# taz.de -- Ausstellungsempfehlung für Berlin: Der Farbe wegen | |
> „The Sound of Color“ in der Galerie M + R Fricke in Moabit verbindet | |
> frühe Recherchen zur Farbwahrnehmung mit zeitgenössischen Positionen. | |
Bild: „The Sound of Color“, Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Julie Oppe… | |
Die aufgeschlagene Doppelseite zu Henry Flynts „Innperseqs Diagram“ in „An | |
Anthology of Chance Operations“ (2. Aufl., 1970), die in der Ausstellung | |
„The Sound of Color“ in der [1][Galerie M + R Fricke] in einer Vitrine | |
ausliegt, ist in warmem Orange gehalten. Auf der linken Seite ist Flynts | |
„inner endpoint super sequence“, für die das Akronym steht, gerahmt von | |
darunter liegenden blauen Seiten, das Komplementäre sanft abgefedert durch | |
einen Streifen Grau, der das Orange unmittelbar säumt. | |
Die Farbgebung in der von La Monte Young, Jackson Mac Low und George | |
Maciunas herausgegebenen Anthologie zeugt von einer Sensibilität für die | |
[2][Beziehung von Farbwahrnehmung und anderen Sinnen], die auch | |
beispielhaft für den Ansatz des von Hans-Jürgen Hafner kuratierten | |
Ausstellungsprojekts ist. | |
Zu Grunde liegt der Ausstellung, die kunsthistorischen Beispielen der | |
Farblehre in Verbindung mit künstlerischen Versuchen synästhetischer | |
Systematisierung auf den Grund geht, eine Hinwendung zur Farbe der Farbe | |
wegen. | |
Der Kalatog zur Ausstellung, der [3][zum freien Download] zur Verfügung | |
steht, fungiert hier neben ausgestellten Publikationen als Archiv dieser | |
Spurensuche. So ist zu erfahren, dass Flynt mathematische Axiome für eine | |
Farb-Partitur vorschlug, die jedoch sofort wieder durch performative | |
Anweisungen gebrochen wurden: nur ein „gekrümmtes, dickes Brillenglas, das | |
feucht beschlagen sein muss“, durch das man wiederum in eine Lichtquelle | |
schauen soll, ermöglicht das beabsichtigte Farberleben für kürzeste Zeit – | |
es bleibt ephemer und unwiederholbar. | |
Beeindruckend auch Raoul Hausmanns erweiterte Pläne für das Patent für sein | |
„Optophon“, an dem er seit Mitte der 1920er arbeitete. Der | |
„Experimentator“, wie Hafner denn Dada-Künstler nennt, konzipierte den | |
Apparat als einen Sinneswandler, der Licht in Ton konvertiert. Zunächst als | |
nutzlos abgelehnt, konnte Hausmann gemeinsam mit dem Ingenieur Daniel | |
Broido die Pläne, wie hier gezeigt, weiterentwickeln und sich 1936 im Exil | |
das Patent sichern. Sein Erbe würde kinetisch arbeitende Künstler:innen | |
wie [4][Peter Keene] noch lange beschäftigen. | |
## Farbe auf komprimiertem Raum | |
In der Ausstellung treten solch frühere Überlegungen von Akteuren wie | |
Flynt, Hausmann und Josef Albers mit zeitgenössischen Positionen von Ann | |
Veronica Janssens, Julie Oppermann, Jenny Perlin und Heimo Zobernig in | |
Beziehung. | |
Im ersten Raum hängt an der rechten Wand eine Doppeltafel aus Josef Albers' | |
„Interaction of Color“. Dem großformatigen Schuber im Leineneinband, der | |
1963 im Verlag der Yale University erschien, lagen neben dem Textteil diese | |
Schautafeln bei, die sich entnehmen und auffalten ließen. Wie viel | |
anschaulicher und haptischer das im Vergleich zum später erschienen | |
kompakten Taschenbuchformat war (2013 brachte die Yale University Press | |
noch einmal eine 50th Anniversary Edition heraus), dessen wird man sich in | |
der Ausstellung sofort gewahr, waren doch einige der Tafel reliefartig | |
designed, so dass sich das schräg aufgesetzte Lila noch einmal doppelt vom | |
darunter liegenden Schwarz, Orange, Weiß und Helllila abhebt. | |
Umgekehrt hat aber auch die Reduzierung der Dimension interessante Effekte. | |
Die sonst so raumgreifend und immersiv arbeitende Ann Veronica Janssens hat | |
hier den Farbraum in einen 4:3-Monitor verlegt, auf dem sie die eigentlich | |
als wandfüllende Projektion beabsichtigte Videoarbeit „Scrub Colour II“ | |
(2002, 5:30 min.) zeigt. In diesem konzentrierten Bildraum übersteigen sich | |
die in Farbkontrasten angelegten Rechtecke noch intensiver und schneller. | |
Mit Überreizung der Retina spielt auch Julie Oppermann auf ihren beiden | |
großformatigen Gemälden „moire 1107“ und „moire 1101“ (beide von 2011… | |
denen die Farbverläufe derart changieren, dass das Auge schwimmt. Sie | |
überträgt Farbverläufe aus dem digitalen RGB-Spektrum händisch in akribisch | |
angeordnete Acrylfarben. Der „Lost in Translation“-Effekt, der sich in der | |
Übersetzung von digitalen Farben, die am durchleuchteten Bildschirm gut | |
sichtbar sind, in analogen CMYK-Druck – oder eben in Acrylfarbe – | |
einstellt, deutet sich im Katalog als Konflikt der Farblehre an, in der | |
positivistischen Formel niemals ausreichen können, um subjektiver | |
Farbwahrnehmung gerecht zu werden. Am schwersten tun sich Drucker übrigens | |
mit der Übetragung von digital generiertem durchsättigtem Rot. Bei | |
Oppermann, die auf „moire 1101“ Rot geradezu zentralisiert, ist das | |
Resultat jedoch ein willkommenes, berauschendes Eintauchen. | |
4 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.galeriefricke.de/ | |
[2] /Archiv-Suche/!358140&s=noemi+molitor&SuchRahmen=Print/ | |
[3] https://www.galeriefricke.de/news/210607_Katalog_TheSoundOfColour.pdf | |
[4] http://www.peter-keene.com/Optophones.html | |
## AUTOREN | |
Noemi Molitor | |
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