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# taz.de -- Wintersemester an Unis fängt an: Es muss nicht immer Hamburg sein
> Tausende Studienänfänger:innen wollen an die beliebten Unis in
> Großstädten. Dabei ist der Numerus Clausus in vielen Bundesländern
> niedrig.
Bild: Kurz vorm Burnout: Viele Schüler:innen lernen Tag und Nacht, um den rich…
Berlin/Hamburg taz | Fast hätte Lara N. kurz vor ihrem Abitur ein Burnout
gehabt – mit 19 Jahren. „Außer einer einzigen Lehrperson ist niemandem
aufgefallen, wie sehr ich am Anschlag war“, sagt die 20-Jährige heute, ein
Jahr nach ihrem Abschluss. Lara ließ sich schließlich krankschreiben.
Der Grund für die Überarbeitung: Lara will Psychologie studieren und die
Studienplätze sind hart umkämpft. Lange sah es so aus, als würde sie gar
keinen Platz ergattern, trotz der großen Anstrengung während der Schulzeit.
Lara kassierte eine Absage nach der anderen. Nur wegen einer
Härtefallregelung darf sie nun doch an der Universität Hamburg anfangen.
So wie Lara ergeht es vielen Schüler:innen kurz vor dem Abitur. Sie rechnen
für jede Klausur die Mindestnote für [1][den perfekten Schnitt] aus, lernen
bis zum Umkippen – und kriegen dann trotzdem keinen Platz in ihrem
Wunschstudium.
In Deutschland gilt eigentlich das Recht auf freie Berufswahl. Eigentlich.
Doch die Anzahl der Bewerber:innen steigt an vielen Unis schneller als die
Zahl neuer Plätze. Aktuell haben 53 Prozent aller 20 bis 24-Jährigen die
Hochschulreife, das sind doppelt so viele wie bei den 60-Jährigen. In den
vergangenen zehn Jahren hat die Zahl der Studierenden laut Statistischem
Bundesamt um fast eine Million zugenommen. Im vergangenen Wintersemester
waren fast drei Millionen Studierende eingeschrieben – Rekord.
## Berlin ist Spitzenreiter beim NC
Den Ansturm auf die Unis spüren besonders beliebte Studienorte wie Berlin,
Hamburg oder Bremen. Das Problem: Die Anzahl der Studienplätze wächst nicht
in gleichem Maße. Mit der Folge, dass beliebte Studienstandorte den
Hochschulzugang wesentlich stärker beschränken als unattraktive. Wie
unterschiedlich die Voraussetzungen mittlerweile aussehen, zeigt eine
Studie des Centrums für Hochschulentwicklung CHE. Für das Wintersemester
2020/21 sind in Berlin 66 Prozent der Studiengänge zulassungsbeschränkt,
damit ist die Hauptstadt Spitzenreiter. In Thüringen hingegen sind es nur
19 Prozent aller Studiengänge.
Lange Zeit reichte [2][das Abitur als Eintrittsticket] zu allen
Studiengängen. Das änderte sich erst 1968, als die Westdeutsche
Rektorenkonferenz (WRK) dazu aufrief, die Studienplätze zu begrenzen, damit
die Qualität der Lehre weiterhin gewährleistet sei und die Unis nicht
überlastet würden. Das sollte damals eine zeitlich begrenzte Maßnahme sein.
Der NC war geboren.
Es blieb nicht bei einer Übergangslösung. Bis heute haben Unis die
Möglichkeit, die Anzahl der Studienplätze zu beschränken, wenn sie zu wenig
Kapazitäten haben, um alle Bewerber:innen aufzunehmen. Ab wann das der Fall
ist, regelt die so genannte Kapazitätsverordnung, mithilfe der die Unis
jedes Semester die verfügbaren Plätze berechnen.
Jährlich gehen viele Bewerber:innen leer aus. Im Schnitt weist etwa [3][die
Humboldt Universität (HU)] jedes Jahr ungefähr 40.000 Beweber:innen ab,
sagt der Leiter der Studienabteilung Steffan Baron der taz. Wie darüber
entschieden wird, wer einen Platz bekommt – und wer nicht –, ist ein
kontroverses Thema.
Zuletzt musste sich nach einer Klage eines Medizinstudenten das
Bundesverfassungsgericht damit befassen. Vor drei Jahren urteilte das
Gericht, dass es unzulässig ist, für die bundesweite Vergabe der
Studienplätze in Humanmedizin einzig die Abiturnote heranzuziehen. Die
Richter:innen begründeten dies unter anderem mit den so unterschiedlichen
Abiturstandards in den jeweiligen Bundesländern. Das Berliner
Hochschulgesetz etwa schreibt bei der Studienplatzvergabe mindestens zwei
unterschiedliche Kriterien vor.
## In einigen Fächern ist der Andrang hoch
Die Vergabe funktioniert jetzt bei vielen Studiengängen nach der so
genannten 20-60-20-Regel. 20 Prozent aller verfügbaren Plätze werden
alleinig nach der Durchschnittsnote im Abiturzeugnis vergeben. Weitere 20
Prozent werden nach Wartezeit vergeben. Das heißt, je länger eine Person
bereits auf einen Studienplatz wartet, desto höher rutscht sie auf der
Liste.
