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# taz.de -- EU und Impfstoffhersteller AstraZeneca: Mit der Giftspritze
> Hinter dem Streit mit AstraZeneca steckt der Neid auf Impferfolge in
> Großbritannien. Europa droht aus der Zusammenarbeit auszuscheren.
Bild: Impfstudie an Freiwilligen in Südafrika im Juni 2020
Wer hat recht im [1][Streit zwischen AstraZeneca und der Europäischen
Union]? Solange der Vertrag zwischen den beiden nicht veröffentlicht wird,
weiß es niemand. Es steht Aussage gegen Aussage. Die EU behauptet,
AstraZeneca begehe Vertragsbruch, wenn es die für das erste Quartal 2021
zugesagte Menge an Impfstoff wegen Problemen in der Lieferkette in Belgien
verringert. AstraZeneca behauptet, im Vertrag sei gar keine Menge
festgelegt. Die EU schimpft, AstraZeneca habe Impfstoff nach Großbritannien
geliefert, den sie selbst vorbestellt habe. AstraZeneca kontert,
Großbritannien habe seinen Liefervertrag drei Monate früher geschlossen als
die EU und sei damit als Erster dran.
Es gäbe eine einfache Lösung: die Verträge offenlegen. Das aber geschieht
nicht. Stattdessen will die EU nun Impfstoffexporte in Drittländer anmelde-
und genehmigungspflichtig machen und nennt dies eine
„Transparenz-Initiative“, die lediglich der „fairen Verteilung“ diene,
wobei die EU-Kommission allein definiert, was „fair“ ist.
Begünstigt wird diese Zuspitzung durch das Misstrauen zwischen der EU und
Großbritannien nach den Verhärtungen des Brexit. EU-Politiker sind empört,
dass Produktionssschwierigkeiten in der EU nur zu Lieferengpässen in der EU
führen und nicht in Großbritannien. Man könne den dortigen Impfstoff in die
EU „umleiten“, ist zu hören. In Vergessenheit gerät: In Großbritannien i…
das Vakzin von AstraZeneca – entwickelt an der britischen Universität
Oxford – seit vier Wochen zugelassen.
In der EU steht die Zulassung noch aus. Deswegen wird derzeit
Großbritannien beliefert und die EU nicht. Das könnte sich ändern, wenn die
erhoffte EU-Zulassung am 29. Januar erfolgt. Produktionsengpässe gab es,
wie sie AstraZeneca für die Zeit danach in der EU in Aussicht stellt, in
Großbritannien anfangs auch, sogar noch viel massiver. Dort wurden sie
mittlerweile behoben. Das muss nun auch in der EU geschehen.
Fingerzeigen auf die Insel
Stattdessen steht im Raum, die EU habe die Impfstoffentwicklung bezahlt und
nun müssten die Unternehmen „liefern“ – in die EU, auch wenn in
Großbritannien produziert wird. Impfstofflieferungen aus der EU nach
Großbritannien, etwa durch Pfizer/Biontech, will die EU hingegen
unterbinden können. Daraus machen jetzt manche britische Medien eine
[2][nationalistische Kampagne] – spiegelbildlich zu den EU-Unterstellungen,
die Briten hätten einen der EU zustehenden Impfstoff abgegriffen. Glaubt
man all den „emotionalen“ Äußerungen beider Seiten, hat AstraZeneca die EU
zugunsten Großbritanniens beklaut und im Gegenzug wird die EU nun
Pfizer-Lieferungen nach Großbritannien stoppen. Bessere Werbung für den
Brexit kann man nicht machen.
Der Eindruck drängt sich auf, dass die EU es den Briten sehr übel nimmt,
[3][im Impfen schneller] zu sein. In Großbritannien wird seit dem 8.
Dezember 2020 geimpft, also seit sieben Wochen, in der EU seit dem 27.
Dezember, also seit vier Wochen. Mittlerweile sind rund 11 Prozent der
Briten geimpft, aber nur rund 2 Prozent der EU-Bürger – diese Kluft ist
viel größer als der zeitliche Unterschied und wohl nur durch bessere
Organisation zu erklären.
