# taz.de -- Impfstoff nur für Industrieländer: Reiche first | |
> Reiche Länder haben sich die meisten Impfstoffdosen gesichert. Arme | |
> Länder müssen warten. Schlau ist das auch aus wirtschaftlichen Gründen | |
> nicht. | |
Bild: Gefragte Ware: der Impfstoff der Mainzer Firma Biontech | |
BERLIN taz | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte vor zwei | |
Wochen vor einem „Impfstoff-Nationalismus“. Und die Gruppe der großen | |
Industrienationen (G20) versprach auf ihrem Online-Gipfel vergangenes | |
Wochenende, „mit allen Mitteln“ dafür zu sorgen, dass Impfstoffe gegen das | |
Coronavirus „global gerecht verteilt werden“. Die Impfstoffverteilung sei | |
schließlich „der Schlüssel zur Erholung der Weltwirtschaft“, hieß es in | |
ihrer Abschlusserklärung. | |
Die Realität ist trotzdem eine völlig andere. Schon Monate bevor klar war, | |
ob die Covid-19-Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca | |
wirken würden, haben sich die reichen Länder die meisten Dosen, die diese | |
Firmen bis weit ins kommende Jahr produzieren können, für sich gesichert. | |
Dabei hatten Wissenschaftler*innen der Northeastern University in Boston | |
bereits darauf [1][hingewiesen], dass bei einer Verteilung der ersten zwei | |
Milliarden Dosen eines Corona-Impfstoffs ausschließlich an die 50 reichsten | |
Länder die Zahl der weltweiten Coronatoten um 33 Prozent geringer ausfallen | |
würde. Würde hingegen dieselbe Menge an Impfstoffen gleichmäßig auf alle | |
Länder verteilt, würde sich die Zahl der Corona-Toten um 61 Prozent | |
verringern. | |
Nun [2][warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO)], eine ungleiche | |
Verteilung der Impfstoffe zu Lasten der armen Länder dürfte auch massive | |
Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Und das würde wiederum auch die | |
Industrieländer hart treffen. | |
## Es drohen erhebliche ökonomische Schäden | |
Sollten Länder mit niedrigem Einkommen keinen Zugang zu Coronaimpfstoffen | |
haben, würde das „erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen, die | |
Jahrzehnte des wirtschaftlichen Fortschritts gefährden“, warnt die WHO und | |
beruft sich auf eine Studie der Eurasia Group, die im Auftrag der [3][Bill | |
& Melinda Gates-Stiftung] die wirtschaftlichen Auswirkungen bei einer | |
ungleichen Verteilung der Impfstoffe untersucht hat. | |
Die Modellrechnungen der Eurasia Group haben ergeben, dass die Schwellen- | |
und Entwicklungsländer bei gleichberechtigter Verteilung der Impfstoffe | |
2021 um 0,5 Prozent stärker wachsen könnten als die vom Internationalen | |
Währungsfonds prognostizierten 4,9 Prozent. 2020 wird die | |
Wirtschaftsleistung dieser Länder um 1,9 Prozent zurückgehen. | |
## Deutsche Wirtschaft wäre besonders betroffen | |
Bei ungleicher Verteilung der Impfstoffdosen hingegen würden diese Länder | |
2021 bis zu vier Prozent unter der IMF-Vorhersage bleiben. Sprich: Ihre | |
Volkswirtschaften würden auch im kommenden Jahr noch schrumpfen. Auch über | |
zwei Jahre gerechnet könnte das Wachstum dieser Länder je nach Impfszenario | |
um bis zu 4,5 Prozentpunkte schwanken. | |
Das wiederum hat Auswirkungen auf die Industrieländer. Denn geht es den | |
Schwellen- und Entwicklungsländern wirtschaftlich schlecht, können auch die | |
reichen Länder weniger Waren absetzen. Am schlimmsten betroffen wäre die | |
deutsche Wirtschaft. Im schlimmsten Szenario könnte ihr in den beiden | |
Pandemiejahren 2020/2021 rund 2,7 Milliarden Euro an Einnahmen wegfallen, | |
wenn die ärmeren Länder nicht von Beginn an bei der Impfstoffverteilung in | |
gleichberechtigtem Maße berücksichtigt werden. | |
## Impfstoff-Nationalismus ist Realität | |
Es sieht ganz danach aus, dass es genau so kommen wird. Denn obwohl | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere Regierungschefs beim | |
G20-Gipfel ausdrücklich dazu aufgerufen haben, die Impfstoffinitiative | |
Covax der WHO zur gerechten Verteilung von Corona-Impfstoffen finanziell zu | |
unterstützen, überwiegt bei allen reichen Ländern genau der | |
Impfstoff-Nationalismus, den Bundespräsident Steinmeier anprangert. | |
Doch wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einer | |
Pressekonferenz im September schon sagte: „Es wäre schwer zu erklären, wenn | |
durch deutsche Förderung die Impfungen woanders beginnen und wir selbst | |
nichts hätten.“ | |
4 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Impfstoff-zunaechst-nur-fuer-reiche-Laender/!5729876 | |
[2] https://www.who.int/news/item/03-12-2020-global-access-to-covid-19-vaccines… | |
[3] https://www.gatesfoundation.org | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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