| # taz.de -- Leiter über Braunschweiger Filmfestival: „Wir erklären, wie man… | |
| > Das 34. Filmfestival in Braunschweig findet ab Montag ausschließlich | |
| > online statt. Festivalleiter Andreas Lewin über Kinokultur in | |
| > Coronazeiten. | |
| Bild: Deutschland-Premiere in Braunschweig: „The Planters“ läuft im Wettbe… | |
| taz: Herr Lewin, Ihr Festival wird ausschließlich online stattfinden. Dabei | |
| hat etwa das [1][Hamburger Filmfest] in diesem Jahr gute Erfahrungen mit | |
| hybriden Formen gemacht, also auch Vorführungen im Kino. Warum gehen Sie | |
| diesen Weg nicht? | |
| Andreas Lewin: Jedes Festival hat eine andere Grundvoraussetzung, aufgrund | |
| der dann zu entscheiden ist, welcher Weg gegangen werden kann. Es geht ja | |
| darum, wie man das Festival unbeschadet durch diese Krise bringt. Bei uns | |
| ist es so, dass wir nicht wie die größeren Festivals in Hamburg oder Wien | |
| mit einer üppigen kommunalen öffentlichen Förderung ausgestattet sind und | |
| deshalb hybrid fahren können. | |
| Es gab für diese Entscheidung also vor allem wirtschaftliche Gründe? | |
| Nicht nur. Aber die wichtigste finanzielle Stütze sind bei uns nun mal die | |
| Einnahmen durch den Kartenverkauf. Und die wären durch die | |
| Coronabeschränkungen zu stark weggebrochen. Es gab für uns auch nicht die | |
| Alternative, mehr Kinos zu bespielen, um so die Verluste wieder | |
| wettzumachen: Das geht in Braunschweig gar nicht, wir haben hier dafür | |
| einfach nicht genügend Kinos und Räume. | |
| Andere Festivals zeigen in diesem Jahr weniger Filme. | |
| Wir wollten das Programm nicht eindampfen. Wir sind ein durch einen Verein | |
| betriebenes Festival, und viele Vereinsmitglieder gestalten das Programm | |
| mit. Dieses Identifikationspotenzial wollten wir nicht verlieren. Und das | |
| wäre passiert, wenn wir begonnen hätten, das Programm zusammenzustreichen. | |
| Dann wären die Mitglieder nicht mehr wirklich involviert gewesen. | |
| Stattdessen haben wir unsere Preise, unsere Reihen und unsere kuratorische | |
| Arbeit im vollen Umfang weitergeführt. Doch solch ein potentes großes | |
| Programm auf die Beine zu stellen, das gelingt uns nur im Onlinebereich. | |
| Wie sehr leidet darunter die Kinokultur in der Stadt? | |
| Die Betreiber des größten Kinos, „Astor“, waren sogar sehr froh darüber, | |
| dass wir online gehen würden. Denn die erwarteten im November den neuen | |
| James-Bond-Film und wollten ihn dann in allen Sälen zeigen. Diese | |
| Polarisierung zwischen Streaming und Kinokultur ist einfach nicht | |
| produktiv. Es gab eine Zeit, als man das Wort „Streaming“ als | |
| Festivalbetreiber gar nicht in den Mund nehmen durfte. Dabei sieht man ja | |
| bei den Dokumentarfilmfestivals in Kopenhagen, New York oder München, dass | |
| das Konzept eines Onlinefestivals sehr erfolgreich sein kann. | |
| Die Hybridfestivals in Hamburg und [2][Oldenburg] fanden im September | |
| statt, inzwischen ist die Situation schon wieder eine ganz andere, die Zahl | |
| der Neuinfektionen steigt. | |
| Ja, das haben wir schon im Juni befürchtet. Es gab Vorhersagen, dass die | |
| zweite Welle im Herbst kommen würde. Unser Festival läuft im November, also | |
| an einem sehr ungünstigen Zeitpunkt im Jahr. Und das Risiko war groß, dass | |
| es zu einem finanziellen Schaden gekommen wäre, weil wir eventuell ganz | |
| hätten dichtmachen müssen. | |
| Wird die andere Form des Festivals zu einem anderen Publikum führen? | |
| Das kann man jetzt noch nicht einschätzen. Viele Studenten*innen aus der | |
| Stadt holen sich Tickets im Vorverkauf, das war früher nicht so. Es wird | |
| wohl eine Verjüngung des Publikums geben. | |
| Sehen Sie die Gefahr, dass das treue Publikum verschreckt werden könnte? | |
