# taz.de -- Feministische Blicke auf Berlin: Glücklicher und weiblicher | |
> Wie könnte eine nichtsexistische Stadt aussehen? Darum geht es in der | |
> Ausstellung „Eine feministische Perspektive für Berlin heute!“. | |
Bild: Dorothea Nold, „Mont Fermott“ (Detail). Er könnte über das Humboldt… | |
Was wäre, wenn? Was wäre, wenn sich mitten in Berlin aus der Asphaltebene | |
plötzlich ein pflanzenbewachsener Hügel erheben würde, von Ranken | |
umwuchert, mit Rosensträuchern bedeckt, von Palmen bekrönt – eine riesige | |
grüne fruchtbare Brust? | |
Diese Brust, sie würde weit über die starre Traufhöhe der Stadt | |
hinausragen, über die sandsteinernen Kisten von Zeughaus und Dom, jede für | |
sich Bollwerk der Monarchie, des Preußentums, eines patriarchalen Gestern. | |
Man würde unter ihren Schlingpflanzen noch den künstlichen Stuck des | |
rekonstruierten und bereits zerfallenen Stadtschlosses erkennen. In ihrem | |
Inneren würde gewohnt, gemeinschaftlich, kooperativ und bezahlbar. An ihrem | |
Äußeren erholte man sich von Staub und Straßenlärm. | |
Was wäre das zerfallene Berliner Stadtschloss als Stadtdutte, als | |
feministischer Trümmerberg? Es wäre eine Antwort auf das heutige Fehldenken | |
in der Stadt. Es wäre ein gemeinschaftliches, ökologisches und ästhetisches | |
Gegenmodell zu der noch immer kolonialen, elitären und rückwärtsgewandten | |
Bebauung Berlins. | |
Schon 2025, so spekuliert die Künstlerin Dorothea Nold, könnte dieser Mount | |
Fermott [1][an der Stelle des Humboldt Forums] emporwuchern. Und Berlin | |
könnte ein bisschen glücklicher und ein bisschen weiblicher sein. | |
Spekulative Visionen | |
Könnte. Denn in der Ausstellung „Eine feministische Perspektive für Berlin | |
heute! Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?“ bei alpha nova & | |
galerie futura kann trotz Ausrufezeichen und „heute“ im Titel zunächst nur | |
spekuliert werden. | |
Spekulation aber ist für die Künstler:innen dieser kleinen und | |
konzentrierten Ausstellung ein emanzipatorisches Instrument und ein | |
Wirklichkeitsfühler: Feilschend schauen sie hier in sechs Arbeiten auf die | |
Stadt Berlin. Stellen sich vor, was in ihren Straßen sein könnte, und | |
zeigen im gleichen Zuge auf, was in ebendiesen Straßen jetzt fehlt, wenn | |
nicht sogar kräftig schiefläuft. | |
Dass in Berlins jüngerer Geschichte etwas kräftig schiefgelaufen ist, | |
vermerkt Ina Wudke in ihrer simplen wie scharfsinnigen Installation | |
„Clara-Zetkin-Allee“. Wudke stellt ein gewöhnliches Straßenschild mit dem | |
Namen der Friedensaktivistin, Kommunistin und 1920 ersten gewählten Frau in | |
einem deutschen Parlament in die Galerie. In Berlin gibt es eine solche | |
Straße nicht. | |
Hat es aber mal gegeben, in der heutigen Dorotheenstraße. Kanzler Helmut | |
Kohl wollte auf der Adresse des neuen Bundestags nicht den Namen einer | |
Kommunistin sehen und [2][ließ die Clara-Zetkin-Straße unter Missachtung | |
der üblichen Amtswege nach der Kurfürstin Dorothea umbenennen]. Jetzt | |
wartet Ina Wudkes Schild der Clara-Zetkin-Allee auf seinen Einsatz. | |
Orte der Bedrohung | |
Überhaupt die Straße, sich in ihr frei bewegen zu können, ist ein Privileg. | |
Denn der öffentliche Raum ist für viele Frauen, LGBTIQ*, Migrantinnen oder | |
People of Color auch Ort der Bedrohung. In ihrer sensiblen | |
Soundinstallation „Sonic Body Map“ durchläuft Banu Çiçek Tülü die Berl… | |
Orte, an denen sie als Frau diese Bedrohung selbst erfahren hat. | |
Die verbalen Angriffe hört man auf ihren Fieldaufnahmen nicht, aber Puls | |
und Herzschlag der Bedrängten dringen durch die üblichen Stadtgeräusche | |
hindurch. Eine unsichtbare körperliche Reaktion wird nachspürbar – und sie | |
