| # taz.de -- Malerei in Berlin: Wie Farbe berührt | |
| > Die von Jurriaan Benschop kuratierte Ausstellung „A Matter of Touch“ in | |
| > Mitte zeigt, wie haptisch das Sehen sein kann. Die taz sprach mit dem | |
| > Kurator. | |
| Bild: Arbeiten von Rubica von Streng und Adrienne Elyse Meyers (hinterer Raum) | |
| Die Erkenntnis, dass das Sehen ein äußerst haptisches Wahrnehmungserlebnis | |
| ist, scheint nach wie vor unter jahrhundertealten Sedimenten der | |
| Körper-Geist-Trennung verschüttet. Dass der optische Apparat mit Ratio in | |
| Verbindung gebracht wird, so als sei den anderen Sinnen kein entscheidendes | |
| Erfahrungswissen abzugewinnen, führt als hartnäckige Idee nicht nur in die | |
| Untiefen einer eurozentrischen Erkenntnislehre, sie lässt ganze Momente der | |
| Berührung außer Acht, die von visueller Kunst – und insbesondere der | |
| Malerei – ausgehen. | |
| Die Materialität von Gemälden ist dabei nicht nur eine Frage von Impasto | |
| oder der Nachempfindung der künstlerischen Aktivität. Auch die Spuren | |
| vorangegangener Kontakte zwischen Untergrund und Malfarbe selbst machen | |
| sich körperlich spürbar. Die von [1][Jurriaan Benschop] kuratierte | |
| Gruppenausstellung „A Matter of Touch: Malerei aus Europa und den USA“ im | |
| [2][Kunst- und Projekthaus Torstraße 111] scheint diese freie Sicht auf die | |
| Verbindungen, die wir mit Malerei eingehen können, zu teilen. | |
| Gezeigt werden Arbeiten von Nikos Aslanidis, Thomas Brüggemann, Michelle | |
| Jezierski, [3][Joseph Kameen], Kiki Kolympari, Adrienne Elyse Meyers, Grit | |
| Richter und Rubica von Streng. Leztere ist eine junge Künstlerin, die es in | |
| Zukunft zu beobachten lohnt. Zu sehen wie [4][Von Strengs] verdünnte | |
| Ölfarbe ihre Bahnen zieht, von der Leinwand absorbiert wird, und sich ohne | |
| vorbestimmtes Bild zu rot-weichen Formationen türmt, ist eine der vielen | |
| schönen Begegnungen, die in dieser Ausstellung möglich sind. | |
| Im Nebenraum kitzelt [5][Kiki Kolymparis] Gemälde „The Exterior“ (2017) die | |
| Magengrube: eine Akrylfläche wird dicht von einem schemenhaften | |
| Metallelement zusammen geklammert. Ebenso heftig wirkt die gesättigte graue | |
| Linie, die das Bild in einen monochromen und einen von Malbewegungen | |
| übersähten Bereich unterteilt. | |
| ## Um die Ecke der Malerei | |
| Für Kurator Jurriaan Benschop begann die Idee zur Ausstellung zunächst mit | |
| der Frage des Lichts. Neben Neon-Meisterin [6][Grit Richter] wählte er auch | |
| weitere Positionen aus, denen ein besonderes Spiel mit Helligkeit und | |
| Dunkelheit zu Eigen ist. Überraschend zum Beispiel, welch düsteren Grün- | |
| und Brauntöne [7][Michelle Jezierskis] „Every Last Bit“ (2018) überziehen. | |
| Ein kleinformatiges Bild im Vergleich zu ihren üblicher Weise eher | |
| menschengroßen Gemälden, über die sich bunte Panele oder sonstwie | |
| geometrisch geartete Raster ziehen, gut zu sehen auf der neuen Arbeit | |
| „Ignite“ (2020). Die dunklen Öl- und Akrylschichten auf „Every Last Bit�… | |
| hingegen sind in organischen Bewegungen aus dem Unterarm geflossen, so | |
| bestimmt finden sie zu einer nächtlichen Abstraktion zusammen. | |
| Schier mitgerissen wird das Auge von den Fluten, die auf dem nur 25 x 35 cm | |
| großen Ölbild „Grube“ (2001-2) von [8][Thomas Brüggemann] den Blick in d… | |
| Tiefe hinab ziehen und gleichzeitig aus allen Richtungen unterspült. | |
| Doch noch einmal zurück zum Licht, der ultimativen Berührung, die Farben | |