| In Braunschweig ist traditionell der Altersdurchschnitt der Besucher*innen | |
| etwas höher als auf anderen Festivals. Für diese Generation ist es | |
| tatsächlich schwieriger, auf Online umzusteigen. Deshalb haben wir viel | |
| Zeit investiert, um audiovisuelle Anleitungen zu entwickeln, die [3][auf | |
| der Streamingplattform] leicht zu finden sind. Dort wird erklärt, wie man | |
| streamt, wie man Filme leiht und wie man bezahlt. Außerdem haben wir einen | |
| telefonischen Kundendienst, da gehen schon jetzt von morgens bis abends | |
| viele Anrufe ein. Andererseits gibt es aber auch ein Feedback von vielen | |
| älteren Festivalbesucher*innen, die gesagt haben, dass sie in diesen Tagen | |
| nur ungern ins Kino gehen. | |
| Wichtig sind für Festivals auch Gäste, die für Glamour sorgen. Fällt das | |
| online weg? | |
| 90 Prozent der Filmemacher*innen haben uns kleine Filme geschickt, in denen | |
| sie Fragen zu ihren Filmen beantworten. Dabei sind sie kreativ und lassen | |
| sich für ihre Beiträge etwas einfallen. Da gibt es eine andere Intimität | |
| als bei den Live-Gesprächen im Kino. Und wir haben Filmpatenschaften | |
| organisiert, bei denen bekannte Persönlichkeiten aus Braunschweig sich | |
| Filme ausgesucht haben, über die sie dann in kleinen Filmbeiträgen | |
| sprechen. | |
| Viele Festivalbetreiber sind eng mit der Kinobranche verbunden, Sie kommen | |
| sozusagen von der anderen Seite: Sie haben selbst Filme gemacht – dann ein | |
| Festival gegründet. | |
| Ich habe zwölf Jahre lang in Berlin das [4][Festival „Dokuarts]“ betrieben: | |
| ein Festival nur für Künstlerporträts und andere Filme über Kunst. Diese | |
| Art von Filmen findet man ganz selten auf Festivals und so gut wie gar | |
| nicht mehr im Fernsehen. | |
| Genau solche Filme haben Sie selbst auch gedreht – war „Dokuarts“ dafür | |
| eine Plattform? | |
| Ich habe meine eigenen Filme nie auf meinem Festival gezeigt. | |
| Was reizt Sie an der neuen Position in Braunschweig? | |
| Für mich zeichnet sich dieses Festival durch die Kooperationen mit den | |
| vielen Kulturinstitutionen der Stadt aus. In Braunschweig ist ja alles da: | |
| Hier gibt es Museen, eine Kunsthochschule, Theater, eine Oper, ein | |
| Staatsorchester, eine Musikszene – sogar ein Ballett. Das Kulturleben ist | |
| gut vernetzt und das Festival ist da mittendrin. | |
| Wie wollen Sie es in den kommenden Jahren gestalten? | |
| Wir wollen den Dokumentarfilmbereich ausbauen. In diesem Jahr gibt es schon | |
| 19 Dokumentarfilme im Programm. Vielleicht können wir da auch mal einen | |
| Preis vergeben. Aber die große Herausforderung besteht darin, in der | |
| Zukunft wieder ein Festival in der Größe der vorherigen Festivals auf die | |
| Beine zu stellen. Das Festival ist in den letzten paar Jahren extrem | |
| gewachsen. Und ich habe schon jetzt in der Programmstruktur eine | |
| Verschlankung, Vereinfachung und Übersichtlichkeit durchgesetzt. | |
| Inwiefern? | |
| Im vergangenen Jahr gab es 23 Filmreihen. Das waren mehr als auf der | |
| [5][Berlinale]. Wir wollen da eine größere Klarheit in der Gesamtstruktur | |
| schaffen, ohne die traditionellen Highlights zu verlieren. Aber es ist | |
| fraglich, ob wir in der Zeit nach Corona zu diesen hohen | |
| Besucher*innenzahlen zurückkommen werden. Wir wissen ja noch nicht einmal, | |
| ob im nächsten Herbst wieder ein normaler Festivalbetrieb möglich sein | |
| wird. | |
| 1 Nov 2020 | |
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| [1] /Filmfestleiter-ueber-Hamburger-Kinonoete/!5711730 | |
| [2] /Internationales-Filmfest-Oldenburg/!5707991 | |
| [3] https://online.filmfest-braunschweig.de/ | |
| [4] /!s=dokuarts+festival+berlin | |
| [5] /!t5573447/ | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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