Die verbleibenden 60 Prozent werden nach einer Auswahlquote vergeben, die
von Uni zu Uni und von Fakultät zu Fakultät unterschiedlich ist. Für die
Kriterien dieser Quote können die Fakultäten aus einem Katalog auswählen:
Der Abiturschnitt muss am stärksten gewichtet werden, weitere Anforderungen
wie etwa eine Eignungsprüfung, Berufserfahrung oder Praktika fließen in
unterschiedlicher Gewichtung mit ein – das unterscheidet sich je nach Fach
stark.
In einigen Studienfächern ist der Andrang besonders hoch, an der
Humboldt-Universität zum Beispiel in BWL und in den Kulturwissenschaften,
weshalb auch der NC höher ist. Etwas leichter ist es, im Fach Philosophie
einen Studienplatz zu ergattern. Und einen sicheren Platz hat man immer in
Chemie oder Physik, wo die Bewerber:innenzahlen verlässlich gering sind.
## Nicht alle können ins Ausland
Einige Bewerber:innen ziehen auch gleich ins Ausland, wo sie weniger Hürden
nehmen müssen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Anzahl deutscher
Studierender im Ausland fast verdreifacht. Die meisten zieht es nach
Österreich und in die Niederlande, wo es genügend Studienplätze gibt und
der Abischnitt weniger entscheidend ist. Für viele ist das aber keine
Lösung.
Für Lara N. beispielsweise. Nach ihrem Abitur wollte sie noch nicht mal aus
Berlin wegziehen: „Wegen meines psychischen Zustands war es mir nicht
möglich, in eine Stadt zu ziehen, wo ich niemanden kenne. In Berlin habe
ich mein ganzes stabiles Umfeld, bestehend aus Familie, Therapeutinnen und
Freund:innen.“ Lediglich Hamburg konnte sich Lara noch vorstellen, weil
dort ihre Schwester wohnt.
An beiden Unis wurde sie zunächst abgelehnt, auch nach einem
Härtefallantrag. Übergangsweise hat sie in Berlin mit einem freiwilligen
sozialen Jahr begonnen. Dass sie jetzt, ein Jahr später, an der Universität
Hamburg Psychologie studieren kann, ist ein Glücksfall: ihr Härtefallantrag
wurde angenommen. Ein anderer Studiengang würde für sie nämlich nicht in
Frage kommen.
Für den Freien Zusammenschluss der Student*innenschaft (zfs) gibt es nur
eine Lösung: Es müssen mehr Studienplätze her. Denn egal wie sie
ausgestaltet sei, die Zulassungsbeschränkung verschärfe Ungerechtigkeiten
und erschwere den Zugang zu höherer Bildung. Dass dabei einige Unis immer
überfüllt, andere hingegen wenig Andrang haben, sei ein tieferliegendes
Problem, sagt Amanda Steinmaus vom zfs: „Nur die Leute, die es sich leisten
können, gehen nach Berlin oder Hamburg. Die Mieten dort sind für viele zu
hoch, das Bafög reicht oft nicht.“
Das wiederum wirke sich auf den Ruf der Unis aus: So liegen die Unis, die
einen Status als Exzellenzuni haben, oft in Städten mit hohen Mieten.
Dieser Status zieht wiederum viele neue Bewerber:innen an und erhöht den NC
– ein Teufelskreis.
## Es geht auch mit schlechtem Schnitt
Wohin diejenigen gehen können, die in die hippen Unis nicht reinkommen,
Deutschland aber nicht verlassen wollen, zeigt die CHE-Studie, die die
NC-Quote je Bundesland berechnet. Ein Blick auf die Karte zeigt: Es gibt
Alternativen zum Ausland. Nicht nur in Thüringen, auch in Rheinland-Pfalz,
Brandenburg oder Sachsen-Anhalt liegt die NC-Quote unter 30 Prozent.
Selbst in Bayern und Nordrhein-Westfalen ist im Schnitt nur jeder dritte
Studiengang zulassungsbeschränkt. „Wir wollen zeigen, dass man woanders in
Deutschland auch mit schlechtem Schnitt reinkommen könnte“, sagt Cort-Denis
Hachmeister mit Blick auf die Publikation.
An der Uni Erfurt in Thüringen etwa bewarben sich vergangenes
Wintersemester 229 Personen für Psychologie – alle bekamen die Zusage für
einen Studienplatz. Eingeschrieben haben sich dann nur 103 Menschen.
Gleichzeitig haben sich in Berlin im vergangenen Wintersemester für das
Fach Psychologie rund 4.000 Interessierte auf 120 Plätze beworben. An der
Uni Duisburg-Essen haben sich im aktuellen Bewerbungsverfahren rund 2.400
Abiturient:innen auf 70 Plätze beworben. Immerhin hat die Hochschule die
Studienplätze im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
30 Sep 2020
## LINKS
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[3] /Humboldt-Uni-und-die-digitale-Lehre/!5695221
## AUTOREN
Anina Ritscher
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