Corona-Impfstoff für ärmere Länder zu finanzieren. Was halten Sie davon? | |
Das Programm ist problematisch. Covax wird getragen von sogenannten | |
Public-private-Partnerships, in denen die Akteure sehr unterschiedliche | |
Interessen haben. Auch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung ist dabei und | |
diese möchte das Thema Patente unangetastet lassen. Covax ist aus meiner | |
Sicht als eine Art von modernem Ablasshandel zu bewerten, weil weitgehende | |
strukturelle Veränderungen verhindert werden. Wir alle haben verstanden, | |
dass diese Pandemie erst zu Ende ist, wenn sie für alle zu Ende ist, sodass | |
es natürlich ein Interesse an globalem Handeln gibt. Und natürlich gibt es | |
auch ein politisches Interesse, die armen Länder nicht völlig im Regen | |
stehen zu lassen. Faktisch ist es aber so, dass genau die Akteure, die sich | |
da bei Covax zusammengefunden haben – darunter die Industrienationen –, mit | |
aller Gewalt an ihrem System festhalten. | |
Mit Gewalt? | |
Im Kontext der Pandemie, in Hinblick auf soziale und wirtschaftliche | |
Auswirkungen ist das durchaus wörtlich zu verstehen, der Begriff der | |
Gewalt. Das Recht auf Gewinne für Pharmaunternehmen und die Stabilisierung | |
unseres kapitalistischen Systems wird höher bewertet als das Menschenrecht | |
auf Gesundheit. Und deswegen steigen natürlich die Kosten der Impfstoffe. | |
Das fördert auch die Abhängigkeit der armen Länder, die auf die Rolle der | |
Hilfsempfänger*innen reduziert werden. | |
Was braucht es, damit diese Länder nicht nur Empfänger*innen von | |
Wohltätigkeiten sind? | |
Hätte es einen offenen Patentpool gegeben, wären die Zwischenergebnisse der | |
Forschung veröffentlicht worden, dann wäre es für arme Länder möglich | |
gewesen, auch eigene Produktionsstätten für den Impfstoff leichter | |
aufzubauen. Manche Impfstoffe müssen tiefgekühlt werden. Das ist natürlich | |
mit Blick auf Distribution gerade in heißen Ländern sehr kompliziert, eine | |
geschlossene Kühlkette aufrechtzuerhalten. Aber es wäre eben möglich | |
gewesen, sich auf eine eigene Produktion vorzubereiten. Das hätte schon mal | |
einen Strang der Abhängigkeit reduziert. Diese globale Ungerechtigkeit | |
weist über die Coronapandemie hinaus. Das wird vor allem dort sichtbar, wo | |
Menschen unentbehrliche Medikamente nicht bezahlen können. Die tödliche | |
Wucht dieses Systems trifft alle, aber ganz besonders schwer diejenigen, | |
die aufgrund ihrer Herkunft und ihres Einkommens an den Rand der | |
Gesellschaft gedrängt werden. Die Zonen des Ausschlusses reichen von | |
Flüchtlingslagern über städtische Armenviertel überall auf der Welt bis zu | |
ganzen Ländern. | |
Nicht nur die Pharmakonzerne setzen ihre Interessen durch, auch die | |
einzelnen Länder liefern sich Wettrennen im Aufkaufen von Impfstoffen. | |
Die erste Regierung, die exklusiv Verträge geschlossen hat oder das | |
versucht hat, waren ja die USA. Da gab es einen Aufschrei in Deutschland, | |
in Europa: Trump verrät den Multilateralismus und das ist unerträglich. | |
Aber die europäischen Länder und auch Deutschland haben ja genau das | |
Gleiche gemacht. Alle bringen erst mal ihre Exklusivverträge unter Dach und | |
Fach und fragen sich dann erst: Was ist mit dem Rest der Welt? Das ist wie | |
gesagt nicht hilfreich bei der Eindämmung einer Pandemie. Es wäre von | |
Anfang an nötig gewesen, global darüber nachzudenken: Wer braucht | |
eigentlich diesen Impfstoff zuerst? Bei welchen Ländern schlagen die | |
ökonomischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie am schnellsten | |
durch? Denn die Covid-19-Pandemie zeigt der gesamten Welt, dass | |
Gesundheitspolitik eine globale Aufgabe ist, die von den Regierungen mit | |
Verantwortungsbewusstsein wahrgenommen werden und an einem | |
menschenrechtlichen Prinzip ausgerichtet werden muss und an nichts sonst. | |
4 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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