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# taz.de -- Endlich Filmfestival trotz Corona: Das große Warten
> Monatelang musste die Filmindustrie wegen Corona ausharren. Wie fühlt es
> sich an, seinen Film nun endlich einem Kinopublikum zeigen zu dürfen?
Bild: Die Schauspielerin Cordula Zielonka in dem deutschen Thriller „Marlene�…
Irgendwie ist es symptomatisch. Als wir endlich auf dem Weg nach Oslo sind,
wo in einigen Tagen unser Film „Marlene“ Europapremiere haben wird, müssen
wir nach wenigen Kilometern wieder umdrehen. Ich habe meine EC-Karte
vergessen. Und genau so fühlt sich eben auch dieser gesamte
Filmfestival-Sommer an: Es ist ein einziges Losfahren, Anhalten und wieder
Umkehren.
Zunächst sollten die Festivals trotz Corona stattfinden. Dann begann die
große Absagewelle. Den Anfang machte die Musik-, Film- und
Techveranstaltung [1][SXSW in Austin] am 6. März. Ein gerade für
Independent-Filmemacher eminent wichtiges Festival, da viele Verleiher
anwesend sind, um sich die Filme anzuschauen und gegebenenfalls zu kaufen.
Zudem ist es ohne das Label, auf einem renommierten Festival gelaufen zu
sein, für viele Filmemacher schwierig bis unmöglich, überhaupt einen
Verleih zu finden, der ihren Film in die Kinos bringt.
Als Filmemacher steht man dann vor der schwierigen Entscheidung abzuwarten,
bis der Festivalbetrieb wieder Fahrt aufnimmt (wann wird das sein?). Oder
einfach weiterzumachen und auf kleineren, weniger bekannten Festivals
einzureichen, die in Ländern stattfinden, in denen das Coronavirus nicht so
heftig wütet.
## Die Vermarktungschancen schwinden
Diejenigen, die warten, müssen, sobald es weitergeht, mit sämtlichen Filmen
in Konkurrenz treten, die noch vor Corona gedreht wurden und in der
Zwischenzeit aus der Postproduktion gekommen sind. Diejenigen, die auf
kleineren Festivals einreichen, geben damit die Möglichkeit aus der Hand,
ihre Welt-, US- oder Europapremiere auf einem renommierteren Festival
erleben zu können, was wiederum ihre Vermarktungschancen schmälert.
„Marlene“, ein düsterer Psychothriller mit New-Hollywood-Referenzen, hat
mich die letzten fünf Jahre meines Lebens begleitet. 2015 habe ich Cordula,
die Hauptdarstellerin (und inzwischen meine Ehefrau), auf einem
Improvisations-Workshop in Berlin kennengelernt. Wir haben begonnen, an der
Hauptfigur Marlene zu arbeiten, ihre Biografie zu entwickeln, gemeinsam mit
anderen Schauspielern Szenen zu improvisieren.
Im Jahr 2016 habe ich das Drehbuch geschrieben über eine Frau, die nach
Berlin kommt, um ein neues Leben zu beginnen und die in die Fänge eines
Psychopathen gerät. Es folgten Casting, Finanzierung und das
Zusammenstellen der Crew. Zwischen Oktober 2017 und April 2018 haben wir
gedreht, für den Rest des Jahres geschnitten. Im Anschluss erfolgten noch
Audio-Postproduktion, Musik und Farbkorrektur. Ende 2019 war „Marlene“
fertig und wir begannen mit den Festivaleinreichungen.
## Investoren glauben nicht an deutsche Thriller
Wenn man wie wir ohne staatliche Fördermittel und Fernsehsenderbeteiligung
dreht und noch keinen Verleiher im Rücken hat, ist man auf
[2][Filmfestivals als Verkaufsplattform] angewiesen. In die Produktion von
deutschen Thrillern wie „Marlene“ will niemand investieren. Es wird, wie
mir die ehemalige Chefin eines wichtigen deutschen Verleihs einmal sagte,
einfach nicht davon ausgegangen, dass etwas Vernünftiges dabei herauskommt.
Zu Beginn des Jahres sah es kurz danach aus, als würde „Marlene“ auf
Slamdance laufen, jener Indie-Parallelveranstaltung zum berühmten
Sundance-Festival in Park City, Utah. Im letzten Moment erfolgte die Absage
– und das Warten begann. Anfang März dann endlich die langersehnte Zusage
aus Tallahassee für unsere Weltpremiere. Flüge und Airbnbs hatten wir
bereits herausgesucht (aber zum Glück noch nicht gebucht), als ein paar
Tage später die USA ihre Grenzen zu den Schengen-Staaten schlossen.
Im ersten Moment hatten Cordula und ich tatsächlich vor, mit dem Auto nach
Großbritannien zu fahren und von dort aus in die USA zu fliegen, was zu
diesem Zeitpunkt noch möglich war. Aus heutiger Sicht erscheint das naiv.
Doch damals gab es eben noch keinen Erwartungshorizont für all das, was
folgen würde.
