# taz.de -- Bürgerräte zu Außenpolitik: Querschnitt gegen den Populismus | |
> In einem Forum sollen 160 ausgeloste Bürger:innen mit der Bundespolitik | |
> ins Gespräch kommen. Welchen Einfluss das Experiment hat, bleibt noch | |
> offen. | |
Bild: Heute digital statt im Wirtshaus: eine Konferenz von Mehr Demokratie 2019… | |
BERLIN taz | Als der Brief ankam, habe sie ihn erst mal nicht richtig ernst | |
genommen, sagt Schülerin Maya Loewe aus Freiburg. Der Bürgerrat, was soll | |
das sein? Doch im Umschlag fand sich auch ein Schreiben mit der | |
Unterschrift des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble. Loewe | |
recherchierte, überlegte – und meldete sich schließlich an. Jetzt ist | |
Loewe, die nächstes Jahr Abitur macht, „gespannt, mit vielen verschiedenen | |
Leuten in Kontakt zu kommen“. | |
„Offene Diskussionen über ganz andere Meinungen“ erwartet auch Thomas | |
Spiesser, Software-Entwickler aus Berlin-Neukölln. „Raus aus der Blase“ sei | |
ein guter Ansatz. | |
Der Bürgerrat ist ein erstaunliches Demokratieexperiment. 160 ausgeloste | |
Leute – Schüler, Akademikerinnen, Jobber, Rentnerinnen, viele ohne nähere | |
politische Erfahrung – werden ab Mittwoch über die Außenpolitik | |
Deutschlands debattieren. Durch die Übernahme der Schirmherrschaft deutete | |
Schäuble an, dass er dem neuen Verfahren eine Bedeutung für das | |
parlamentarische System beimisst. | |
Nur wenn sich die Demokratie offen zeige für neue Verfahren, „bleibt sie | |
stabil“, sagte Schäuble am Mittwoch. Bürgerräte seien „das Gegenteil von | |
Populismus“. Einerseits handelt es sich um den Versuch einer [1][Reform | |
eingestaubter demokratischer Mechanismen]: Bürger:innen beraten den | |
Bundestag, damit dessen Entscheidungen eher im Sinne des Souveräns | |
ausfallen. Andererseits ermöglichen Bürgerräte Gespräche zwischen | |
Andersdenkenden, die in Zeiten wütender Internetdebatten seltener | |
vorkommen. Besonders „angesichts veränderter öffentlicher Kommunikation“ | |
müsse man „etwas Besseres finden“, so Schäuble. | |
## Entscheidende Fragen bisher offen | |
Organisiert werden die Debatten der Bürger:innen als Onlinekonferenzen aus | |
einem Studio am Alexanderplatz in Berlin. Die aus den Melderegistern | |
Ausgelosten, die zu Hause vor ihren Rechnern sitzen, wurden so ausgewählt, | |
dass sie annähernd einen Querschnitt der Gesamtbevölkerung repräsentieren. | |
Bis Mitte Februar finden zehn, teils tagelange Sitzungen im Plenum und in | |
Arbeitsgruppen statt. Professionelle Moderator:innen sollen darauf achten, | |
dass alle zu Wort kommen und keine Vielsprecher:innen die Diskussionen | |
dominieren. Expert:innen geben fachliche Inputs, damit die Bürgerräte auf | |
einem soliden Wissensfundament aufbauen. Am Ende soll ein Bericht an | |
Schäuble und den Bundestag stehen. | |
Der jetzt gestartete Rat ist die zweite Ausgabe, abgestimmt mit dem | |
Ältestenrat des Bundestages. Der erste bundesweite Bürgerrat im vergangenen | |
Jahr fragte unter anderem: Soll die repräsentative Demokratie ergänzt | |
werden? Federführend damals wie jetzt ist der Verein Mehr Demokratie. Wobei | |
es nun um mehr geht als um Außenpolitik. „Deutschlands Rolle in der Welt“ | |
lautet der Titel. Gefragt ist eine Mischung aus Selbstdefinition (Wofür | |
soll Deutschland stehen?), Positionsbestimmung (Wie ist die Lage?) und | |
praktischer Politik. | |
Großes Aufsehen erregte 2018 ein Bürgerrat in Irland, dessen Debatten den | |
Weg zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe ebneten. Frankreich | |
veranstaltete vergangenes Jahr ein ähnliches Experiment zur | |
[2][Klimapolitik]. Im österreichischen Bundesland Vorarlberg stehen | |
Bürgerräte in der Verfassung. Und auch hiesige Kommunen, etwa Augsburg, | |
probieren das Verfahren aus. Nach der FDP haben kürzlich die Grünen die | |
Forderung nach Bürgerräten in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen – und | |
bundesweite Volksentscheide rausgeworfen. Diese hält man in Zeiten | |
politischer Polarisierung für keine gute Idee mehr. | |
Das Verfahren steht noch ganz am Anfang. Offen bleiben entscheidende | |
Fragen: Soll man Bürgerräte institutionalisieren, zu einem permanenten | |
Verfahren auf gesetzlicher Grundlage machen? Und welche | |
Einflussmöglichkeit, welches Gewicht bekommen diese Gremien? | |
„Die Ergebnisse unserer Beratungen müssen eine gewisse Relevanz erhalten“, | |
sagt Bürgerrat Spiesser, „sonst ist die Zeit zu schade.“ Mit großem Aufwa… | |
einen Bericht zu verfassen, der dann keine Konsequenzen auslöst, habe wenig | |
Sinn. Wird das Experiment fortgesetzt, dürfte es darum gehen, den | |
Ergebnissen einen gewissen Grad von Verbindlichkeit im politischen Prozess | |
zuzubilligen. Das wird, so Schäuble, wohl der nächste Bundestag | |
entscheiden. | |
13 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Schaeuble-Vorstoss-fuer-Raete/!5713251 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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