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# taz.de -- Einwanderung nach Deutschland: Fachkraft mit Relevanz gesucht
> Die Migrationsströme nach Deutschland sind fast zum Erliegen gekommen.
> Braucht es überhaupt noch qualifizierte Arbeiter*innen aus dem Ausland?
Bild: Besseren Zeiten: Szene von einer Jobmesse für ausländische Fachkräfte …
Berlin taz | Christian Schröder ist beschäftigt. Zwischen mehreren Terminen
sagt der Personalleiter des Resorts Fleesensee ins Telefon: „Seit wir
wieder geöffnet haben, brauchen wir jede Hand.“ Das Resort an der
Mecklenburgischen Seenplatte schloss wegen der [1][Coronapandemie] am 19.
März. Seit dem 25. Mai empfängt man dort wieder Gäste aus ganz Deutschland.
Und schon macht sich auch der Fachkräftemangel wieder bemerkbar.
Noch Ende Februar hatte Schröder in der taz berichtet, wie händeringend er
auf der Suche nach Personal ist. Das Resort beschäftigt mehrere
Geflüchtete, teils als Auszubildende. Doch viele Geflüchtete in Deutschland
haben inzwischen Arbeit gefunden, auch aus dieser Gruppe werde es mit dem
Rekrutieren schwieriger, hatte Schröder erzählt. Deswegen setzte er große
Hoffnungen in das [2][Fachkräfteeinwanderungsgesetz]. Das trat im März in
Kraft und sollte es Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten erleichtern, zum
Arbeiten nach Deutschland zu kommen.
Doch quasi zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes kam die
Coronapandemie vollends in Deutschland an. Viele Unternehmen schlossen ihre
Türen, und Deutschland machte die Grenzen dicht. An Einwanderung war kaum
zu denken.
Grenzschließungen, der Einreisestopp für Drittstaatsangehörige, die
Schließung vieler ausländischer Visastellen und die Reduktion des
Flugverkehrs hätten dazu beigetragen, dass Migrationsströme nach
Deutschland „annähernd zum Erliegen gekommen sind“, heißt es in einem
Papier des ifo-Instituts von Mitte Juli. Auch seien Dienstleistungen wie
die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen teils ausgesetzt. Das
neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei nun „praktisch wirkungslos“.
## „Händeringend“ auf der Suche nach Fachkräften
Aber gäbe es überhaupt Bedarf? Trotz allmählicher Lockerungen stecken viele
Unternehmen in der Krise, die Konjunktur ist abgesackt, die
Arbeitslosenzahlen sind gestiegen. Braucht es überhaupt noch Fachkräfte aus
dem Ausland?
Ja, sagt Christian Schröder. Der Fachkräftemangel sei durch die Pandemie
nicht verschwunden. „Das deutsche Inlandsreiseverhalten beschert uns gerade
sehr gute Buchungszahlen und wir sind wieder händeringend auf der Suche
nach Fachkräften“, sagt der Personalleiter.
Die aktuellen Buchungen reichten zwar nicht aus, um den entstandenen
Schaden auszugleichen. „Aber wir könnten das niemals abarbeiten, wenn wir
nicht jeden Mann und jede Maus an Bord hätten.“ Schon längst stünde man
wieder vor der Herausforderung, entsprechende Fach-Profile zu finden.
Eigentlich hatte Schröder zum 1. August sieben Auszubildende aus dem
Nicht-EU-Ausland einstellen wollen – doch wegen der Corona-Einschränkungen
ist das unmöglich.
Das Bundesinnenministerium (BMI) führt seit Anfang Juli in Abstimmung mit
der EU eine „Positivliste“ von Ländern außerhalb der EU, aus denen Mensch…
ohne coronabedingte Einschränkungen einreisen dürfen. Mitte Juli umfasste
diese Australien, Georgien, Kanada, Neuseeland, Thailand, Tunesien und
Uruguay. Japan, Südkorea und China sollen folgen. Alle anderen
Drittstaatler dürfen nur nach Deutschland einreisen, „wenn sie eine
wichtige Funktion ausüben oder ihre Reise zwingend notwendig ist“, erklärt
eine Sprecherin des BMI.
## Besonders strenge Vorgaben für Azubis
Das gilt unter anderem für Menschen in der Gesundheits- und Pflegebranche
oder für Saisonarbeiter*innen. Andere Fachkräfte sind nur dann von den
Beschränkungen ausgenommen, wenn ihre „Beschäftigung aus wirtschaftlicher
Sicht notwendig ist“ und die Arbeit nicht aufgeschoben oder im Ausland
ausgeführt werden kann. Dafür ist eine entsprechende Bescheinigung des
Arbeitgebers vorzulegen.
Noch strenger sind die Restriktionen für Menschen, die eine Ausbildung
beginnen wollen. Das ist nur für die „besonders systemrelevanten Bereiche
Gesundheit, Pflege und Transport“ gestattet, erklärt die BMI-Sprecherin.
