# taz.de -- Studienplätze im Norden: Ansturm der Hierbleiber | |
> An einigen Hochschulen im Norden herrscht Gedränge um Studienplätze. Das | |
> kann an Corona liegen: Es gehen kaum Abiturienten ins Ausland. | |
Bild: Wird schwierig in diesem Jahr: nach dem Abi erst mal weit wegfahren | |
HAMBURG taz | Für Uni-Leitungen und Politiker sind hohe Bewerberzahlen | |
immer auch eine tolle Nachricht. „Ich freue mich, dass Hamburg viele junge | |
Menschen aus Deutschland und anderswo anzieht“, sagt die grüne | |
Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank. Doch für junge Leute, die auf | |
einen Studienplatz warten und in diesen Tagen um die Zusage bangen, klingt | |
es nicht so beruhigend, wenn, wie kürzlich, das Hamburger Abendblatt von | |
einem „ungewöhnlichen Ansturm auf Hamburgs Universität“ schreibt. Zumal | |
dies „[1][mit der Corona-Pandemie“ zu tun hat]. | |
31.285 Bewerbungen auf rund 5.780 Bachelor-Studienplätze gingen für dieses | |
Wintersemester bei der Universität Hamburg ein. Das sind sechs Anwärter pro | |
Platz, und 5,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Besonders beliebt sind | |
Biologie, Soziologie, Informatik, Lehramt und Psychologie. Bei letzterem | |
kamen knapp 5.000 Bewerbungen auf 136 Plätze. | |
Das Problem: Normalerweise wollen drei von vier Abiturienten studieren – | |
aber nicht alle sofort. Viele lassen sich Zeit, gehen erst mal ins Ausland, | |
machen „Work and Travel“, ein freiwilliges Jahr oder ein Praktikum. All | |
dies fällt unter den Begriff „Gap Year“ und ist im Jahr der Corona-Pandemie | |
erschwert worden. Nun konkurrieren die Abiturienten von 2019, die aus dem | |
Pause-Jahr zurückkehren, mit den frischen Abgängern von 2020 um Plätze. | |
Auch Fegebank räumt ein, dass die Pandemie eine Rolle spielen könne. | |
„Bundesfreiwilligendienste, FSJ, Praktika oder Work and Travel sind für | |
Schulabgänger in diesem Jahr nicht ohne Weiteres möglich“, sagt sie. „Das | |
könnte sich auf die Bewerberzahlen ausgewirkt haben.“ | |
## Niedersachsen diesmal kaum Abiturenten | |
Ein Problem sieht die grüne Senatorin aber noch nicht, da es keine | |
Anzeichen gebe, dass die Studienplätze bundesweit nicht ausreichen. Solche | |
beruhigenden Worte sagt auch Peter-André Alt, Präsident der | |
Hochschulrektorenkonferenz. Er würde sich freuen, wenn Studieninteressierte | |
„nicht unnötig verunsichert“ würden. Bundesweit seien sechs von zehn | |
Studienangeboten „zulassungsfrei“. Er gehe davon aus, dass das System einen | |
„temporären Anstieg“ verkraften würde, „zumal es sich hier nicht um ein | |
Mehr, sondern um einen vorgezogenen Studienbeginn handelt“. | |
Nur, hilft das Hamburgs Bewerbern? Auch die nächstgelegene Uni, die | |
Leuphana in Lüneburg, nur 35 Metronom-Minuten von Hamburg entfernt, meldet | |
freudig: „Studienbewerberzahlen legen stark zu“. Es gebe fast 11.000 | |
Bewerber für die rund 1.400 Bachelor-Anfängerplätze, ein Fünftel mehr als | |
zuletzt. Die höchste Nachfrage gab es nach Betriebswirtschaftslehre, | |
Umweltwissenschaften und – auch hier – Psychologie. Alle Fächer in Lünebu… | |
sind zulassungsbeschränkt. | |
Andere norddeutsche Unis, bei denen die taz nachfragt, bestätigen diesen | |
Trend allerdings nicht. Das liegt an einer Besonderheit: Das | |
bevölkerungsreiche Niedersachsen entließ 2020 keine Abiturienten von | |
Gymnasien, weil dort das „Turbo-Abi“ wegfällt und dort die Abiturienten | |
erstmals noch ein 13. Jahr die Schulbank drücken. Gab es 2019 dort rund | |
32.000 Abiturienten, gibt es 2020 nur jene 9.884 Abiturienten der | |
Gesamtschulen, die den Schülern immer schon bis zum Abi 13 Jahre Zeit | |
ließen. | |
Dieser Null-Jahrgang bedeutet nun Glück im Unglück. Sollte es als Folge von | |
Corona eine stärkere Nachfrage nach Plätzen geben, rechne man damit, dass | |
dies kompensiert wird, sagt eine Sprecherin des niedersächsischen | |
