| # taz.de -- Filmfestleiter über Hamburger Kinonöte: „Ich wollte nicht nur S… | |
| > Das Filmfest Hamburg findet in diesem Jahr physisch und online statt. | |
| > Festivalleiter Albert Wiederspiel über die Branche als gefährdetes | |
| > Ökosystem. | |
| Bild: Gelungenes Regiedebüt: „Cortex“ von Moritz Bleibtreu sei „ein sehr… | |
| taz: Herr Wiederspiel, das [1][Filmfest Hamburg] ist das erste | |
| überregionale deutsche Filmfestival, das wieder stattfinden darf. Wie kam | |
| es dazu? | |
| Albert Wiederspiel: Zusammen mit der Behörde für Kultur und Medien hatten | |
| wir uns schon im Mai dazu entschieden, trotz Corona ein Filmfest zu | |
| veranstalten. Es war aber unsicher, ob es nicht im Sommer wieder abgesagt | |
| werden müsste. Und es war klar, dass es Einschränkungen geben würde. Denn | |
| es ist leider so, dass wir in Hamburg eine relativ niedrige Kinokapazität | |
| haben. Wir dürfen zur Zeit nur ungefähr 30 Prozent der Plätze belegen. | |
| Deshalb haben wir uns für eine hybride Ausgabe des Festivals entschieden. | |
| Das bedeutet, dass wir die Sitzplätze, die wir im Kino nicht verkaufen | |
| dürfen, virtuell anbieten. Wenn etwa ein Kino 260 Plätze hat, darf es 90 | |
| davon nutzen und die restlichen 170 Plätze verkaufen wir als | |
| Streaming-Tickets. Wichtig für uns war, dass alle Filme des Festivals im | |
| Kino gezeigt werden. Ich wollte keine Filme nur im Streaming haben. | |
| Schaffen Sie damit nicht imaginäre Kinoräume? | |
| Dieses System haben wir zusammen mit den Kinos entwickelt. Ich wollte | |
| nichts tun, das in irgendeiner Weise den Kinos wehtun könnte. Deshalb | |
| wollten wir die Anzahl der Streaming-Tickets begrenzen. Wir arbeiten da | |
| nachhaltig, damit das Ökosystem von deutschen Kinos, Verleihern, Festivals | |
| und Filmen bestehen bliebt. Wenn ich ohne Begrenzung nach oben streamen | |
| lassen würde, könnte ich ja theoretisch für die Verleiher einen Film in | |
| Deutschland kaputt machen. Aber so, wie wir es jetzt machen, ist es auch | |
| eine Einladung an das Publikum, den Weg ins Kino zurückzufinden. | |
| War die Finanzierung in diesem Jahr schwieriger? | |
| Nein, die Zuwendungen der Hansestadt sind gleich geblieben. Und das Budget | |
| ist ein wenig kleiner, weil wir weniger Kosten haben. So ist der Bereich | |
| Gäste bei Festivals ein großer Kostenpunkt, und wir haben viel weniger | |
| Gäste aus dem Ausland. Wir konnten weder die Asiat*innen, noch die Latein- | |
| oder US-Amerikaner*innen einladen. | |
| Aber Sie haben nur etwa halb so viele Filme im Programm wie in anderen | |
| Jahren. | |
| Man muss ehrlich sagen, dass es nur ein kleines Filmjahr ist. Seit der | |
| Berlinale gab es ja lange kein Festival. Normalerweise reisen wir auf die | |
| großen internationalen Festivals und suchen uns da die Filme aus, aber das | |
| hat ja in diesem Jahr gar nicht stattgefunden. Dazu kommt, dass viele | |
| Verleiher und Produzenten ihre Filme nicht zeigen wollen. Die Situation ist | |
| unsicher, die Kinokapazitäten sind klein, und deshalb werden viele Filme | |
| für das nächste Jahr zurückgehalten. Deshalb haben wir gesagt: Es nutzt | |
| nichts so zu tun, als ob nichts wäre und die normale Anzahl von Filmen zu | |
| zeigen, weil es im Moment nicht 140 wunderbare neue Filme gibt. 70 Filme | |
| können wir mit gutem Gewissen zeigen. Bei mehr wäre das Filmfest künstlich | |
| aufgeblasen. | |
| Strukturell fahren Sie nicht zurück: Das [2][Kinder- und Jugendfestival | |
| „Michel“] findet statt, ebenso das [3][„Festival ums Eck“] in sechs | |
| kleineren Kinos. | |