Der Fingerzeig auf die Insel als Ablenkung von den eigenen Problemen begann
schon Anfang Dezember mit der breiten europäischen Kritik am britischen
„Vorpreschen“ bei der Impfstoffzulassung. Das setzte sich fort mit dem
Gerede vom „britischen Virus“, als eine neue Mutation zuerst in
Großbritannien auffiel, weil dort konsequenter sequenziert wird als in der
EU – während es nach wie vor verpönt ist, Corona als „Chinavirus“ zu
bezeichnen. Und nun kommt die Unterstellung unlauterer Mittel beim Erfolg
des britischen Impfprogramms im Vergleich zu dem der EU. So verfestigen
sich Feindschaften. Europa sollte aus seiner Geschichte wissen, wohin das
führen kann.
## Verteilungsproblem ist global
Die Coronapandemie ist ein globales Problem, und es ist nur global zu
lösen. Das reicht vom Testen der Verdachtsfälle und dem Schutz der
Allgemeinheit über die Behandlung der Kranken bis zur Impfung der Gesunden.
Der eigentliche Skandal ist die ungleiche Verteilung: Der Impfstoff ist
zwar selbst für Angela Merkel ein „öffentliches Gut“ – außer wenn die …
ihn braucht –, aber weltweit haben sich die reichen Nationen den Großteil
davon gesichert. 5,5 Milliarden Impfdosen haben die USA, die EU,
Großbritannien, Japan, Kanada und Australien insgesamt bestellt – die USA
2,4 Milliarden, die EU 2,06 Milliarden und Großbritannien vergleichsweise
bescheidene 367 Millionen.
Das Covax-Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das die 92
ärmsten Länder der Welt mit Impfstoffen versorgen soll, hat derweil bislang
feste Zusagen für rund 100 Millionen Impfdosen. Alle Amerikaner und
Europäer können sich rein mathematisch gesehen mehrere Male impfen lassen –
für die ärmsten Länder peilt Covax Impfschutz für 20 Prozent der
Bevölkerung bis Jahresende an.
AstraZeneca spielt in der globalen Impfpolitik eine Vorreiterrolle. Anders
als andere Konzerne produziert das britisch-schwedische Unternehmen
dezentral: Etwa ein Dutzend getrennte [4][Lieferketten in aller Welt], von
Großbritannien über die EU bis Indien, Mexiko oder Brasilien, sorgen für
regional unabhängige Produktion, bei der Unternehmen vor Ort von
Technologietransfer profitieren.
Dadurch sollen bis Jahresende 3 Milliarden Impfdosen auf der ganzen Welt
hergestellt werden. Dass dieser Impfstoff keine Tiefkühlung braucht, macht
ihn ideal zum Einsatz unter schwierigen Bedingungen – und in armen Ländern
mit vergleichsweise junger Bevölkerung steht auch die Frage, wie gut er
sehr alte Menschen schützt, weniger im Mittelpunkt als in Europa.
Die Herausforderung bestünde jetzt darin, wie man ihn auf der Welt fair
einsetzt. Und dadurch erweist sich auch, wie kleinkariert der aktuelle
Streit zwischen EU und AstraZeneca ist: Es geht um wenige Dutzend Millionen
Impfdosen. Auch wenn die fehlen, bleibt für die EU noch viel mehr als genug
übrig. Indem die EU stattdessen Impfnationalismus salonfähig macht,
vergiftet sie die globale Zusammenarbeit, ohne die der Kampf gegen die
Coronapandemie nicht gelingen kann.
27 Jan 2021
## LINKS
[1] /EU-beschwert-sich-bei-Pharmakonzernen/!5746112
[2] https://www.telegraph.co.uk/news/2021/01/27/finally-country-seeing-eu-nasty…
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1195157/umfrage/impfungen-ge…
[4] https://www.astrazeneca.com/what-science-can-do/topics/technologies/innovat…
## AUTOREN
Dominic Johnson
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