Im Anschluss stürzte ich mich zunächst in neue Projekte, ich hatte ja
plötzlich Zeit. Schließlich jedoch kam die Erkenntnis, dass ich gedanklich
noch viel zu tief in „Marlene“ steckte, um tatsächlich mit etwas Neuem
beginnen zu können. Und so haben wir uns trotz aller Unwägbarkeiten dafür
entschieden, weiter auf Festivals einzureichen. Unter anderem auf einem
kleinen Genrefestival, dem Ravenheart-Filmfestival in Oslo, das nun
tatsächlich stattfindet.
## Seltsame irreale Gefühle
An der deutsch-dänischen Grenze werden sämtliche Fahrzeuge vor uns
herausgewinkt. Nur wir nicht. Ist das ein gutes Zeichen? Kurz darauf
erhalten wir eine SMS: Unsere Fähre nach Norwegen ist gecancelt. Schon
wieder dieses seltsam irreale Gefühl, niemals auf unserer
„Marlene“-Premiere anzukommen, das mich seit Tallahassee begleitet. Zum
Glück können wir am Abend auf ein früheres Schiff umbuchen und kommen
Freitagmorgen in Norwegen an.
Ein paar Tage vor Festivalbeginn treffe ich Aladdin, Adam und Kay, die das
Ravenheart-Festival organisieren, auf einen Kaffee. Das Festival findet in
der Cinemateket in Oslo statt, ein traditionsreiches Haus, „technisch das
beste in Norwegen“, wie Kay, der Kurator, stolz erzählt. An den Wänden
hängen Fotos von Ikonen der norwegischen Filmgeschichte: Liv Ullmann oder
Aase Bye. In einer Retrospektive läuft „American Psycho“ in 35 Millimetern.
Ravenheart ist eines der ganz wenigen Festivals, die in diesem Sommer nicht
nur online, sondern in Kinosälen stattfinden. Norwegen gehört zu den
europäischen Ländern, die, relativ gesehen, gut durch die Pandemie gekommen
sind. Die Fallzahlen halten sich konstant auf niedrigem Niveau.
Unter Auflagen konnten die Kinos im Sommer deshalb wieder den Betrieb
aufnehmen. Dennoch, erzählt mir Aladdin, habe es immer wieder Momente
gegeben, wo man befürchtet habe, das Festival absagen zu müssen.
## Belarus-Filmteam darf nicht nach Norwegen
Abgesehen von einer Handvoll lokaler Kurzfilm-Crews sind wir das einzige
Filmteam, das auf dem Festival zugegen ist. Norwegen hat ein strenges
Quarantänesystem. Die Einreise aus den USA, aus Kanada, Polen oder Panama –
dort kommen einige der anderen Filme her – ist schwierig und nur unter
strikten Auflagen möglich. Eine Filmcrew aus Belarus wurde aufgrund der
aktuellen politischen Lage nicht aus dem Land gelassen. Ein wenig
bedrückend ist das schon. Schließlich ist der Austausch mit anderen
Filmemachern wesentlicher Bestandteil einer jeden Festivalerfahrung.
Trotz Corona, trotz des herrlichen Spätsommerwetters haben sich am
Donnerstagabend knapp vierzig Menschen im Saal der Cinemateket versammelt,
um sich „Marlene“ anzusehen. Für Cordula und mich ist es eine großartige
Erfahrung, unseren Film endlich auf so großer Leinwand mit perfekt
abgemischtem 5.1 Surround-Kinosound zu erleben.
Zwar hatten wir zuvor schon ein paar Testscreenings im Kreuzberger
Moviemento-Kino. Doch hatten diese eben ohne Publikum und in deutlich
kleineren Sälen stattgefunden. Die anschließende Frage- und Antwortrunde
verläuft ebenfalls gut, den Zuschauern hat der Film gefallen.
## Cordula wird beste Darstellerin
Nachdem Cordula am Samstagabend auch noch der Preis für die beste
Darstellerin verliehen worden ist, fahren wir am Montag mit einem guten
Gefühl zurück Richtung Berlin.
Zum Glück geht es auch nach Oslo mit „Marlene“ weiter. Im September und
Oktober laufen wir auf mehreren Online-Festivals in den USA. Und so dankbar
wir auch darüber sind, dass diese Festivals nicht wie so viele andere
abgesagt worden sind: Ein wenig schwingt dennoch die Wehmut darüber mit,
dass „Marlene“ dort eben nicht, wie in Oslo, auf der großen Leinwand
gezeigt werden wird, sondern „nur“ auf dem Computerscreen.
5 Sep 2020
## LINKS
[1] /Zukunftslabor-SXSW-in-Austin/!5390435
[2] /Film-als-Ware-auf-der-Berlinale/!5380233
## AUTOREN
Andreas Resch
## TAGS
Film
Thriller
Filmfestival
Deutscher Film
Filmfestival
Schwerpunkt Coronavirus
Filmrezension
Black Lives Matter
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