Wissenschaftsministeriums. | |
Das strahlt nach Bremen aus. Auch dort rekrutieren Uni und Fachhochschule | |
ein Drittel ihrer Studierenden aus Niedersachsen. Deswegen habe Bremen | |
weniger Bewerber als sonst, heißt es aus der dortigen Wissenschaftsbehörde. | |
An der Universität Bremen gibt es gegenüber dem Vorjahr gar einen Rückgang | |
der Bewerber um 7,5 Prozent. Dort können sich Anfang Oktober | |
Studieninteressierte noch einschreiben. | |
Als wenig dramatisch beschreiben auch die meisten übrigen [2][Unis im | |
Norden] die Lage. An der Christian-Albrechts-Universiät zu Kiel gingen etwa | |
17.000 Bewerbungen ein. „Das entspricht ungefähr dem Vorjahresniveau“, sagt | |
Sprecherin Christin Beeck. Die Leibniz Universität Hannover war noch dabei, | |
die Zahlen zu erheben. Die Uni Göttingen meldet mit 12.850 Bewerbungen für | |
zulassungsbeschränkte Studiengänge einen Gleichstand zum Vorjahr. | |
Allerdings gingen dort in sechs begehrten Studiengängen über 20 Prozent | |
mehr Bewerbungen ein. | |
## Koordiniertes Nachrücken | |
Auch die Carl von Ossietzky Uni Oldenburg teilt mit, die Bewerberzahl liege | |
„auf dem Niveau der vergangenen Jahre“. Das sei angesichts des wegfallenden | |
Abi-Jahrgangs „positiv zu bewerten“. Und die Uni Lübeck teilt mit, es sei | |
„ähnlich“ wie 2019. Die Universität Greifwald äußert sich zu den | |
Bewerberzahlen nicht und verweist darauf, dass dieses Jahr mit früheren | |
noch nicht vergleichbar ist. | |
Die meisten Hochschulen machen beim „Dialog-orientierten | |
Studienplatz-Vergabeverfahren“ der Stiftung „Hochschulstart“ mit: Dabei | |
bewerben sie sich an mehreren Unis und bekommen nacheinander nur je einen | |
Platz an einem Ort angeboten. „Das Ziel ist, dass Bewerber am Ende nur eine | |
Zulassung erhalten und nicht mehrere Plätze blockieren“, erklärt | |
„Hochschulstart“-Sprecherin Kerstin Lüdge-Varney. Die | |
„Koordinierungsphase“ läuft bis Ende September. Dann wird es etwa auch an | |
der Uni Bremen ein „koordiniertes Nachrücken“ für abgelehnte Bewerber | |
geben. | |
Allerdings dürfte das Nachfrage-Minus von rund 22.000 aus Niedersachsen | |
rein quantitativ nicht reichen, um den Wegfall von Gap-Year-Aktivitäten und | |
daraus folgende zusätzliche Nachfrage auszugleichen. Bundesweit erlangten | |
2018 rund 430.000 und 2019 rund 420.000 junge Menschen die Hochschul- oder | |
Fachhochschulreife. Nach dem Abi ins Ausland wollte laut einer Umfrage der | |
„Initiative Auslandszeit“ 2016 etwa jeder vierte. | |
## Linke für Abschaffung von Nummerus Clausus | |
Und nicht jeder ist mobil und kann sich Studium in einer anderen Stadt | |
leisten. Jeder Fünfte wohnt noch bei den Eltern. Und nicht jede Uni liegt | |
in Pendel-Weite. Hinzu kommt: Auch 2021 könnten das Gap-Year ausfallen. | |
Müsste also doch die Politik reagieren und einen Puffer schaffen? Dass in | |
Hamburg mehr junge Menschen an die Unis wollen, „ergibt sich daraus, dass | |
Alternativen unter Corona nur schwer möglich sind“, sagt die Hamburger | |
Linke-Abgeordnete Stephanie Rose. Es sei ein Unding, dass so viele | |
Studienfächer einen Numerus Clausus haben, das verstoße gegen das | |
Grundrecht auf freie Berufswahl. Die Stadt müsse ihre Grundfinanzierung für | |
die Hochschulen aufstocken. | |
Gefragt, ob es Pläne gibt, in Hamburg wegen der besonderen Lage die | |
Kapazität aufzustocken, teilt die Universität mit, dafür habe sie kein | |
Geld. Und Wissenschaftssenatorin Fegebank will zunächst den Semesterstart | |
im November abwarten. Dann könne man ein „klares Bild“ gewinnen und dies | |
auch im Kreis der Kultusminister diskutieren. | |
15 Sep 2020 | |
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[1] /Studieren-waehrend-der-Pandemie/!5673590/ | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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