| # taz.de -- Staatshaushalt in Coronakrise: „Schulden sind nicht das Problem“ | |
| > Deutschland wird wohl glimpflich aus der Coronakrise kommen, sagt Ökonom | |
| > Jens Südekum. Die Bundesregierung müsse dennoch aufpassen. | |
| Bild: Die Immobilienpreise steigen, und auch gebaut wird weiter munter: Arbeite… | |
| taz: Herr Südekum, die deutsche Wirtschaft erlebt ihre schwerste Krise in | |
| der Nachkriegszeit. Zugleich scheinen sich viele aber in Sicherheit zu | |
| wiegen. Die Immobilienpreise steigen, die Aktienkurse ebenso. [1][Wie passt | |
| das zusammen?] | |
| Jens Südekum: Aktienkurse sind kein Indikator für den Status quo jetzt, | |
| sondern getrieben von Erwartungen. Investoren wissen, die Coronakrise ist | |
| in absehbarer Zeit zu Ende. Der Impfstoff ist da; es ist nur noch eine | |
| Frage der Zeit, bis er in der Breite ankommt. Diese Erwartungen treiben | |
| die Aktienkurse und ein Stück weit auch die Immobilienpreise. Die | |
| geldpolitischen Lockerungen tragen auch dazu bei. | |
| Allein im November gibt die Bundesregierung 17 Milliarden Euro an | |
| Staatshilfe aus, im Dezember noch mehr. Vermittelt sie zu sehr das Gefühl | |
| „Alles im Griff“? | |
| Ich glaube nicht, dass das der Treiber von hohen Aktienkursen ist. Ich | |
| nehme auch gar nicht wahr, dass die Leute in der Breite diese Krise auf die | |
| leichte Schulter nehmen. Ich vernehme viel Unsicherheit. | |
| Wie ist die wirtschaftliche Lage? | |
| Die Zahlen für 2020 sind dramatisch. Aber alle Prognosen gehen davon aus, | |
| dass wir 2021 ein kräftiges Wachstum haben werden. Trotzdem werden einige | |
| Branchen bleibende Schäden davontragen. | |
| Welche bleibenden Schäden meinen Sie? | |
| Wir wissen nicht, wie sich zum Beispiel das Reiseverhalten nach der Krise | |
| verändern wird. Werden die Leute nach der Krise wieder so umschalten und zu | |
| den gleichen Verhaltensweisen zurückkehren, als wäre nichts gewesen? Dann | |
| wird ja auch die Klimakrise wieder stärker Thema sein, die letztendlich die | |
| Frage aufwerfen wird: Müssen sich weiter massenhaft Leute ständig in den | |
| Flieger setzen, bloß um sich für einige Stunden irgendwo zu treffen? Corona | |
| hat in diesem Bereich ein Umdenken ausgelöst. Für die Flug- oder auch die | |
| Hotelbranche dürfte es hart bleiben. Entsprechend fallen dann auch | |
| Arbeitsplätze weg. Alles, was mit digitalen Konferenzen und Homeoffice zu | |
| tun hat, wird zulegen. Und dann stellt sich die Frage: Wie viele | |
| zusätzliche Arbeitsplätze werden in diesen Bereichen entstehen und bringt | |
| das etwas für die Leute, die anderswo ihre Arbeitsplätze verloren haben? | |
| Dieser Strukturwandel wird sicherlich eine große Herausforderung nach | |
| Corona sein. | |
| Immer mehr scheint sich herauszukristallisieren: Vermögende trifft die | |
| Krise nur wenig, wegen steigender Aktienkurse vergrößert sich ihr Vermögen | |
| sogar. Im Niedriglohnsektor hingegen sind viele auf Kurzarbeit oder haben | |
| ihre Jobs ganz verloren. Wie ließe sich das besser steuern? | |
| Einige werden sehr von der Krise profitieren. Jeff Bezos von [2][Amazon ist | |
| natürlich ein ganz großer Krisengewinner.] Menschen aus dem | |
| Niedriglohnsektor hingegen leiden. Wir erleben eine weitere Verschärfung | |
| bei der Vermögens- und Einkommensungleichheit. Die Diskussion darum, wie | |
| man dieses Missverhältnis korrigieren kann, sollte auch unbedingt geführt | |
| werden. Ich warne nur davor, das mit der Coronakrise zu vermischen. Es gibt | |
| jetzt ja die Forderung: Wir brauchen eine Vermögensabgabe, um die | |
| Coronakrise abzubezahlen. Diese Verknüpfung halte ich für falsch. Um die | |
| Coronakrise zu finanzieren, brauchen wir keine zusätzlichen Steuern, | |
| sondern sollten sie im Wesentlichen über Wirtschaftswachstum abtragen. | |
