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# taz.de -- Sinkende Steuereinnahmen: Corona sprengt die Schuldenbremse
> Die Steuereinnahmen werden in den kommenden Jahren sinken. Kommende
> Bundeshaushalte mit wenigen Krediten sind deshalb unrealistisch.
Bild: Räumungsverkauf in der Altstadt von Münster
Berlin taz | Etwa 30 bis 40 Milliarden Euro fehlen der Bundesregierung
künftig – pro Jahr. Auf diese Summen muss sie vorläufig wohl verzichten,
weil die Steuereinnahmen wegen der Coronakrise niedriger ausfallen als
vorher. Die Größenordnung entspricht ungefähr den gesamten Mitteln, die den
Bundesministerien für Bildung und Gesundheit in einem normalen Jahr zur
Verfügung stehen.
Die Ergebnisse der neuesten Steuerschätzung sind ziemlich ernüchternd. Wenn
die Haushaltspolitiker:innen der Koalition an diesem Donnerstag den
Bundesetat für 2021 besiegeln, füllen sie riesige Löcher – mit Schulden.
Denn die Einnahmen reichen bei Weitem nicht, um die Ausgaben zu decken. Das
gibt einen Vorgeschmack auf die nächsten Jahre.
Neue Kredite aufzunehmen ist ein gangbarer Weg. Achim Truger, einer der
[1][Wirtschaftsweisen der Bundesregierung], plädiert dafür, ihn
einzuschlagen. Dann steigt zwar die Gesamtverschuldung des Staates. „Wir
können aber aus den Schulden rauswachsen“, sagt der Ökonom, der mit
Unterstützung der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat einzog.
Truger verweist auf die Finanzkrise ab 2009. Danach sank die Schuldenquote
wegen der guten Konjunktur innerhalb von neun Jahren von über 80 auf unter
60 Prozent der Wirtschaftsleistung. „Steuererhöhungen oder
Ausgabenkürzungen sind dafür heute nicht nötig, sondern ein anderer Umgang
mit der Schuldenbremse“, so Truger. Diese begrenzt die Neuverschuldung des
Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr, von
krisenbedingten Ausnahmen abgesehen.
## 30 bis 40 Milliarden weniger pro Jahr
Der Wirtschaftsforscher sieht vier Stellschrauben. „Erstens sollte das
Berechnungsverfahren der zulässigen Kreditaufnahme im Rahmen der
Schuldenbremse geändert werden.“ Konjunkturelle Spielräume würden bislang
künstlich kleingerechnet. „Das ermöglichte dem Bund eine zusätzliche
regelkonforme Kreditaufnahme von bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr.“
Zweitens rät Truger, die Ausnahmeregel innerhalb der Schuldenbremse zu
verlängern. Vorübergehend könnte der Staat dann mehr Kredite aufnehmen.
Drittens solle man den Tilgungszeitraum für die Coronaschulden von 20 auf
50 Jahre verlängern. Und schließlich hält er es für möglich, dass Bund und
Länder Extrahaushalte für Investitionen einrichten, die nicht den
Schuldenregeln unterliegen.
Lockere Ideen eines besonders ausgabefreudigen Wirtschaftsforschers, könnte
man meinen. Doch Jens Boysen-Hogrefe, Ökonom am traditionell weniger
spendablen Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), denkt in eine ähnliche
Richtung. Er will die Schuldenbremse zwar nicht revidieren, spricht sich
aber ebenfalls für eine flexible Handhabung aus.
„Für einige Jahre könnte der Bund eine Art Ausnahmeregel definieren“, sagt
Boysen-Hogrefe. „Das strukturelle Defizit dürfte dann höher ausfallen als
die bislang festgelegten 0,35 Prozent.“ Jedoch rät er zu einem konkreten
Abbaupfad mit einer jährlichen Reduzierung der Neuverschuldung, um die 0,35
Prozent möglichst bald wieder zu erreichen.
## Scholz will Schuldenbremse ab 2022 wieder einhalten
Im Vergleich zur jetzigen Situation könnte dieses Verfahren für mehr
Ausgabendisziplin sorgen, meint der Kieler Ökonom. „Weil der
Bundesfinanzminister aktuell keine Neuverschuldungsobergrenze definiert,
beanspruchen die Ministerien teilweise vielleicht unnötige Mehrausgaben“,
so Boysen-Hogrefe.
Wie es konkret weitergeht, ist unklar. Offiziell will Bundesfinanzminister
Olaf Scholz (SPD) die [2][Schuldenbremse ab 2022 wieder einhalten]. Vor dem
Hintergrund von über 160 Milliarden Euro zusätzlichen Krediten in 2021 und
beträchtlichen Löchern in der mittelfristigen Finanzplanung erscheint das
aber unrealistisch.
Das ahnt auch Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg (CDU): „Die Einhaltung
der Schuldenbremse ab 2022 bleibt eine große Herausforderung.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Bremse als „flexibel
genug“ und „Leitschnur für die zukünftigen Jahre“. Eine moderat höhere
Kreditaufnahme als normal erscheint damit nicht ausgeschlossen.
25 Nov 2020
## LINKS
[1] /Gutachten-der-Wirtschaftsweisen/!5723801
[2] /Deutsche-Schuldenpolitik/!5689836
## AUTOREN
Hannes Koch
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