ist heftig. | |
„Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?“, fragte sich auch die | |
US-amerikanische Stadthistorikerin und Architektin Dolores Hayden 1981 in | |
einem Aufsatz, der theoretische Grundlage dieser Ausstellung ist. Sie müsse | |
„in ihrer architektonischen Gestaltung und ökonomischen Organisation | |
traditionelle Vorstellungen von Nachbarschaft, Wohnen und Arbeiten | |
überwinden“. | |
Männer wie Frauen sollten „gleichermaßen in die unbezahlten Tätigkeiten von | |
Hausarbeit und Kindererziehung einbezogen werden“ und die „sozial-räumliche | |
Segregation von Klassen, ‚Race‘ und Altersgruppen“ solle beendet werden. | |
Dichtes Fürsorgenetz | |
In der kartografischen Installation fem*MAP BERLIN – das Ergebnis eines | |
Rechercheseminars an der TU Berlin – sind Haydens Gedanken auf den Berliner | |
Stadtplan überführt. Eine Care-Insel im Wedding, auf der sich selbst | |
organisierte und institutionelle Care-Arbeit zu einem dichten Fürsorgenetz | |
verknüpft. | |
Oder Schnellfahrradwege anstelle von Autostraßen, ein nachts belebter | |
Tiergarten und ganze Viertel gemeinschaftlichen und bezahlbaren Wohnens | |
bilden ein feministisches Berlin für die Zukunft. Eine spekulative Vision, | |
die als tatsächlicher Stadtplan an der Wand schon einen Anflug von Realität | |
erhält. | |
„Millionen wütender und aufgebrachter Frauen“, schreibt Dolores Hayden in | |
ihrem Aufsatz, seien in den 1950er Jahren im eigenen suburbanen Heim mit | |
Beruhigungspillen behandelt worden. Eine Arzneimittelfirma habe solche | |
Pillen sogar mit dem Slogan umworben: „Sie können ihre Umgebung nicht | |
ändern, aber ihre Laune.“ | |
Umgekehrt hält es alpha nova & galerie futura mit dieser Ausstellung. Frei | |
übersetzt: „In unseren Köpfen können wir die Umgebung ändern, dann klappt… | |
auch mit der Laune.“ | |
1 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-um-das-Berliner-Stadtschloss/!5707717 | |
[2] /Frauentag-in-Berlin/!5125281 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Kunst Berlin | |
Feminismus | |
Stadtplanung | |
Bildende Kunst | |
taz Plan | |
taz Plan | |
Diskriminierung | |
Kunst Berlin | |
taz Plan | |
Berliner Galerien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Feministische Kunst in München: Bitte nicht berühren | |
Eine Ausstellung im Münchner Lenbachhaus zeigt emanzipatorische Kunst. Sie | |
reicht von den 1950er Jahren bis zur Post-Porn-Kunst. | |
Ausstellungsempfehlung für Berlin: Que(e)r durch die Kunstgeschichte | |
Im Lockdown dürfen die Berliner Galerien offen bleiben. Sehr sehenswert ist | |
derzeit die feministische Kunst von Nadira Husain und Zoë Claire Miller. | |
Kunsttipps für Berlin: Wach machende Irritationen | |
Von Selbstbespiegelungen bis zu Luxusgeschöpfen: Zur Berlin Art Week und | |
dem Gallery Weekend gibt es ein volles Veranstaltungsprogramm. | |
Diskriminierung von LGBTIQ: Armutszeugnis für uns alle | |
Eine Studie zeigt, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz immer noch ein | |
großes Problem ist. Es braucht Veränderung – für beiden Seiten. | |
Das Kunstwochenende: Mit Luft und Ruhe | |
Kunst vor Schluß: Noemi Molitor empfiehlt was es sich noch schnell | |
anzuschauen lohnt und Events, die exklusiv dieses Wochenende stattfinden. | |
Malerei in Berlin: Wie Farbe berührt | |
Die von Jurriaan Benschop kuratierte Ausstellung „A Matter of Touch“ in | |
Mitte zeigt, wie haptisch das Sehen sein kann. Die taz sprach mit dem | |
Kurator. | |
Kunst in Berlin: Kupferrote Gemütszustände | |
Sentimentale Titel, melancholische Reue: Sophie Jung empfiehlt Kunst im | |
öffentlichen Raum und einen Gang durch die Berliner Galerie. |