| Da sind wir bei dem Thema Staatsverschuldung: Die Pandemie wird im Dezember | |
| ja nicht beendet sein. Bis März werden wahrscheinlich weitere 20 bis 30 | |
| Milliarden an Hilfe nötig sein. Kann der Bund auch das weiter stemmen? | |
| Der Anstieg der Staatsverschuldung ist gar nicht so extrem. Er ist | |
| niedriger als nach der Finanzkrise. Nach aktuellen Projektionen geht die | |
| Schuldenquote von knapp unter 60 auf etwa 72 Prozent hoch. Ich halte die | |
| Staatsverschuldungsquote aber generell nicht für besonders aussagekräftig. | |
| Viel wichtiger ist die Frage: Wie hoch sind die Zinsausgaben, die der Staat | |
| tätigen muss, um diese Schulden zu bedienen? Und diese Kennziffer ist auf | |
| einem Tiefststand. In dieser Krise hat sich bei den Zinsen der | |
| Staatsanleihen überhaupt nichts getan. Sie sind sogar leicht gesunken. Das | |
| heißt, der Staat muss für die zusätzlichen Schulden gar nicht zahlen, | |
| sondern verdient sogar daran. In so einem Umfeld, das noch lange so bleiben | |
| wird, sind Staatsschulden nicht das größte Problem. | |
| Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) warnt nun aber vor einem zu hohen | |
| Schuldenstand, der Staat komme ans Ende seiner Handlungsfähigkeit. | |
| Ich halte diesen Satz nicht nur für falsch, sondern zu diesem Zeitpunkt | |
| sogar für gefährlich. Die Pandemie ist doch in absehbarer Zeit | |
| ausgestanden. Jetzt zu sagen, wir müssen bei den Hilfen auf die Bremse | |
| treten, wird Geschäftstreibende massiv verunsichern. Seit Beginn der | |
| Pandemie war es das Ziel, die Unternehmen und die Arbeitsplätze zu | |
| erhalten. Wenn Helge Braun daran jetzt Zweifel sät, dann werden viele doch | |
| noch den Weg in die Insolvenz gehen. Dann hätte man sich aber die bisher | |
| geleisteten Hilfen sparen können. Sie wären komplett verpufft. Ich glaube | |
| nicht, dass das so kommen wird. Aber mit Aussagen vom Ende der staatlichen | |
| Handlungsfähigkeit sollte das Kanzleramt extrem vorsichtig sein. | |
| Sollten zumindest nicht die Länder stärker zur Kasse gebeten werden? | |
| Ob Bund oder Länder – diese Frage halte ich für uninteressant. Zwar | |
| bekommen die Länder einen großen und sogar noch wachsenden Teil der | |
| Steuereinnahmen. Insofern ist es richtig, dass sie sich an den Kosten | |
| beteiligen. Doch die Schuldenregelungen sind so streng, dass die Länder im | |
| Rahmen der Schuldenbremse noch weniger Spielraum haben als der Bund. Wir | |
| müssen diese Krise aber über Verschuldung lösen, und das kann der Bund | |
| einfach professioneller. Makropolitik sollten nicht die Länder machen, | |
| schon gar nicht die Kommunen. In letzter Konsequenz steht der Bund eh ein. | |
| Wo wird die deutsche Wirtschaft in einem Jahr stehen? | |
| Wir haben alle keine Glaskugel. Aber da jetzt absehbar ist, dass der | |
| Impfstoff kommt, gehe ich davon aus, dass wir einen Großteil der Schäden | |
| wettgemacht haben werden. Im europäischen Vergleich wird Deutschland | |
| wahrscheinlich mit am besten durch die Krise kommen. Daraus ergibt sich | |
| jedoch ein Folgeproblem: Die Divergenzen innerhalb der Eurozone werden | |
| weiter zunehmen. Länder, die vorher schon schwächelten, werden wohl noch | |
| stärker hinterherhinken. | |
| Droht ein Revival der Eurokrise? | |
| Das muss nicht so kommen. Aber dann dürften wir nicht die Fehler | |
| wiederholen, die wir vor der Eurokrise gemacht haben. Der European Recovery | |
| Fund, der derzeit von Ungarn und Polen blockiert wird, muss schnell und | |
| zielgerichtet loslegen. Und die Europäische Zentralbank muss bei ihrem Kurs | |
| bleiben. Ein übereiltes Ende ihres Pandemie-Notfallankaufprogramms – und | |
| die Eurokrise wäre schneller wieder da, als wir gucken können. | |
| 1 Dec 2020 | |
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| Felix Lee | |
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