Doch selbst Einreisen, die erlaubt wären, können nicht unbedingt
stattfinden. Ob eine Antragstellung „tatsächlich möglich“ sei, hänge auch
von der Lage vor Ort ab, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. So könnten die
Visastellen einiger deutscher Auslandsvertretungen aufgrund von
Reisebeschränkungen, Ausgangssperren oder sonstigen Einschränkungen „nur
eingeschränkt oder im Notbetrieb“ arbeiten.
In Tadschikistan etwa, wo mehrere von Schröders künftigen Azubis herkommen,
ist die deutsche Botschaft derzeit geschlossen. Im Gegensatz zum Vorjahr
halbierte sich die Gesamtzahl der erteilten Visa zum Zweck der
Erwerbstätigkeit im ersten und zweiten Quartal 2020 – von 58.813 auf
30.117. Es ist der niedrigste Wert seit 2015.
## Corona bremst
Deutschland sei auch weiterhin auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen,
betont das Ministerium. „Dass unsere Wirtschaft vor Ausbruch der
Coronapandemie so gut dastand beziehungsweise wir jetzt vor dem Hintergrund
dieser robusten Wirtschaft agieren können, wäre ohne Zuwanderung kaum
möglich gewesen“, sagt ein Sprecher.
So sieht es auch Panu Poutvaara, Mitglied des Sachverständigenrats
deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und Leiter des ifo
Zentrums für Internationalen Institutionenvergleich und
Migrationsforschung. „Aber wahrscheinlich sehen wir die positiven Effekte
des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes erst im nächsten Jahr.“ Doch sobald die
Wirtschaft sich erhole, sei es gut, bereit zu sein – etwa in den
Konsulaten, die die Visaanträge bearbeiten müssen.
„Durch Corona wurden die Auswirkungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes
vielfach ausgebremst“, sagt auch Annika Göbel vom Deutschen Industrie- und
Handelskammertag. „Derzeit dürfte die Nachfrage deutscher Unternehmen aber
auch eher gering sein – im April und Mai wurden insgesamt 178.000 offene
Stellen neu gemeldet, das sind etwa 50 Prozent weniger als im Vorjahr.“
Mittelfristig werde sich das wegen des demografischen Wandels aber wieder
deutlich ändern.
In den vergangenen drei Jahren sei etwa die Hälfte des Stellenzuwachses auf
die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland zurückzuführen gewesen.
„Strukturell hat Corona an der Situation nichts verändert“, so Göbel. Sie
mahnt außerdem einen Ausbau der Digitalisierung in den zuständigen
Verwaltungen an. „Es könnte passieren, dass die Unternehmen in Deutschland
sich schneller erholen als die Verwaltungen im Ausland. Es wäre gut, wenn
etwa Visaanträge in den Auslandskonsulaten auch während eines Lockdowns
weiter bearbeitet werden könnten.“
## Beim Einwanderungsstop droht eine Kettenreaktion
„Natürlich geht die Einwanderung in der Krise zurück – aber sie zu stoppen
wäre grundfalsch“, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB). 2019 seien durch den demografischen Wandel rund
350.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter verloren gegangen – Tendenz
steigend.
„Das müssen wir aufgrund der gleichzeitig steigenden Lebenserwartung
mindestens kompensieren, um die sozialen Sicherungssysteme zu
stabilisieren“, sagt Brücker, und warnt vor Kettenreaktionen: „Nehmen wir
mal die Bauwirtschaft, die wie in Süddeutschland weiter gut läuft: Wenn wir
da sagen, niemand darf kommen, dann werden sie das durch inländische
Arbeitskräfte nicht kompensieren können. Dadurch gehen die Bauaktivitäten
zurück, und das hat wieder Einfluss auf die Arbeitsnachfrage in anderen
Bereichen.“
Dass Fachkräfte und Auszubildende von den Einschränkungen unterschiedlich
hart betroffen sind, kritisiert Brücker. „Einreisebeschränkungen aus
gesundheitlichen Gründen können natürlich immer gerechtfertigt sein“, sagt
Brücker. „Wenn dann aber für bestimmte Länder oder Branchen Ausnahmen
gemacht werden, die für Azubis nicht gelten, macht das weniger Sinn. Das
Infektionsrisiko durch den Zuzug von Azubis und Beschäftigten dürfte kaum
unterschiedlich ausfallen.“
Azubis fehlten derzeit in vielen Bereichen, und zur Bewältigung des
Fachkräftemangels brauche es eine langfristig angelegte Strategie. „Zu der
gehört auch, dass die Menschen gut ausgebildet sind“, sagt Brücker. „Wir
würden ja in der Krise auch nicht entscheiden, die Ausbildung junger
Deutscher auszusetzen.“
Dem würde wohl auch Christian Schröder vom Resort Fleesensee zustimmen. Die
Einschränkungen für Auszubildende sind für ihn ein großes Problem. „Wir
haben nun für drei Jahre eine deutlich verminderte Azubitruppe“, sagt er.
„Das trifft uns sowohl betriebswirtschaftlich als auch im Hinblick auf die
Chance, selbst ausgebildete Fachkräfte nach der Ausbildung zu übernehmen.“
31 Jul 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[2] /Gesetz-zur-Arbeitsmigration/!5664073
## AUTOREN
Dinah Riese
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