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# taz.de -- Dokfilmmacher über die Haysom-Morde: „Vielleicht war's doch die …
> Der Film „Das Versprechen“ geht den Haysom-Morden in den USA nach. Ein
> Gespräch mit den Regisseuren Marcus Vetter und Karin Steinberger.
Bild: Jens Söring beim Interview im Buckingham Correctional Center, Virginia, …
Karin Steinbergers und Marcus Vetters Dokumentarfilm „Das Versprechen“
rollt die Geschichte des Deutschen Jens Söring auf, der seit mehr als drei
Jahrzehnten eine Haftstrafe wegen Mordes im US-Bundesstaat Virginia
absitzt. Der zum Tatzeitpunkt erst achtzehnjährige Hochbegabten-Stipendiat
hatte zunächst behauptet, die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth
Haysom am 30. März 1985 in deren Haus getötet zu haben. Später erklärte er,
es habe sich hierbei um eine Falschaussage gehandelt, um Haysom vor dem
elektrischen Stuhl zu bewahren. Weil Elizabeth Haysom weiterhin darauf
beharrte, Jens Söring habe die – von ihr lediglich angestiftete – Tat
begangen, wurde dieser trotz erheblicher Zweifel an seiner Schuld zu
zweimal „lebenslänglich“ verurteilt. Anhand von Interviews mit damals
Beteiligten, allen voran mit Jens Söring selbst, TV-Bildern aus dem
Gerichtssaal sowie zahlreichen ausgewerteten Dokumenten, darunter auch die
Liebesbriefe des 1986 in London festgenommenen und 1990 in die USA
überstellten einstigen Paares, erzählt „Das Versprechen“ eine beinahe sch…
überlebensgroße Geschichte von Liebe und Verrat, die einen nachhaltig
erschüttert.
taz: Frau Steinberger, Herr Vetter: Was war der Auslöser für Sie, diesen
Dokumentarfilm zu drehen?
Karin Steinberger: Ich bin ja Reporterin bei der Süddeutschen Zeitung und
habe 2005 einen Brief von einem Pfarrer bekommen, der mir schrieb, er
glaube, da sitze ein Deutscher unschuldig in einem US-Gefängnis. Dem
Schreiben war ein Brief von Jens Söring beigelegt, und so fingen wir an,
uns zu schreiben. 2006 bin ich dann das erste Mal zu ihm gefahren und habe
eine Seite Drei über ihn gemacht.
Wie ging es dann weiter?
Marcus Vetter: 2009 haben wir beide angefangen zusammenzuarbeiten, und
schon da erzählte Karin mir immer wieder von diesem Jens Söring. Und als
wir bald darauf in den USA einen Dokumentarfilm über die Finanzkrise
gemacht haben, hat Karin zu mir gesagt, …
Steinberger: … das ist nicht weit.
Vetter: Und dann sind wir da hingefahren und haben ein Interview mit Jens
Söring vereinbart. Einfach nur, um herauszufinden, ob er sich das
vorstellen kann. Das Interview hat vier Stunden gedauert.
Wie waren Ihre Eindrücke?
Vetter: Am Anfang hat er ganz schnell geredet.
Steinberger: Jens Söring redet ja immer um sein Leben, weil er weiß, er hat
nur einen begrenzten Zeitraum und die Geschichte ist eigentlich viel zu
kompliziert, um sie jemandem zu erklären.
Vetter: Jedenfalls waren wir danach unglaublich geflasht. Es war Winter,
wir sind zurückgefahren nach New York, und niemand hat gesprochen im Auto.
Wie sieht Jens Söring heute die damaligen Ereignisse?
Steinberger: Jens Söring sitzt seit dreißig Jahren und fast sechs Monaten
im Gefängnis. Und natürlich schwankt er immer wieder und denkt: Vielleicht
war's ja doch die große Liebe. Aber eigentlich überwiegt bei ihm das
Gefühl: Elizabeth Haysom hat mich benutzt, von Anfang an. Wie man das
überlebt, ist etwas, was wir uns immer wieder gefragt haben.
Hat Jens Söring den Film eigentlich gesehen?
Vetter: Karin hat sehr darum gekämpft.
Steinberger: Mithilfe eines Anwalts hat es dann letztendlich geklappt.
Wie war das für ihn?
Steinberger: Bei ihm kam da wahnsinnig viel hoch, denn an vieles erinnerte
er sich gar nicht mehr. Und vieles war ihm peinlich.
Vetter: Und trotzdem hat er alles so stehen lassen. In meinen Augen ist
Jens Söring ein grundehrlicher Mensch. Er versteckt nichts.
Ich würde dann jetzt mal unterstellen, dass Sie beide davon ausgehen, dass
Jens Söring die Morde nicht begangen hat. Oder täusche ich mich?
Steinberger: Ich weiß nicht, was in dieser Nacht passiert ist, obwohl ich
seit zehn Jahren an dem Fall dran bin. Für uns geht es mehr um die Frage:
Gibt es Zweifel an Jens Sörings Schuld? Und da muss man mittlerweile sagen:
ganz erhebliche und die werden immer größer.
