| # taz.de -- Film als Ware auf der Berlinale: Gänzlich unsinnlich | |
| > Auf dem parallel zur Berlinale stattfindenden European Film Market suchen | |
| > mehr als siebenhundert Filme aus aller Welt Abnehmer. Ein Besuch. | |
| Bild: Ng’endo Mukii, Filmemacherin aus Kenya beim Africa Hub des European Fil… | |
| Es ist der erste Berlinale-Samstag, morgens um halb zehn. Im | |
| Martin-Gropius-Bau herrscht bereits emsige Betriebsamkeit. Auf einer von | |
| golden glänzenden korinthischen Säulenkapitellen umrandeten Freifläche, wo | |
| der man auf unbequemen Plastikstühlen Kaffee trinken kann, drängen sich die | |
| internationalen Gäste dicht an dicht. Weiter oben, ein Stockwerk höher, | |
| schwillt an den Ständen das Stimmengewirr zu einem massiven Dröhnen an. In | |
| seiner Hektik erinnert das Ganze an einen Bienenkorb. | |
| Ein paar Hundert Meter abseits des eigentlichen Festivals findet vom 9. bis | |
| 17. Februar der European Film Market (EFM) statt, eine internationale | |
| Verkaufsbörse im Rahmen der Berlinale: Produzenten suchen Koproduzenten | |
| oder Verleiher, die sich um die internationale Vermarktung ihrer Filme | |
| kümmern; diese wiederum fahnden nach geeignetem Material für ihre | |
| nationalen Märkte. | |
| 540 Unternehmen aus 66 Ländern sind in diesem Jahr vertreten, mehr als | |
| 9.400 Personen nehmen teil. Für insgesamt 729 Filme werden weltweit Käufer | |
| gesucht, 600 von ihnen werden in mehr als 1.000 Screenings gezeigt. Ein | |
| beinahe unmenschliches Pensum für all jene, die hier fündig werden wollen. | |
| Man muss sich den European Film Market als eine gänzlich unsinnliche | |
| Veranstaltung vorstellen. Abgesehen von den zahlreichen Trailern, die auf | |
| riesigen Flatscreens neben den dicht gedrängten Ständen der Produktionen | |
| und Verleiher laufen, findet Film hier vor allem in abstracto statt: in | |
| Form von Verkaufsgesprächen in kleinen weißen Boxen. Die Filmvorführungen | |
| selbst kann man mittels Shuttlebussen erreichen, die einen in eines der 40 | |
| über die ganze Stadt verteilten Film-Market-Kinos und -Hotels chauffieren. | |
| ## Skandinavische Ruhe | |
| Auf dem EFM erzählen die unterschiedlichen Stände oft auch etwas über die | |
| von ihnen repräsentierten Regionen und Kulturen. Die Skandinavier etwa, die | |
| an der Rückseite des Martin-Gropius-Baus nebeneinanderliegend situiert | |
| sind, verbreiten in ihrer Weitläufigkeit ein angenehmes Gefühl der Ruhe. | |
| Neben dem dänischen Stand steht ein Wasserspender – hygge heißt das | |
| Zauberwort. | |
| Ein regionaler Schwerpunkt in diesem Jahr ist Afrika. Im Berlinale Africa | |
| Hub finden während des gesamten EFM Panels und Diskussionsveranstaltungen | |
| zu Afrikathemen statt. Es geht um Fragen der Partizipation am globalen | |
| Filmdialog, um Drehmöglichkeiten in Kapstadt oder um afrikaspezifischen | |
| Content. Das Interesse ist groß, der Pavillon stets gut gefüllt. | |
| Aufgrund seiner engen Vernetzung mit der Berlinale sei der EFM, so Matthijs | |
| Wouter Knol, der 2014 die Leitung des EFM übernommen hat, ein Filmmarkt, | |
| der anders sei als andere. Dass viele der Filme, die hier zum Verkauf | |
| stünden, auch auf dem Festival gezeigt und also vor Publikum getestet | |
| würden, sei für potenzielle Käufer extrem wichtig. | |
| Auf Tendenzen auf dem diesjährigen Market angesprochen, hebt der | |
| Niederländer die wiederentdeckte Innovationskraft der Filmbranche hervor, | |
| die sich langsam aus dem Schatten etwa der Musikindustrie befreie und | |
| gerade dabei sei, neue Vertriebsmechanismen zu entwickeln. | |
| Während die US-Amerikaner mit ihren American Independents beinahe ein | |
| ganzes Stockwerk angemietet haben, sind viele der kleineren und | |
| mittelgroßen Nationen mit nur einem Stand vertreten. Doch gerade für sie | |
| ist der EFM ein wichtiger Ort der Vernetzung. Ruxandra Nae, eine | |
| sympathische dunkelhaarige Frau Ende 20, ist auf dem European Film Market | |
| Mittlerin zwischen rumänischen Filmen einerseits und Festivals, | |
| internationalen Verleihern und Koproduzenten andererseits. | |
| ## Die neue Welle von rumänischen Filmemachern | |
| Sie berichtet von dem „großen Interesse, das die neue Welle von rumänischen | |
| Filmemachern“ wie etwa Cristian Mungiu, dessen „Bacalaureat“ mit dem | |
| letztjährigen Regiepreis in Cannes ausgezeichnet wurde, oder Călin Peter | |
| Netzer, mit „Ana, mon amour“ im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb | |
| vertreten, seit einiger Zeit erweckten. Auch Amanda Boka, die die lettische | |
| Filmindustrie auf dem EFM repräsentiert, betont „die Bedeutung des Marktes | |
| hinsichtlich der Anbahnung zukünftiger Koproduktionen“. | |
| Boka steht mit ihren Kollegen von morgens um neun bis abends um sechs | |
| hinter ihrem kleinen Stand, zum Filmeschauen bleibt da keine Zeit. Für | |
| Horacio Urban hingegen, der einen spanischen Filmvertrieb führt, ist das | |
| Filmeschauen absolut Pflicht. Gerade wartet der weißhaarige Mann mit | |
| John-Lennon-Brille nervös auf einen lateinamerikanischen Produzenten, | |
| dessen Film er in einem Screening gesehen hat und den er jetzt unbedingt | |
| kaufen möchte. | |
| Auch Skurriles findet sich auf dem EFM en masse. So wirbt die lettische | |
| Firma Forma Pro Films mit „Cash-Rabatten von bis zu vierzig Prozent“. Bei | |
| ihnen, so heißt es auf anachronistisch anmutenden Transparenten im | |
| 80er-Jahre-Stil, „gebe es die günstigsten Drehbedingungen in ganz Europa“. | |
| Die Vertriebsfirma The Asylum wiederum bietet Ware mit grenzdebilen Titeln | |
| wie „Sharknado 5“ an. | |
| Großes Kino verspricht auch das Unternehmen Multivisionaire Pictures, das | |
| den Film „She Borg“ mit dem brillanten Slogan „Part Alien. Part Machine. | |
| Total Bitch“ bewirbt. Ein US-amerikanischer Verkaufsmensch rät zwei | |
| Chinesen, den ihnen vorliegenden Vertrag erst dann zu unterzeichnen, wenn | |
| sie ihn auch wirklich verstanden hätten. Ein guter Tipp. | |
| 13 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Resch | |
| ## TAGS | |
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| Schwerpunkt Berlinale | |
| Dokumentarfilm | |
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