# taz.de -- Kunsttipps für Berlin: Wach machende Irritationen | |
> Von Selbstbespiegelungen bis zu Luxusgeschöpfen: Zur Berlin Art Week und | |
> dem Gallery Weekend gibt es ein volles Veranstaltungsprogramm. | |
Bild: Sol Calero, „Se empeñaban en tapar las grietas pero las paredes seguí… | |
Sauer Eingelegtes zu georgischen Trinkzeremonien in einer Moabiter Bar von | |
Slavs and Tatars, Nacktportraits mit Haustier und Zimmerpflanze in einem | |
„Akt-Zelt“ von Zoë Claire Miller oder sprachliche Selbstbespiegelungen mit | |
Papageien im Loop von Ute Waldhausen. | |
In dieser Woche spielt sich die bildende Kunst an den Rändern ihres Genres | |
ab. Es ist Berlin Art Week und Gallery Weekend zugleich und zum | |
vollgepackten Veranstaltungsprogramm gehört, dass die Grenzen etwas | |
geweitet werden und auch das Publikum selbst, die Stadt oder gleich andere | |
Spezies zum Gegenstand der Kunst vorrücken können. | |
Im Werkhof L.57 kehrt man für die Berlin Art Week dann zu einem eher | |
klassischen Kunstbegriff zurück. In der ehemaligen Militärschneiderei | |
öffnen Karin Sander, Via Lewandowsky, Regina Schmeken, Jo Schöpfer und | |
Konstantin Grcic ihre Ateliers und der Sammler Ivo Wessel sowie das | |
Architekturbüro Sauerbruch & Hutton ihre Räumlichkeiten. | |
Ein ganzer Werdegang von Kunstobjekten wird sich an diesem Ort in Moabit | |
verdichten: von ihrer Entstehung im Atelier, zu ihrer öffentlichen | |
Ausstellung und schließlich ihrer Inbesitznahme in einer Privatsammlung – | |
mit musikalischer Begleitung vom Ensemble Mosaik. | |
Mehdi Chouakri ist mit seiner Galerie einer der Pioniere im Berlin der | |
Nachwendezeit, die Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury gehörte schon früh zu | |
seinem Programm. Ihre Kunst ist eine schicke Welt aus Luxusobjekten und | |
Luxusgeschöpfen, in die sie auch einen Avatar ihrer selbst setzt. | |
Unter dem Titel „SHAME“ wird Fleury zum Gallery Weekend gleich beide Räume | |
von Chouakri an der Mommsenstraße und am Fasanenplatz bespielen und dabei | |
zwischen Glitzerstiefeletten, Felljacken, anderen Kunstobjekten männlicher | |
Autorschaft und Autofragmenten die Rollen der Geschlechter demontieren. | |
Abseits von fame und fanciness der Kunstwoche aber trotzdem eindringlich, | |
ist die Installation „features – 10 Sichten auf Berlin“ in der | |
Nikolaikirche. Einerseits Fremdkörper, andererseits eingebettet in die | |
Kirchenarchitektur spannen sich die mehr als vier Meter langen Friese von | |
zehn in Berlin lebenden Künstler:innen zwischen die Säulen des | |
mittelalterlichen Baus. | |
Und wie dann Thomas Kilppers in Holzschnitz gefasster Gedenkaufruf an die | |
Opfer rechter Gewalt aus der Verstaubtheit des Ortes hinausragt, wie Sol | |
Caleros klischeehaft bunte Bananenlandschaft dem Schulterblatt eines Wals – | |
ein kurioses Artefakt der Berliner Stadtgeschichte – gegenübertritt oder | |
wie einem gleich nach dem Epitaph eines barock-gelockten Apothekers aus | |
Nadira Husains Moghul-Comic-Malerei ein „Yalla Yalla Antifascist!“ | |
entgegenspringt, da tut die Kunst etwas, das sie auch an anderen Stellen | |
der Art Week tun sollte: Sie irritiert, sie macht wach, sie lässt anders | |
denken. | |
10 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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