Jens Sörings Anwältin Gail Marshall sagt im Film, die Ermordung zweier
angesehener Mitglieder der Society von Virginia durch die eigene Tochter
sei dermaßen unvorstellbar gewesen, dass man sich zwangsläufig nach einem
Schuldigen von außen habe umsehen müssen.
Steinberger: Es ist einfach schwer vorstellbar, dass eine Tochter ihre
Eltern auf derart bestialische Weise umbringt. Denn die beiden Leichen
sahen ja furchtbar aus: Die waren mehr oder weniger geköpft, die Luftröhren
durchgeschnitten.
Vetter: Ein Overkill.
Steinberger: Deswegen kam ja auch ein FBI-Agent zu der Überzeugung: Erstens
glaube er, dass es eine Frau war, die die Tat begangen hat. Zweitens glaube
er, dass sie der Familie nahestand. Und drittens konnte er sich vorstellen,
dass Drogen mit im Spiel waren. All das passte jedoch nicht in das Szenario
der Staatsanwaltschaft von Jens Söring als Einzeltäter.
Besonders beeindruckend an Ihrem Film sind die Gerichtsszenen. Die
nüchterne Art, wie Söring dort argumentiert, hat mich an Literatur, etwa an
Camus’ „Der Fremde“ erinnert. Ist ihm genau diese Rationalität zum
Verhängnis geworden?
Vetter: Wenn Elizabeth Haysom etwas sagt, selbst wenn sie ihn beschuldigt:
Jens verzieht keine Miene. Und ich glaube, er tut das deshalb nicht, weil
er denkt, es wäre unfair, wenn er darauf reagieren würde. Und sie ist ja
das genaue Gegenteil. Sie spricht mit all ihrer Verführung.
Steinberger: Jens Söring ist ein control freak, der versucht, alles im
Griff zu haben, und das ist voll gegen ihn geschlagen in diesem Prozess,
der ja ein riesengroßer Prozess war in Virginia und für viele Anwesende der
Höhepunkt ihrer Karriere. Deswegen ist es ja für viele auch so wichtig,
dass Jens da bleibt, wo er ist.
Vetter: Weil er, so die Argumentation, diese beiden Menschen aus Virginia
umgebracht hat, muss er auch in Virginia sterben.
Was spricht neben den bereits genannten Gründen gegen Sörings Täterschaft?
Steinberger: Laut der DNA-Analyse von 2009 konnte keine der 42 Spuren vom
Tatort Jens Söring zugeordnet werden. Und jetzt gerade wurde vom
gerichtsmedizinischen Institut Virginias bestätigt, dass das Blut der
Blutgruppe 0, das ja immer Jens zugerechnet wurde, von einem anderen Mann
stammt.
Vetter: Es war also ein anderer Mann vor Ort und hat Blut verloren.
Steinberger: Und das soll mir mal jemand erklären, wie das geht. Jens
Söring wurde ja als Einzeltäter verurteilt.
Vetter: Die Geschichte stimmt nicht mehr, aber trotzdem gibt es keine
Möglichkeit, den Fall wieder aufzurollen.
Wieso das denn?
Steinberger: 2009 wäre die letzte Möglichkeit gewesen, wegen der
DNA-Analyse noch einmal vor Gericht zu gehen. Das hat Jens Söring damals
tragischerweise nicht gemacht, weil er zu diesem Zeitpunkt davon ausging,
dass Tim Kaine, der scheidende Gouverneur von Virginia (und heutige
Vizepräsidentschaftskandidat von Hillary Clinton, Anm. d. Red.) eine
Haftüberstellung nach Deutschland ermöglichen würde, was dann jedoch vom
nachfolgenden republikanischen Gouverneur gestoppt wurde.
Vetter: Eine Verkettung tragischer Umstände.
Gibt es überhaupt noch eine juristische Möglichkeit für Jens Söring, jemals
wieder freizukommen?
Steinberger: Juristisch nein. Politisch ja.
Vetter: Es gibt aber immer wieder Bewährungsgespräche.
Steinberger: Aber Bewährung wird eher schwieriger. Jens Söring hat ja jetzt
in einer Petition an den Gouverneur auf Unschuld plädiert.
Und was ist mit Haftüberstellung nach Deutschland?
Steinberger: Haftüberstellung ist momentan nicht in Sicht.
Stehen Sie weiterhin in Kontakt mit Jens Söring?
Vetter: Jens ist schon lange Teil von Karins Leben und jetzt ist er auch
Teil meines Lebens geworden.
Steinberger: Man kann nicht jahrelang über einen Menschen berichten und
dann plötzlich aufhören. Das wäre ja fast schon unmoralisch.
27 Oct 2016
## AUTOREN
Andreas Resch
## TAGS
Dokumentarfilm
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Perspektive Deutsches Kino
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Dokumentarfilm
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