| erst sehbar macht: Die Hängung der Ausstellung zieht sich über drei Räume | |
| und Benschop gelingen dabei immer wieder visuelle Bezüge auch zwischen der | |
| Arbeiten veschiedener Künstlerinnen. Das Farbgefühl, dass bei Jezierski so | |
| anziehend ins Schwarz-Grüne lockt, findet sich auch über den Hof hinweg in | |
| den deutlich figürlicheren Ölarbeiten „Fighting“ (2019-20) und „The Bea… | |
| (2013-2020) von [9][Nikos Aslanidis]' wieder, bei dem die Figuren mal von | |
| der Farbe gehalten, mal von ihr auseinandergerissen werden. | |
| Mit diesen werkübergreifenden Verbindungen schaut Benschop mit seiner | |
| Ausstellung also immer wieder um die Ecke der Malerie, wie es auch | |
| [10][Adrienne Elyse Meyers] so wunderbar auf „Persistence“ (2018) mit Öl | |
| und Haushaltsfarbe auf kleinstem Raum gelingt. | |
| ## Einblick (817): Jurriaan Benschop, Autor und Ausstellungsmacher | |
| Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und | |
| warum? | |
| Bei Galerie Born zeigt der Amerikaner und Wahlberliner Michael Markwick was | |
| er vor und während des Lockdowns gemalt hat. Seine Bilder scheinen von Tod | |
| und Bedrängnis zu wissen, aber wirken gleichzeitig delikat, licht und | |
| attraktiv. Ich fand beeindruckend wie generös die Gemälde sind und ohne | |
| direkte Hinweise sehr gut zu der jetzigen Zeit und Stimmung passen. | |
| Welche Kulturveranstaltungen oder -formate empfiehlst Du in Zeiten der | |
| Pandemie? | |
| Die Pandemie erlaubt uns nur in kleineren Verbänden zusammen zu kommen. Für | |
| Kunstausstellungen muss dass kein Nachteil sein. Gespräche und Führungen in | |
| kleiner Runde wirken anregend und ermöglichen eine andere Art von | |
| Teilnahme. Da liegen Chancen für neue Akzente, weg von 'immer größer’ und | |
| Eventkultur. | |
| Welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag? | |
| In der London Review of Books kann ich über unsere heutige Welt lesen, ohne | |
| den Mut zu verlieren. Das hat mit Distanz zu den Tagesthemen zu tun und mit | |
| der Bemühung, Kontext zu finden. Im Urlaub habe ich zuletzt Rachel Cusks | |
| „Outline“ gelesen. Ihre Hauptfigur beobachtet Menschen präzise und | |
| messerscharf in ihrem Sprachduktus und ihren Eigenartigkeiten, aber ohne zu | |
| bewerten. Das wirkt befreiend. | |
| Was ist dein nächstes Projekt? | |
| Ich arbeite an einem neuen Buch, „Why Painting Works“, worin ich die Frage | |
| angehe, wie man in der bunten Vielfalt der zeitgenössischen Malerei | |
| navigieren kann. Paradox ist, dass es in der Malerei nicht nur darum geht, | |
| was man sehen kann, sondern auch um Haltung und Verborgenes. Da wird es für | |
| einen Autor interessant. | |
| Welcher Gegenstand des Alltags macht dir am meisten Freude? | |
| Ich habe neulich einen neuen Füller gekauft, mit Goldfeder. Die schreibt so | |
| weich und fein, das bringt mir täglich Freude. Ich habe gute Hoffnung, dass | |
| jetzt die Gedanken auch besser fliesen. | |
| 26 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.jurriaanbenschop.com/ | |
| [2] http://torstrasse111.de/ | |
| [3] https://josephkameen.com/ | |
| [4] https://www.rubicavonstreng.com/ | |
| [5] https://kikikolympari.wixsite.com/kikikolympari | |
| [6] https://gritrichter.com/ | |
| [7] https://www.michellejezierski.com/ | |
| [8] http://www.thomasbrueggemann.de/ | |
| [9] http://www.nikos-aslanidis.com/ | |
| [10] https://www.adrienneelyse.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Noemi Molitor | |
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