# taz.de -- Entwicklungsminister Gerd Müller: Keine Angst vor Peinlichkeiten | |
> Entwicklungsminister Gerd Müller kandidiert nächstes Jahr nicht mehr für | |
> den Bundestag. Viel Getöse und große Gesten begleiteten seine Amtszeit. | |
Bild: Selbst bei Hilfsorganisationen erstaunlich beliebt: Entwicklungsminister … | |
BERLIN taz | Wer das Entwicklungsministerium inne hat, ist ständig am | |
Kämpfen. Um Aufmerksamkeit, um Seriosität, gegen ein „Es-ist-nie-genug“. | |
Sowohl bei den Entscheidungsträger:innen als auch bei denen, die sich um | |
notleidende Menschen kümmern. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist so | |
einer, der weder große Worte scheut noch den Unmut derer, die ihn bei | |
seinen Vorhaben unterstützen sollen. | |
Nach viel Gezerre hat er den Etat des Ministeriums von 6 Milliarden auf | |
rund 10 Milliarden Euro gesteigert. Und es so geschafft, die ODA-Quote, | |
also die Höhe der Entwicklungsausgaben am Bruttonationaleinkommen, auf das | |
geforderte 0,7-Prozent-Ziel zu hieven. Allerdings wurden die gesteigerten | |
Ausgaben für die Geflüchtetenhilfe dazuaddiert. | |
Müllers größter Erfolg ist wohl [1][das geplante Lieferkettengesetz], das | |
er mit Kabinettskolleg:innen auf den Weg gebracht hat. Gleich zu Beginn | |
seiner Amtszeit 2013 kündigte er an, Unternehmen in die Pflicht nehmen zu | |
wollen, damit menschenunwürdige und gefährliche Arbeitsbedingungen ein Ende | |
haben. Nach monatelanger Lobbyarbeit bei Firmen, Verbänden und | |
Nichtregierungsorganisationen gründete er 2014 das Bündnis für nachhaltige | |
Textilien, 2019 startete der Grüne Knopf, ein eigenes Textilsiegel. Nun | |
soll ein Gesetz folgen. Die Eckpunkte liegen schon vor, SPD und Union | |
ringen derzeit um einen Gesetzesentwurf. | |
Müller ist ein Mann der drastischen Worte, der großen Gesten. Von der Lunge | |
des Planeten spricht er, wenn er auf die Zerstörung des Regenwaldes | |
aufmerksam macht. In einem syrisch-jordanischen Grenzdorf scheut er nicht | |
den biblischen Vergleich, als ein Jordanier einem syrischen Geflüchteten | |
eine „Herberge“ anbietet. In der Zentralafrikanischen Republik stapft er | |
barfuß mit hochgekrempelten Hosenbeinen durch Regenpfützen, klopft mit dem | |
einheimischen Fährtensucher auf Urwaldbäume, um die Spur einer | |
Elefantenherde aufzunehmen. | |
## „Let´s change the world“ | |
Er sucht die große Inszenierung, die mitunter auch ins Lächerliche driftet. | |
Zum Beispiel beim Global Citizen Earth Day 2015 in Washington, als Müller | |
in [2][wunderlichem bayerischem Englisch] das Motto „Let’s change the | |
world“ ausruft. Der Minister wird zum Youtube-Star. Aber bei aller | |
Peinlichkeit: Müllers Botschaft, der Kampf gegen Hunger und Armut, kommt | |
an. | |
Seine politische Agenda lautet Migrationsbewegungen steuern. Doch Müllers | |
Marshall-Plan für Afrika, der für mehr Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und | |
wirtschaftliche Stabilität in den Staaten sorgen soll, stagniert. Private | |
Investoren lassen auf sich warten, etliche „Leuchtturmprojekte“ in armen | |
Ländern existieren mehr auf dem Papier als in der Realität. Auch Müllers | |
Dauerappelle für mehr EU-Geld für die Entwicklungszusammenarbeit verhallen | |
regelmäßig. | |
Dennoch: Bei seinem Amtsantritt hätte kaum einer so viel Ehrgeiz von ihm | |
erwartet. Besonders Hilfswerke sahen in ihm nur den Fachbeamten aus dem | |
Landwirtschaftsministerium. Die Opposition beschimpfte ihn als | |
Agrarlobbyisten. Manch einer dachte bei dem Namen des Ministers eher an den | |
„Bomber der Nation“ – den Fußballer Gerd Müller, als den Minister Müll… | |
Nach mehr als 30 Jahren in politischer Verantwortung verabschiedet sich nun | |
ein Querulant, einer, der das C im Namen seiner Partei, CSU, mehr als ernst | |
nimmt. Wie im Fall Moria, als Müller, anders als Innenminister Seehofer, | |
fordert, [3][rund 2.000 Menschen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager | |
aufzunehme]n. Bei allen Reibereien: Selbst Opposition und | |
Hilfsorganisationen finden es nun „schade, dass er aufhört“. | |
14 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Eckpunkte-fuer-Lieferkettengesetz/!5697309 | |
[2] /Remixer-ueber-Gerd-Muellers-Denglishsong/!5010538 | |
[3] /Nach-Brand-im-Gefluechtetenlager-Moria/!5713565 | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
## TAGS | |
Gerd Müller | |
Entwicklungshilfe | |
Entwicklungsminister | |
CSU | |
Gerd Müller | |
Menschenrechte | |
Moria | |
Lieferketten | |
Lieferketten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Entwicklungsminister in der Kritik: Plus Eins im Regierungsjet | |
Gerd Müller (CSU) soll seine Ehefrau mehrmals mit auf Dienstreisen genommen | |
haben. Für Abgeordnete war deswegen offenbar kein Platz im Flieger. | |
Ökonom zu Lieferkettengesetz: „Das ist eine Frage des Anstands“ | |
Das Lieferkettengesetz soll Menschenrechte sichern – und überfordert weder | |
Mittelstand noch Exporteure, sagt der Wirtschaftsweise Achim Truger. | |
Nach Brand im Geflüchtetenlager Moria: Der Druck auf Seehofer wächst | |
Politiker*innen und Verbände fordern vom Innenminister, die Aufnahme von | |
Geflüchteten zu ermöglichen. Sogar aus der Union werden solche Stimmen | |
laut. | |
Verantwortung für Lieferketten: Altmaier bremst Gesetz aus | |
Zulieferfabriken sollen die Menschenrechte einhalten. Doch allzu weit soll | |
die Verantwortung der Unternehmen nicht gehen, fordert das | |
Wirtschaftsministerium. | |
Eckpunkte für Lieferkettengesetz: Billig produzieren, verklagt werden | |
Firmen, deren Zulieferer Menschenrechte missachten, drohen Bußgelder. | |
Arbeits- und Entwicklungsministerium legen die Eckpunkte für das Gesetz | |
vor. |