| Ja, wir haben im letzten Jahr damit angefangen, die Stadtteilkinos mit | |
| einzubeziehen, und das war so erfolgreich, dass ich es nicht nur wegen | |
| Corona gleich wieder aufgeben wollte. Auch weil die kleinen Kinos im Moment | |
| ebenfalls leiden und Unterstützung brauchen. Auch die dürfen nur mit | |
| kleinen Kapazitäten arbeiten, aber auf dieser kleinen Flamme wollte ich das | |
| unbedingt weiterführen. | |
| Aber Sie verzichten auf Jurys und Preisverleihungen. | |
| Es ist ein schiefes Jahr. Die volle Breite des Weltkinos ist einfach zur | |
| Zeit nicht vorhanden. Deswegen wäre es Wahnsinn, jetzt Wettbewerbe zu | |
| veranstalten. Und Jurys zusammen zu trommeln ist zurzeit auch nicht | |
| angesagt. Wir haben ja auch auf den Premieren-Status verzichtet und so | |
| zeigen wir Filme, die zum Beispiel schon auf der Berlinale im Programm | |
| standen. Der einzige Preis, den wir in diesem Jahr vergeben, ist der | |
| Publikumspreis, aber für den können auch die Zuschauer*innen abstimmen, die | |
| die Filme online ansehen. | |
| Eröffnen wird das Festival Oscar Roehlers | |
| Rainer-Werner-Fassbinder-Biografie „Enfant Terrible“, mehrere Kinos zeigen | |
| parallel dazu Filme Fassbinders. | |
| Jedes Kino durfte sich einen aussuchen, und die machen die Veranstaltungen | |
| dann in Eigenregie. Wir liefern nur die Übertragung der Eröffnung. Und so | |
| haben wir einen großen Fassbinder-Abend in Hamburg. | |
| Schön ist, dass Sie der [4][Hamburger Dokumentarfilmwoche], die ja in | |
| diesem Jahr ausfallen musste, Unterschlupf gewähren. | |
| Wir haben sie eingeladen, zwei Tage lang das Metropolis zu bespielen. Und | |
| sie haben da ein Programm von zwölf Veranstaltungen hineingepresst. Wir | |
| haben uns dafür selber bei den Dokumentarfilmen ein wenig zurückgehalten. | |
| Auch da finde ich, es ist ein Ausnahmejahr, und da muss man den | |
| Kolleg*innen ein wenig unter die Arme greifen. | |
| Was können Sie zu „Cortex“ sagen, dem Regiedebüt von Moritz Bleibtreu, das | |
| Sie dann ja doch als Weltpremiere im Programm haben? | |
| Moritz Bleibtreu hat da einen sehr stilsicheren Thriller gemacht, der | |
| fantastisch aussieht. Sehr beeindruckend für einen Debütanten der Regie | |
| führte, das Drehbuch geschrieben, produziert und die Hauptrolle gespielt | |
| hat. Wir sind froh, dass wir ihn zeigen dürfen, weil dies ein durch und | |
| durch in Hamburg produzierter und gedrehter Film ist. | |
| Ihr Abschlussfilm, [5][Chloé Zhaos „Nomadland“], hat gerade den Goldenen | |
| Löwen in Venedig gewonnen. Hatten Sie da eine gute Nase? | |
| Ja, das war ein wenig Glück, aber auch Treue und Glauben an eine | |
| Regisseurin: Von Chloé Zhao haben wir von ihrem ersten Film an alle | |
| gezeigt. Ich habe ihn im Juni gesehen und da wusste ich schon, dass das ein | |
| ganz großer Wurf ist. | |
| Haben Sie noch einen Geheimtipp? | |
| Es gibt ein wunderschönes Debüt aus Frankreich mit dem deutschen Titel | |
| „Frühling in Paris“: Die Regisseurin Suzanne Lindon ist 20 Jahre alt und | |
| spielt selber die Hauptrolle. Das ist eine kleine Perle. Da ist man als | |
| Festivaldirektor happy, wenn man so etwas entdecken kann. Ich finde ja | |
| grundsätzlich, dass es eine Hauptaufgabe von Filmfestivals ist, Debütfilme | |
| zu zeigen. Es ist ja ganz schön, die Meister zeigen zu dürfen. Aber unsere | |
| Kernkompetenz ist es doch, neue Talente zu finden und sie dem Publikum | |
| vorzustellen. | |
| 24 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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