# taz.de -- Ökonom zu Lieferkettengesetz: „Das ist eine Frage des Anstands“ | |
> Das Lieferkettengesetz soll Menschenrechte sichern – und überfordert | |
> weder Mittelstand noch Exporteure, sagt der Wirtschaftsweise Achim | |
> Truger. | |
Bild: Mit den Menschenrechten alles in Ordnung? In einer Coltanmine im Kongo | |
taz: Herr Truger, Schokolade, Smartphones und andere Produkte, die | |
hierzulande verkauft werden, sollen eine Menschenrechtsgarantie bekommen. | |
Deutsche Unternehmen müssen vernünftige Bedingungen für die Beschäftigten | |
im Ausland gewährleisten. [1][Schadet das der deutschen Wirtschaft?] | |
Achim Truger: Zunächst einmal ist das eine Frage von Anstand und | |
Gerechtigkeit. Unsere Konsumgüter sollten nicht unter der Verletzung von | |
Menschenrechten hergestellt werden. Das hat der internationale | |
Arbeitgeberverband, deren Mitglied auch der deutsche Arbeitgeberverband | |
ist, 2011 auch schon zugesichert. Allerdings setzen 80 Prozent der | |
deutschen Firmen diese Selbstverpflichtung bisher nicht um. [2][Deshalb ist | |
es nachvollziehbar, dass die Regierung nun ein Gesetz schreibt.] | |
Mit dem Lieferkettengesetz wollen Entwicklungsminister Gerd Müller und | |
Arbeitsminister Hubertus Heil hiesige Unternehmen zur Überprüfung ihrer | |
ausländischen Zulieferer verpflichten. Verursacht das tatsächlich | |
erhebliche Kosten, wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagt? | |
Diese Ausgaben müssten die Unternehmen ohnehin tragen, würden sie ihre | |
Selbstverpflichtung einhalten. Im Übrigen muss man auch den Imagegewinn für | |
die Unternehmen auf der Nutzenseite einbeziehen. | |
Die deutschen Firmen müssen Expert:innen einstellen, die nach Asien und | |
Afrika reisen, um vor Ort den Brandschutz und anderes zu überwachen. Das | |
kostet doch! | |
Das kommt vor allem auf die Ausgestaltung an. Es geht darum, | |
Managementverfahren einzurichten und die wesentlichen Risiken zu | |
identifizieren und zu begrenzen. Das verursacht keine gigantischen Kosten. | |
Eine Studie für die EU-Kommission schätzt die Ausgaben für die relevanten | |
Unternehmen auf weniger als 0,01 Prozent des Umsatzes. | |
Die neuen Regeln sollen auch für größere Mittelständler gelten. Diese haben | |
gar nicht so ein großes Management, müssten aber teilweise Dutzende oder | |
gar Hunderte Produzenten von Vorprodukten kontrollieren. | |
Deutsche Mittelständler sind bereits heute in der Lage, ihre Zulieferketten | |
sehr gut zu organisieren. Sonst wären sie nicht so erfolgreich. Und wer | |
eine hervorragende Qualität seiner Produkte in technischer Hinsicht | |
garantiert, wird auch dazu in der Lage sein, wenn es um Löhne, | |
Arbeitszeiten und Brandschutz bei den wesentlichen Zulieferern geht. | |
Das vergleichbare französische Gesetz umfasst nur Großunternehmen mit | |
mindestens 5.000 Arbeitnehmer:innen. Ist das realistischer? | |
Die Wirtschaftsstrukturen lassen sich schwer vergleichen. Immerhin gibt es | |
in Frankreich schon ein Gesetz. Die Beschäftigtengrenze sollte nicht so | |
hoch sein, sonst wirkt das Gesetz kaum, weil es zu wenige Unternehmen | |
betrifft. | |
Der Verband der Maschinenbauer meint, die Lieferketten seien oft so | |
kompliziert über Dutzende Staaten verteilt, dass die Unternehmen hier kaum | |
den Überblick behalten könnten. Haften sie dann nicht schnell für etwas, | |
das sich ihrem Einfluss entzieht? | |
Das sind wohl eher Argumente der Wirtschaftslobby, die versucht, das Gesetz | |
weichzuspülen. Die Unternehmen müssten nachweisen, dass sie sich präventiv | |
darum kümmern, Risiken in ihren Zulieferfabriken auszuschließen. Tun sie | |
das in angemessener Weise, dürften sie mit der Haftung keine Probleme | |
bekommen. | |
Stellt das Gesetz das deutsche Exportgeschäftsmodell und das Wachstum in | |
Frage? | |
Nein. Eventuelle nachteilige Effekte werden so klein sein, dass sie | |
quantitativ im statistischen Rauschen untergehen. | |
17 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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